Sprockhövel. Nach 13 Jahren gibt Familie Vollmann ihr Sprockhöveler „Gastro-Wohnzimmer“ ab. Das hohe Niveau soll auch unter dem Nachfolger garantiert sein.
Am Sonntagabend war noch einmal große Gesellschaft angesagt. Tante Anna, dieses zur Hauptstraße unscheinbar wirkende Restaurant, zeigte noch einmal, wie wohl sich die Gäste hier fühlen konnten. Tante Anna war eine Institution in Sprockhövel, ein gastronomischer Geheimtipp mit Wirkung weit ins Ruhrgebiet hinein. Und die Geschichte ist noch nicht zu Ende.
Manches ist hier untypisch
Manches ist einigermaßen untypisch an dieser Gaststätte. Der völlige Verzicht auf Werbung etwa, Laufkundschaft ist bei so viel Zurückhaltung in der Außendarstellung fast ausgeschlossen. Das kleine Schild mit dem Namen darauf könnte auch auf eine Spezialboutique für gehobene Damenmode hinweisen. „95 Prozent der Gäste von uns reservieren und kommen von außen“, berichtet der Koch Martin Leonhardt, der am Sonntag seinen letzten Arbeitstag hatte.
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Ebenfalls untypisch: Familie Vollmann, die das Restaurant am 2. Februar 2012 übernommen hatte, hat mit Gastronomie eigentlich überhaupt nichts am Hut. „Außer, dass es unser Lieblingsrestaurant war“, berichtet Axel Vollmann. Hier wurde 1985 die standesamtliche Hochzeit von Axel und Jutta gefeiert und später auch die Taufen der beiden Töchter Viktoria und Alexandra. Und, natürlich, auch ohne Anlass wurde hier öfter mal gespeist.
Axel Vollmann ist Unternehmer, der leitet die Vollmann-Group, ein Unternehmen der Automobilzuliefererindustrie mit elf Standorten in Deutschland und je zwei in Tschechien und in Ungarn. Dass Tante Anna mal sozusagen Mitglied der Familie Vollmann werden würde, war überhaupt nicht abzusehen und resultierte streng genommen aus einer Fehlentscheidung des Firmenlenkers. Der frühere Inhaber seines Lieblingsrestaurants war wohl finanziell ins Trudeln geraten, und Vollmann wollte ihm mit einer größeren Summe aus der Patsche helfen. Doch dann setzte sich der windige Mann quasi über Nacht ab und Axel Vollmann hatte plötzlich sein Geld nicht mehr, dafür aber ein Restaurant im Firmen-Portfolio.
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„Das musste ich erst einmal meiner Frau beibringen“, erzählt Vollmann. Ob sie nicht vielleicht da einsteigen wolle? Zunächst schlug Jutta Vollmann die Hände über dem Kopf zusammen, sie ließ sich jedoch auf die neue Lage ein. „Sie hat unserem Restaurant über die Jahre ihren ganz persönlichen Stempel aufgedrückt“, lobt sie ihr Mann heute. Tante Anna, das ist zuallererst einmal ein Wohlfühlhaus, „unser verlängertes Wohnzimmer“, sagt die Ehefrau. Verwinkelt, weil über die Jahre an das schiefergedeckte Haus angebaut worden ist und auch der Wintergarten mit seinen großen Glasfenstern für die Gästebewirtung erschlossen wurde. Hübsch gedeckte Tische, gemütliche Sessel, Kerzenschein, unaufdringliche Beleuchtung. „Hier konnte man wirklich entspannen“, seufzt Axel Vollmann.
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In der Küche herrschte, schon vor der Vollmann-Ära, der Koch Martin Leonhardt. Mit seinem Team erfüllte er mit Unterbrechungen seit 1992 gehobene Gaumenwünsche der Gäste. Den Feldsalat mit lauwarmem Kartoffeldressing hat er noch von Vollmann-Vor-Vorgängerin Gudrun Löbbert übernommen, ansonsten dominieren feine Fische wie der Seeteufel, neuseeländischer Lamm- und Hirschrücken die Speisekarte, das zarte Rinderfilet wird aus Irland bezogen.
Abschied fällt nicht leicht
Ganz leicht fällt es den Eheleuten Vollmann nicht, Tante Anna wieder abzugeben. „Aber wir werden auch nicht jünger, dieses wunderbare Restaurant hat einen Generationswechsel verdient“, sagen beide. Zudem spürt der 68-jährige Axel Vollmann die Folgen der Wirtschaftskrise in der Automobilindustrie, „da möchte ich mich nicht noch mit einer Gastronomie belasten.“ Mehr reisen, etwas vom Leben haben, „mich auch mal um das Kind von Tochter Alexandra kümmern können“, das möchte Jutta Vollmann.
Nachfolger kommt aus München
Doch mit dem Rückzug der Vollmanns aus Sprockhövel haucht Tante Anna keineswegs ihr Leben aus. Im Frühjahr wird ein Ehepaar aus München ins Haus Hauptstraße 58 einziehen, mit großen Plänen für das Restaurant. „Wir kommen als Gäste gerne immer wieder“, kündigt Axel Vollmann an. Und darüber wird diese Zeitung berichten.