Sprockhövel. Ein ambulanter Pflegedienst in Sprockhövel hat die Pflege einer 99-jährigen Klientin ausgesetzt, weil sich die Tochter in Quarantäne befindet
Die Sprockhöveler Ratsfrau Helga Wieland-Polonyi mochte es zuerst nicht glauben: Ein ansässiger Pflegedienst verweigerte ihrer in Haßlinghausen lebenden hochbetagten Mutter von jetzt auf gleich die tägliche Pflege und führte als Begründung die Quarantäne an, in der sich die Tochter aktuell befindet. „Anderthalb Tage war die 99-Jährige in der Folge ohne Versorgung“, schimpft Wieland-Polonyi.
Tochter gehört zur Kategorie 2
Es sind in diesen Tagen viele Menschen, die aufgrund von Kontakten mit Corona-Verdachtsfällen in Quarantäne gehen müssen. Die Sprockhöveler Kommunalpolitikerin Helga Wieland-Polonyi, von Beruf Lehrerin, wurde nach Kontakt mit einem Schüler, der seinerseits Berührung mit einem Erkrankten in seiner Familie hatte, kurzfristig nach Hause geschickt. „Somit gehöre ich zur so genannten Kategorie 2, weil ich nicht direkt mit einem mit dem Coronavirus infizierten Menschen zusammengekommen bin“, berichtet die Lehrerin. Zum Stress um die Ungewissheit, ob nun eine Infizierung vorliegt, kam da der Anruf der Mutter belastend hinzu: „Sie war ganz verzweifelt, weil ihr soeben der Pflegedienst mitgeteilt hatte, dass er ab sofort nicht mehr zu ihr komme“, erzählt Helga Wieland-Polonyi. Der Dienst berief sich bei seiner Entscheidung auf eine Information zur Quarantäne der Tochter, die er wohl von einem gemeinsamen Bekannten bekommen hatte. Wieland-Polonyi ist empört: „Weder bei mir noch bei meiner Mutter liegen Indikationen oder Symptome vor, und ich frage mich auch, wieso sich der Vertragspartner meiner Mutter so einfach von einer Aussage von Dritten dazu bewegen lässt, seine Aufgaben aufzukündigen.“
Vertrauensverhältnis zerbrochen
Helga Wieland-Polonyi spricht von einem grundsätzlichen Vertrauen, dass durch die Weigerung des Pflegedienstes ins Wanken geraten sei. „Wenn alle Mediziner und Pflegedienstleister so ihre Patienten behandelten, würde unser Land ins Chaos stürzen“, klagt sie. Feuerwehr und Polizei, Lebensmittelhändler, Ärzte und Pflegepersonal – sie alle bemühen sich ihrer Ansicht nach doch, besonders alten und kranken Menschen zu helfen, um ihrer Verantwortung gerecht zu werden. Helga Wieland-Polonyis Familie beschloss nach den aktuellen Erfahrungen, den Dienst der Pflegeeinrichtung nicht mehr in Anspruch zu nehmen. „Das Vertrauen war tiefgreifend gestört, zumal die Leiterin des Pflegedienstes datenschutzrelevante Informationen an weitere Personen weitergegeben hatte. „So wunderte ich mich, wie ich plötzlich einen Anruf von einer Ärztin angerufen wurde, die mir mitteilte, der Pflegedienst habe sich an sie gewendet und sie um Rat ersucht wegen der Quarantäne-Situation Wieland-Polonyis. „Wir können doch in Folge der Corona-Pandemie nicht ohne Not auch noch den Datenschutz über Bord werfen“, kritisiert sie.
Kreisgesundheitsamt stützt Patientensicht
Auch beim Kreisgesundheitsamt gibt es kein Verständnis für das Verhalten des Pflegedienstes. "Wenn sowohl die Patientin wie auch deren Tochter symptomfrei ist, besteht überhaupt keine Veranlassung, die Betreuung einfach einzustellen", sagt Kreissprecher Ingo Niemann.
Neuer Pflegedienst springt ein
Familie Wieland-Polonyi hat bei allen unangenehmen Erfahrungen doch noch alles zum Guten wenden können. „Wir sind sehr froh, dass sich der Pflegedienst der Awo bereit erklärt hat, kurzfristig einzuspringen und von nun an meine Mutter zu versorgen.“ Solidarität und Humanität sei das Gebot der Stunde, nicht die Aufkündigung von Pflichten.
INFO
Gesundheitsämter werden in der Regel durch einen Amtsarzt oder eine Amtsärztin geleitet.
Zu den Aufgaben zählen auch die Hygieneüberwachung und die Epidemiologie sowie die Durchführung des Infektionsschutzgesetzes.