Oberhausen. Deutschland wählt am 23. Februar einen neuen Bundestag. Alt-Oberbürgermeister und Ehrenbürger erklärt, „wie die Demokratie die Siegerin bleibt“.

Seine Stimme hat er just an dem Vormittag abgegeben, an dem wir uns treffen, Friedhelm van den Mond lächelt: „Ich bin schon seit vielen Jahren Briefwähler und müsste tatsächlich nachgucken, in welches Wahllokal ich gehen müsste.“ Der Alt-Oberbürgermeister (aktiv im Amt von 1979 bis 1997) und Ehrenbürger unserer Stadt wird in ein paar Wochen 93 Jahre alt, körperlich „altersgerecht“ unterwegs, und geistig hellwach, schlagfertig wie eh und je. Wir unterhalten uns an diesem Vormittag über die bevorstehende Bundestagswahl.

Wann ist der Alstadener Mitbürger Friedhelm van den Mond erstmals zur Wahl gegangen?

Friedhelm van den Mond: Das war die Bundestagswahl 1953, ich war da 21 Jahre alt geworden und damit erstmals wahlberechtigt.

Gewonnen?

Ich habe schon damals die SPD gewählt, obwohl ich erst zehn Jahre später der Partei beigetreten bin. Aber ich war als Bergmann natürlich Mitglied meiner Gewerkschaft, und außerdem stamme ich aus einer Arbeiterfamilie, war also entsprechend sozialisiert. Was anderes als die Sozialdemokratie kam für mich gar nicht in Frage. Das Thema der Sozialisation spielte früher eine viel stärkere Rolle als heute, das Bild der Eltern prägte deutlicher. Die SPD hat die Wahl 1953 bekanntlich nicht gewonnen, aber Wähler sollten sich nicht als Gewinner oder Verlierer fühlen.

Friedhelm van den Mond (links) wurde 1932 in Oberhausen geboren. Auf der Zeche Alstaden begann er 1947 eine Lehre und arbeitete auch später als Steiger. Von 1979 bis 1997 war er als Oberbürgermeister das Stadtoberhaupt von Oberhausen.
Friedhelm van den Mond (links) wurde 1932 in Oberhausen geboren. Auf der Zeche Alstaden begann er 1947 eine Lehre und arbeitete auch später als Steiger. Von 1979 bis 1997 war er als Oberbürgermeister das Stadtoberhaupt von Oberhausen. © FUNKE Foto Services | Repro Gerd Wallhorn

Man spricht aber schon von Wahlsiegern und Wahlverlierern.

Das ist richtig, aber das bezieht sich ja auf die Partei, die eben ein paar Anteile am Gesamtergebnis mehr geholt hat als die andere. Bei einer demokratischen Wahl ist für mich zunächst mal jede einzelne Person, die ihre Stimme abgibt, ein Gewinner. Ich will nicht die pathetischen Begriffe wie ‚Hochamt der Demokratie‘ oder ‚Feiertag der Demokratie‘ verwenden, aber für mich, der im Nationalsozialismus aufgewachsen ist und unter dessen entsetzlichen Folgen auch zu leiden gehabt hatte, war das schon ein erhebendes Gefühl, ins Stimmlokal zu gehen, hinter einem Vorhang das Kreuzchen zu machen und den Wahlumschlag in die Wahlurne zu stecken. Frei und geheim wählen zu dürfen, das ist ein unglaubliches Privileg.

Soll man, muss man schon deswegen zur Wahl gehen?

Eben weil das Wahlrecht ein so ungeheures Privileg ist, heißt es für mich: Wahlrecht ist Wahlpflicht! Wer auch immer seine Stimme für welche Partei auch immer abgibt, entscheidet mit. Und jede Stimme zählt, weil sie gezählt wird. Niemand geht verloren, jeder hat die gleiche Bedeutung.

Die Ausübung des Wahlrechts ist unkompliziert, komplizierter werden die Auszählung und die anschließende Wertung. Es kann ja passieren, dass die direkt gewählte Person gar nicht erst in den Bundestag einziehen wird. Vergällt das nicht ein bisschen die Freude am Wählen?

Auf den ersten Blick stieß diese Änderung auch bei mir nur auf begrenztes Verständnis (aufgrund der Wahlrechts-Reform werden Bundestags-Mandate begrenzt, was dazu führen kann, dass Direktkandidaten trotz gewonnenem Wahlkreis kein Mandat erhalten, Anm. d. Red.). Aber die Parteien im Bundestag haben sich demokratisch, also mehrheitlich darauf geeinigt, und das Endergebnis macht ja durchaus Sinn. Der Bundestag soll wieder das vom Grundgesetz vorgeschriebene Maß erreichen, nicht x-beliebig wachsen.

Friedhelm van den Mond
Friedhelm van den Mond, gut eine Woche vor den Bundestagswahlen 2025, im Gespräch mit der Redaktion. © WAZ Oberhausen | Gustav Wentz

Wird das jüngst zu beobachtende Verhalten der Parteien und einzelner Politiker Auswirkungen auf die Wahlbeteiligung haben?

Vor Wahlen ist die Nervosität auch bei den Protagonisten groß, sicher darf man da auch nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen, aber in den letzten Wochen ist es mir direkt im Parlament etwas zu grob zugegangen – von allen Seiten. Ich befürchte, dass da Wunden geschlagen worden sind, die so schnell nicht heilen. Tatsache ist ja, dass sich nach der Wahl eine konsensfähige Mehrheit zu einer Koalition finden muss. Ich hoffe nicht, dass Wahlwillige sich von dem nicht immer sachlich und argumentativen Streit abhalten lassen. Vielleicht reizt es ja sogar zur Stimmabgabe.

Lauter geworden ist in letzter Zeit auch die Forderung nach mehr Bürger- oder Volksentscheiden, teils auch ‚direkte Demokratie‘ genannt. Ein sinnvolles Instrument?

Die Mütter und Väter unserer großartigen Verfassung haben diesem Instrument nicht von ungefähr hohe Hürden in den Weg gelegt. Die sind ja auch auf kommunaler Ebene nur schwer zu überspringen, wie wir auch hier wissen. Solche Volksabstimmungen sind oft nur scheinbar an einem Sachthema orientiert, tatsächlich führt die Auseinandersetzung meist zu giftiger Polemik. Das hilft dem Gemeinwohl nicht! Und abgesehen von diesem Aspekt: Wir haben in unserer Demokratie auf unterster, also der gemeindlichen Ebene, doch nahezu alle Tage die Möglichkeit, unsere Stimme zu erheben oder abzugeben.

Wobei das?

Ich meine nicht nur die immer häufiger veranstalteten Bürgerversammlungen, zu denen mal einzelne Personen, mal Vereine, mal Parteien einladen. Übrigens sind sie meist schlecht besucht. Aber gewissermaßen ‚amtlich‘ sind doch die gesetzlich vorgeschriebenen Anhörungen im Rahmen der Bürgerbeteiligung an Bebauungsplänen und ihren Entwürfen. Das ist ein gutes Stück Demokratie. Ohne diese Art von Einmischung wäre beispielsweise die Lösung für das alte Zechengelände in Sterkrade nicht auf den Weg gebracht worden.

Zum Abschluss: Hat der Ehrenbürger einen Rat zum 23. Februar?

Wählen gehen! Damit die Demokratie die eigentliche Siegerin bleibt!