Oberhausen. Immer mehr Menschen in Oberhausen leiden an einer Demenz. Eine Chefärztin erklärt, wie man einer Erkrankung vorbeugt und geistig fit bleibt.
Gut 4500 Oberhausenerinnen und Oberhausener sind aktuell an einer Demenz erkrankt - und es werden immer mehr. „Wir müssen jetzt dringend handeln“, betont Prof. Anke Lührs. Denn die Chefärztin der Neurologie am Ameos Klinikum St. Clemens Oberhausen ist davon überzeugt: „Jeder kann selbst etwas dafür tun, um dieser schwerwiegenden Erkrankung vorzubeugen.“
Das Risiko für das Auftreten einer Demenz steigt mit dem Alter. Während bei 65- bis 70-Jährigen bei weniger als drei Prozent eine Alzheimer-Erkrankung vorliegt, ist im Alter von 85 Jahren schon jeder fünfte und ab 90 Jahren bereits jeder dritte betroffen. Und auch in unserer Stadt werden die Menschen eben immer älter. Bereits heute sind nach einem Blick in den Oberhausener Sozialstrukturatlas knapp 48.000 Einwohnerinnen und Einwohner (22,4 Prozent) älter als 65 Jahre. Vor zehn Jahren waren es noch gut 44.000 (21,1 Prozent).
Rund 70 Prozent aller Demenzkranken leiden nach Angaben der Barmer Ersatzkasse an Alzheimer. „Bei Alzheimer lagern sich im Gehirn verschiedene Moleküle ab und sammeln sich dort an, sogenannte Amyloid-Plaques und Tau-Proteine“, erläutert Lührs. Außerdem komme es zu einem Untergang der Nervenzellen und dem Verlust ihrer Verbindungen (Synapsen). Nur bei einem sehr geringen Anteil der Patienten (unter zwei Prozent) ist die Erkrankung genetisch bedingt. Was sie genau auslöst, ist noch nicht ausreichend erforscht.
Auch Schädigungen in den Hirngefäßen können eine Demenz auslösen
Bei der zweithäufigsten Form, der vaskulären Demenz (etwa 15 Prozent aller Fälle), steht dagegen fest, dass es Schädigungen in den Hirngefäßen sind, die die geistige Leistungsfähigkeit zunehmend beeinträchtigen. „Etwa auch ein langjähriger Bluthochdruck kann dafür verantwortlich sein“, weiß Lührs. Eine weitere bekannte Ursache: winzige Einblutungen in den Hirngefäßen. Darüber hinaus gibt es zwar unzählige weitere Demenzformen, die aber allesamt nur sehr selten auftreten.
Auch wenn noch nicht alle Auslöser feststehen, die Hauptrisikofaktoren sind inzwischen bekannt: „So sinkt die Wahrscheinlichkeit an einer Demenz zu erkranken, etwa durch körperliche Bewegung, geistige Aktivität, soziale Teilhabe und eine ausgewogene Ernährung erheblich“, betont Lührs. Die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt zur Demenz-Vorbeugung die so genannte Mittelmeer-Diät: Mindestens 400 Gramm Obst und Gemüse und höchstens 50 Gramm freien Zucker pro Tag. Weniger als 30 Prozent der aufgenommenen Energie sollte von Fetten stammen und der Salzkonsum sollte bei weniger als fünf Gramm pro Tag liegen. Typisch für diese Ernährungsweise: Obst, viel Gemüse, Oliven, Knoblauch, wenig weißes Fleisch.
Eine möglichst mediterrane Ernährung schützt auch die Darm- und Mundflora. Welch wesentlichen Einfluss gerade das dortige Mikrobiom auf die Entstehung oder Verhinderung einer Demenz hat, bestätigte zuletzt eine Studie der Universität Kiel und des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein aus dem März 2024. „Besonders gut ist die Kombination mit rund 150 Minuten moderater Bewegung pro Woche“, ergänzt Lührs. Also etwa Spazierengehen, Radfahren, Schwimmen, Tanzen. Neuen Schwung für alte Denkmuster geben außerdem: „Kreuzworträtsel, Denkspiele, eine neue Sprache erlernen.“
Diese Risikofaktoren sind inzwischen bekannt
Experten weisen darüber hinaus auf ein erhöhtes Risiko durch Übergewicht, Bluthochdruck, Rauchen, übermäßigen Alkoholkonsum, Diabetes, schwere Kopfverletzungen, Infektionen, Depression, chronischen Stress sowie das Vorliegen einer Hörminderung hin. Da der neurobiologische Krankheitsprozess schon 15 bis 30 Jahre vor dem Auftreten erster Symptome beginnt, ist die Vorbeugung vor allem ab dem mittleren Lebensalter genau so wichtig wie eine gute Behandlung der jeweiligen Grunderkrankung, sagt Lührs.
Tatsächlich kann eine gesunde Lebensweise das Risiko einer Demenz sogar erheblich senken: So könnten sich damit etwa 40 Prozent aller Demenzfälle komplett vermeiden oder zumindest verzögern lassen (Quelle: Barmer). Gerade in Oberhausen sei nun dringend mehr Aufklärung gefragt. Denn nach den Zahlen des Basisgesundheitsberichtes Oberhausen 2023 waren bereits 2021 knapp 52.000 Oberhausener und Oberhausenerinnen mit der Diagnose Bluthochdruck in ärztlicher Behandlung. Auch bei den Diabetes-Erkrankungen verzeichnet der Bericht einen konstanten Anstieg. „Die Patienten in unserer Stadt werden immer jünger, sind heute sogar oft erst 30, 40 Jahre alt.“ Und damit genau in dem kritischen Entstehungsalter für eine mögliche, spätere Demenz.
Ist die Erkrankung aber einmal ausgebrochen, gilt: Je eher sie erkannt wird, desto besser. Doch das sei gar nicht so einfach. „Denn viele Betroffene entwickeln ein großes Geschick dafür, ihre Ausfallerscheinungen über einen langen Zeitraum zu kaschieren.“ Leider falle die richtige Diagnose deshalb meist in späteren Stadien. „Erst bei einem Ortswechsel - wie einem Krankenhausaufenthalt oder einer Urlaubsreise - fallen dann plötzlich Orientierungsschwierigkeiten auf.“ Durch vielversprechende neue Wirkstoffe könne das Fortschreiten einiger Demenzformen zumindest verlangsamt werden. „Weitere neue Medikamente sind bereits in den USA zugelassen - doch bei uns in Europa gibt es leider noch keine definitive Entscheidung.“
Lesen Sie auch:
- NRW-Ministerium korrigiert Entscheidung zum Marienhospital
- Oberhausen: Ameos stärkt die Geriatrie an dieser Klinik
- Chefärztin litt unter Adipositas: So hilft sie jetzt anderen