Oberhausen. Benjamin Roth ist neuer Chef des Jugendamtes. Im Interview stellt er sich den Fragen der Redaktion: Warum baut die Stadt keine neuen Kitas?

Das Büro von Benjamin Roth befindet sich in einem eher ungewöhnlichen Viertel für ein Jugendamt. Die Zentrale des Bereichs „Kinder, Jugend, Familie“ liegt nicht in der Innenstadt, wo die Probleme am größten sind, sondern zwischen Turbinenhalle und Centro an der Mülheimer Straße. „Eigentlich zu weit weg“, findet auch der 44-Jährige. Nichtsdestotrotz: Der erfahrene Bankkaufmann und Jugendamtsleiter hat sich viel vorgenommen. Seit dem 1. Juli 2024 leitet er das Jugendamt in Oberhausen und muss sich großen Herausforderungen stellen: Die soziale Ungleichheit wächst, es fehlt an Kita-Plätzen und Geld. Wir haben den Essener zum ersten Interview getroffen - und ganz nebenbei erfahren, dass sein Herz nicht für RWO schlägt.

Herr Roth, Sie leiten eines der größten Jugendämter in NRW. Was haben Sie sich vorgenommen?

Benjamin Roth: Mein Wunsch ist es, immer das Optimale für die Familien, für die Kinder, für die Jugendlichen in Oberhausen zu erreichen, und auch ein Stück weit das Image zu ändern, das wir als Jugendamt haben - nämlich das negative, das wir nur diejenigen seien, die Kinder aus den Familien nehmen. Wir machen noch so viele positive Dinge, bevor wir als letztes Mittel Kinder zum Schutz in die Obhut des Jugendamts nehmen. Daher wäre es mir ein großes Anliegen, dass mein Bereich sich transparenter, bürgernäher und serviceorientierter aufstellt und von den Familien in Oberhausen als verlässlicher Partner in allen Phasen des Lebens wahrgenommen wird.

Kita-Krise, hungrige Kinder, Kostenexplosionen in der Jugendhilfe: An Arbeit wird es dem neuen Leiter des Oberhausener Jugendamtes, Benjamin Roth, nicht fehlen. Trotzdem freut er sich auf seine Aufgabe, sagt er in seinem ersten Interview.
Kita-Krise, hungrige Kinder, Kostenexplosionen in der Jugendhilfe: An Arbeit wird es dem neuen Leiter des Oberhausener Jugendamtes, Benjamin Roth, nicht fehlen. Trotzdem freut er sich auf seine Aufgabe, sagt er in seinem ersten Interview. © FUNKE Foto Services | Alexandra Roth

Was gehört alles zu den positiven Dingen? Können Sie Beispiele nennen?

Roth: Wir haben in Oberhausen ganz viele aufeinander abgestimmte Angebote und haben dafür auch eine ganze Reihe zuverlässiger Partner. Wir haben Unterstützungsangebote, die schon zu Beginn der Schwangerschaft anfangen, bis zu Hilfen für junge Volljährige. Das Angebot der Stadt und der zahlreichen Träger holt die Eltern im Prinzip schon während der Schwangerschaft ab und begleitet sie dann als Familie durch alle Lebensphasen.

Eines der Kernthemen nicht nur in Oberhausen ist die Kinderbetreuung. Manche schätzen, dass rund 1000 Plätze fehlen. Wie viele fehlen denn?

Roth: Eine zuverlässige und pädagogisch wertvolle Kinderbetreuung ist nicht nur für die Eltern, sondern auch für die Stadt Oberhausen ein hohes Gut. Wenn das funktioniert, ist auch eine berufliche Entfaltung möglich. Wie viele Plätze fehlen, können wir seriös erst Anfang des nächsten Jahres sagen, wenn wir die Bedarfsplanung veröffentlichen. Insgesamt gesehen hängt das natürlich davon ab, inwiefern Neu- und Umbaumaßnahmen im vorgesehenen Zeitplan realisiert werden können. Die Geburtenrate, die prognostiziert ist, geht tendenziell nach unten. Darin sehe ich eine einzigartige Chance für die Stadt, in Qualität zu investieren. Beispielsweise bekommen wir die Rückmeldung, dass Familien gerne mehr Betreuungszeiten in Anspruch nehmen würden. Außerdem dürfen wir nicht aufhören, in die Modernisierung der Objekte zu investieren. Gerade bei den städtischen Kitas gibt es einen alten Bestand.

Pressebereisung Bildungseinrichtungen in Oberhausen
Die städtische Kindertageseinrichtung Holten wurden jüngst großflächig ausgebaut. Die Stadt Oberhausen setzt vor allem auf Erweiterungen. © FUNKE Foto Services | Christoph Wojtyczka

Warum baut die Stadt nicht jetzt neu, wo es einen so hohen Bedarf gibt?

Roth: Das liegt daran, dass wir als Stadt wenig Möglichkeiten haben, selbst zu bauen. Zum einen sind wir auf freie Grundstücke angewiesen, zum anderen gilt das Subsidiaritätsprinzip. Wir bürgen quasi nur als Ersatz, wenn keine anderen Träger das Projekt übernehmen wollen. Und der Markt ist momentan nicht gerade auskömmlich. Die Miete, die das Land bezuschusst, ist deutlich unter dem, was der freie Markt bietet. Das heißt: Wir als Stadt müssen auf jeden Fall immer noch zusätzlich etwas zu dem Quadratmeterpreis hinzugeben, damit es für einen Investor interessant wird.

Sie haben ja den direkten Land-Stadt-Vergleich. Sind die Probleme Oberhausens typische Großstadtprobleme?

Roth: Die Kita-Thematik bringt durchaus regionale Unterschiede mit sich. Wir in Oberhausen haben oft nicht die Kita-Plätze in den Sozialräumen, in denen wir sie brauchen. Zum Beispiel ist es so, dass wir in Sterkrade oder Oberhausen-Nord relativ viele Plätze haben, allerdings nicht im Innenstadtbereich. Auf dem Land sind die Menschen durchaus bereit, längere Strecken zu fahren. Wenn die Kita fünf Kilometer weit weg ist, dann ist das eben so.

Die Bevölkerung in Oberhausen wird laut Prognosen in den kommenden Jahren schrumpfen. Bedeutet das auch, dass in den nächsten Jahren mehr Kita-Plätze da sind?

Roth: Es sind eben nur Prognosen. Wir wissen nicht, wo vielleicht irgendwo wieder die Tür aufgeht, und das ist ein Szenario, das wir nicht verlässlich abbilden können. Wenn es weniger Kinder gibt, werden auch weniger Plätze benötigt- schließlich kann jedes Kind nur einen Platz in Anspruch nehmen. Meine Wunschvorstellung wäre aber, dass wir mit weniger Kindern die Qualität erhöhen und beispielsweise mehr Stunden anbieten. Dafür brauchen wir auch die räumlichen Möglichkeiten und sollten daher nicht auf Neubauten verzichten. Sie sollten aber so gestaltet sein, dass sie perspektivisch auch für andere Angebote nutzbar sind.

Das ist Benjamin Roth

Benjamin Roth ist Vater von zwei Söhnen. Im Juli hat das Jugendamt von Stefanie Ridders übernommen. Die Lüdenscheiderin leitete das Jugendamt von 2021 bis 2024.

Nach einer Ausbildung zum Bankkaufmann bei der Deutschen Bank AG und einem Studium der Sozialen Arbeit an der Evangelischen Fachhochschule in Bochum leitete Roth zunächst einen Bereich des Diakoniewerks Essen. Danach begann er ein Duales Studium (Betriebswirtschaftslehre plus Verwaltungsausbildung) bei der Deutschen Bundesbank und leitete unter anderem die IT-Stabstelle in Düsseldorf. Anschließend wechselte der 44-Jährige als Abteilungsleiter zur Stadt Hilden und kümmerte sich um die Bereiche Asyl, Senioren, Integration und Obdachlosigkeit. Von dort zog es den Essener zunächst in die Hansestadt Wipperfürth, wo ihm die Leitung des Jugendamts anvertraut wurde, und danach nach Kleve, wo er ebenfalls das Jugendamt leitete. 

Im vergangenen Jahr protestierten die Träger gegen die Haushaltsplanungen und drohten mit Kürzungen im Betreuungsangebot. Ist die Arbeit der Kita-Träger mittlerweile gesichert?

Roth: Die Schwierigkeit bei der Kita-Finanzierung ist immer die, dass die Kostenpauschalen des Landes rückwirkend berechnet werden und immer erst mit dem neuen Kita-Jahr zum Tragen kommen. Die unterjährigen Tarifsteigerungen fanden somit zunächst keine Berücksichtigung, was eine Unterdeckung zur Folge hat. Mit dem neuen Kita-Jahr im August sind die Pauschalen, die das Land zahlt, wieder deutlich auskömmlicher. Das ist natürlich eine Erleichterung. Aber von einer insgesamt ausreichenden Finanzierung zu sprechen, das wäre ein Stück weit vermessen.

Wünschen Sie sich mehr Geld vom Land?

Roth: Auf jeden Fall.

Eine andere erschreckende Entwicklung waren die Kosten der erzieherischen Hilfe. Die Stadt muss in diesem Jahr mehrere Millionen Euro zusätzlich bereitstellen.

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Roth: Zum einen wurde auch hier die Tarifsteigerung spürbar. Die Personalkosten sind gestiegen, wurden aber noch nicht entsprechend implementiert. Das wird erst nach und nach geschehen. Zum anderen werden die Angebote in der erzieherischen Hilfe durch die Kommunen oder die Träger geschaffen. Als Betriebswirt sehe ich das so: Hier greift das Gesetz der Marktwirtschaft aus Angebot und Nachfrage. Die Angebote sind sehr rar, weshalb nahezu jeder Preis aufgerufen werden kann. Deshalb wird es unsere Aufgabe sein, das Angebot zu verbessern und mit den Trägern in den Dialog zu gehen. Zum einen werden wir in den Regionalteams abfragen, welche Bedarfe es gibt, zum anderen auf die Trägerlandschaft zugehen und fragen, was sie abbilden kann. Wir müssen nicht nur an der Platzsituation im stationären Bereich arbeiten, sondern auch Angebote außerhalb schaffen. Das fängt bei der sozialpädagogischen Familienhilfe an und reicht bis zu Integrationshilfen in den Kitas und Schulen.

Benjamin Roth ist der neue Leiter des Jugendamtes
Benjamin Roth leitet seit dem 1. Juli 2024 das Jugendamt in Oberhausen. Zuvor war er Leiter des Jugendamtes in Kleve. © FUNKE Foto Services | Alexandra Roth

Ein weiteres besorgniserregendes Thema sind hungrige Kinder. Zuletzt häuften sich die Berichte, dass Kinder ohne Frühstück und Mittagessen durch den Tag kommen müssen. Gibt es Ideen, wie die Stadt dem Problem Herr werden kann?

Roth: Die Frage ist ja, wo fehlt es an Geld? Weil insgesamt muss man sagen, dass eigentlich kein Kind hungrig sein müsste. Auch zum Beispiel Transferleistungen sollten ja so auskömmlich berechnet sein, dass niemand Hunger leiden muss. Von daher ist unser Ansatz, auch mit den Eltern in den Dialog zu gehen und zu erklären: Bei den Transferleistungen ist auch ein Teil dabei, der den Kindern zugutekommen sollte. Ansonsten sind unsere Mittel als Jugendamt begrenzt. Wir haben Einflussmöglichkeiten auf die Eltern, wir haben Möglichkeiten, in den Kitas dagegenzusteuern und über Jugendeinrichtungen nachzujustieren. Darüber hinaus werden beispielsweise in den Grundschulen Frühstück und Mittagessen im Rahmen des offenen Ganztags angeboten. Aber generell ist die Essensproblematik nicht unbedingt eine Problematik bestimmter Gesellschaftsschichten. Ich möchte an dieser Stelle betonen: Auch in Akademiker-Familien gehen Kinder ohne Frühstück zur Schule, weil der Tag vielleicht so durchgetaktet ist. Die Gründe sind vielschichtig und unsere Möglichkeiten begrenzt.

Wir haben über fehlende Kita-Plätze, Kostenexplosionen in der Erziehungshilfe und hungrige Kinder in Kitas und Schulen gesprochen. Hatten Sie Respekt vor der Aufgabe, gerade dieses Jugendamt zu übernehmen?

Roth: Respekt sollte man immer vor einer Aufgabe haben. Aber die Vorfreude hat eigentlich überwogen. Ich habe ja vorher zwei Jugendämter geleitet und war schnell überzeugt. Mir wurde der aktuelle Status aufgezeigt und ich wusste, dass ich hier einige Herausforderungen vorfinde. Ich habe aber einen tollen Mitarbeiterstamm mit vielen motivierten Mitarbeitenden vorgefunden, aber auch eine funktionierende Trägerlandschaft. Das ist immer wichtig, und da bin ich auch jetzt in vielen Gesprächen mit den Trägern und guten Mutes. Ich glaube, es ist viel Potenzial da. Ich sehe da einen Zusammenhang zum Fußball: Da sagt man ja auch, man muss Traditionsvereine aus dem Dornrösschen-Schlaf wecken. Ich glaube, so ist das beim Jugendamt in Oberhausen auch.

Sie haben schon einige Stationen erlebt. Was lässt Sie in der Jugendarbeit nicht los?

Roth: Was für mich immer wichtig war, ist, dass ich gerne zur Arbeit kommen möchte. Und das wünsche ich mir auch für meine Mitarbeitenden. Aber ich finde es schwierig auszuhalten, wenn unsere Möglichkeiten ausgeschöpft sind. Wenn wir Kinder haben, die unversorgt sind, und uns den 500sten Korb von einer Einrichtung geholt haben. Das sind die Dinge, die mich umtreiben. Wie geht es mit der Jugendhilfe weiter? Als Leiter einer der größten Jugendämter in Nordrhein-Westfalen sehe ich mich auch in der Pflicht, die Schwierigkeiten nach außen zu tragen und für echte Verbesserungen zu sorgen. So wie es in den vergangenen Jahren war, kann es nicht bleiben und wird es auch in Zukunft nicht funktionieren.

Zum Abschluss habe ich noch eine leichte Frage: Von welchem Verein sind Sie Fan?

Roth: Rot-Weiss Essen.

Ehrlich?

Roth: Ja. Schon immer gewesen. Aber ansonsten habe ich eine Affinität fürs Ruhrgebiet und seinen Fußball. Okay, Schalke geht nicht, aber alles andere.

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