Oberhausen. Die Theodor-Heuss-Realschule hat einen neuen Leiter. Im Interview spricht Markus Gaisenkersting über den komplizierten Start und seine Ziele.

Markus Gaisenkersting öffnet die Tür zu seinem Büro. Ein kleiner Containerraum mit Schreibtisch, einer Sitzgruppe und einem Gemälde an der Wand. Seit dem schweren Feuer an der Oberhausener Theodor-Heuss-Realschule erledigt die Schulverwaltung ihre Aufgaben in aufgestellten Containern auf dem Schulhof. Ein ungewöhnlicher Start für einen neuen Schulleiter. Der 55-Jährige leitet seit dem 1. August 2024 die Schule auf dem Tackenberg. Wir haben ihn zum ersten Interview getroffen.

Herr Gaisenkersting, am Schulgebäude laufen noch immer die Sanierungsarbeiten nach dem Brand im Juni 2024. War unter diesen Umständen überhaupt eine vernünftige Übergabe möglich?

Markus Gaisenkersting: Das war schon sehr ungewöhnlich. Als das Feuer ausbrach, schickte mir meine Mutter eine Whatsapp: „Schau mal, die Schule, bei der du dich beworben hast, brennt.“ Ich konnte das erst gar nicht fassen. Nach der erfolgreichen Bewerbung war ich dann jeden Tag hier. Die Kolleginnen und Kollegen sind überaus gut vernetzt und haben tolle Arbeit geleistet.

War das Feuer ein tiefer Einschnitt für die Schulgemeinschaft?

Gaisenkersting: Selbstverständlich. Zum einen konnten die Abschlussfeiern der Zehner nicht wie geplant stattfinden. Das war sehr schade. Zum anderen war es für die Kinder eine totale Umstellung. Ein Teil der Kinder wird jetzt in der leerstehenden Osterfelder Heide-Schule unterrichtet. Auch für uns Lehrer war es eine große Herausforderung: Wir mussten Unterrichtspläne für 750 Kinder erstellen, ohne genau zu wissen, welche Räume wir nach den Sommerferien zur Verfügung haben.

Theodor-Heuss-Realschule Oberhausen
An der Oberhausener Theodor-Heuss-Realschule laufen die Arbeiten. Die Räume, in denen die Flammen loderten, müssen komplett saniert werden. © FUNKE Foto Services | Dominik Loth

Wie geht es jetzt weiter?

Gaisenkersting: Die Arbeiten laufen auf Hochtouren und sind weit fortgeschritten. Die Handwerkerteams haben in den Ferien ganze Arbeit geleistet. Die Räume, in denen das Feuer war, müssen allerdings kernsaniert werden. Wahrscheinlich können wir um Sommer 2025 wieder das ganze Schulgebäude nutzen.

Sie waren die vergangenen sechs Jahre Konrektor der Anne-Frank-Realschule. Was hat Sie dazu bewogen, sich für eine Leitungsstelle zu bewerben?

Gaisenkersting: Was mich motiviert, ist, dass man als Schulleitung ganz andere Möglichkeiten hat, Bildungsarbeit zu gestalten. Für mich ist besonders wichtig, die Selbstverwirklichung der Kinder zu fördern. Daran möchte ich arbeiten. Noten und Abschlüsse sind nicht alles. Dafür bin ich ein gutes Beispiel.

Wie meinen Sie das?

Gaisenkersting: Ich bin gewissermaßen vom Hauptschüler zum Schulleiter geworden. Ich habe hier in Oberhausen die damalige Alsfeld-Hauptschule besucht, nachdem es auf dem Gymnasium nicht lief. Später habe ich am Hans-Böckler-Berufskolleg mein Fachabitur und anschließend eine Ausbildung zum Industriekaufmann gemacht. Über Umwege bin ich dann zum Lehrerberuf gekommen.

Zur Person

Markus Gaisenkersting hat Sozialwissenschaften, Philosophie und Geschichte studiert. In seinem Büro hat der Familienvater ein Gemälde seines Lieblingskünstlers Jean-Michel Basquiat hängen. Der 1988 verstorbene Maler gilt als erster Afroamerikaner, der in der überwiegend weißen Kunstwelt den Durchbruch schaffte. Zuletzt war die Stelle der Schulleitung nur kommissarisch besetzt, davor leitete Norbert Terlaack die Theodor-Heuss-Realschule.

Leistung ist also nicht alles?

Gaisenkersting: An der Realschule können die Kinder und Jugendlichen alle Abschlüsse machen und ihren Bildungsweg fortsetzen. Da muss man manchmal auch Eltern beruhigen, die die Realschule als Rückschritt betrachten. Den Schülerinnen und Schülern stehen weiter alle Wege offen. Außerdem ist für mich ein viel größerer Erfolg, wenn die Kinder im Laufe ihrer Schulzeit ein Selbstbild und eine Orientierung erlangen. Ich finde, wenn Kinder die Schule mit einem geordneten Wertesystem verlassen, ist viel erreicht.

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Was machen Sie mit Schülern, die sich diesem Weg komplett verweigern?

Gaisenkersting: Da gibt es ein klares Protokoll. Zunächst meldet die Klassenleitung, dass es ein Problem gibt. Dann folgen viele interne Gespräche. Fruchtet die Überzeugungsarbeit nicht, melden wir den Fall der Bezirksregierung, die dann Bußgelder festsetzen kann. Gleichzeitig werden auch städtische Behörden eingeschaltet, die ebenfalls einen Blick auf die familiäre Situation werfen.

Theodor-Heuss-Realschule Oberhausen
Markus Gaisenkersting in seinem Büro: Vermutlich noch bis zum Sommer 2025 muss der neue Schulleiter der Oberhausener Theodor-Heuss-Realschule mit den Containern vorliebnehmen. © FUNKE Foto Services

Was sind sind die größten Herausforderungen von Realschulen?

Gaisenkersting: Jedes Kind in seinen Bedürfnissen wahrnehmen. Wir haben Inklusionskinder, Geflüchtete, Realschüler und Hauptschüler. Sie alle bringen unterschiedliche Förderbedarfe mit. In einer Klasse von 30 Kindern kann es herausfordernd sein, jedem einzelnen gerecht zu werden. Kinder mit super Noten brauchen schließlich etwas ganz anderes als Kinder mit Förderbedarf.

Hauptschüler? Eigentlich sind doch alle Hauptschulen in der Stadt geschlossen werden.

Gaisenkersting: Das ist richtig. Aber laut Schulgesetz darf die Hauptschulform temporär an einer anderen Schulform eingesetzt werden. Wenn ein Realschüler beispielsweise zweimal die sechste Klasse nicht schafft, kommt er an unserer Schule in den Hauptschulbildungsgang und kann an unserer Schule noch einen Hauptschulabschluss erwerben. Hauptschüler und Realschüler sitzen so in einer Klasse, streben aber andere Abschlüsse an.

Wie würden Sie selbst ihren Führungsstil beschreiben?

Gaisenkersting: Vertrauen geht bei mir vor Kontrolle. Das ist mein großes Credo. Außerdem bin ich keine Ein-Mann-Kapelle, sondern ich begleite meine Kolleginnen und Kollegen bei ihren Zielen. Ich finde, dafür ist auch eine Arbeitszufriedenheit wichtig. Für diese Rahmenbedingungen bin ich zuständig. Das fängt schon beim Bewerbungsgespräch an: Für mich steht der Mensch im Mittelpunkt, also die sogenannten Soft Skills. Bewerbungsgespräche, in denen nur Punkte einer Liste abgeklappert werden, habe ich früher schon für wenig sinnvoll gehalten.

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