Oberhausen. Pflegeversicherungen stehen unter Druck: Immer mehr Menschen beziehen Leistungen, auch in Oberhausen. Ein Experte zeigt die Folgen auf.
Immer mehr Oberhausener beantragen Leistungen bei der Pflegeversicherung. Doch die soll kurz vor der Pleite stehen. Damit wächst die Sorge, dass Zahlungen künftig ausbleiben oder verstärkt abgelehnt werden, weil die Mittel nicht mehr reichen. Doch kann so etwas wirklich passieren? Wir haken bei Oliver Hartmann nach. Hartmann ist Regionaldirektor der AOK Rheinland/Hamburg und damit für die AOK-Versicherten in Oberhausen, Mülheim, Duisburg und Essen zuständig.
Nach Recherchen des Redaktionsnetzwerkes Deutschland könnte die Pflegeversicherung bereits im Februar 2025 zahlungsunfähig sein. Tatsächlich räumt selbst die Regierungskoalition ein, dass die Lage angespannter als je zuvor ist. Wie konnte das passieren? „Eine einfache Antwort darauf gibt es nicht“, sagt Hartmann. Aber zumindest gute Gründe. „Die Corona-Pandemie hat sowohl die Pflegeversicherung als auch die Krankenversicherungen unplanmäßig viel zusätzliches Geld gekostet.“ Denn die vielen, besonderen Leistungen für die stationären Einrichtungen mussten, so Hartmann, organisiert und eben auch bezahlt werden. Masken, Desinfektionsmittel, Schutzkleidung seien da nur die kleineren Posten gewesen.
Dazu kommt: Zum 1. Januar 2017 erfolgte die Einführung der neuen Pflegegrade. „Gesellschaftlich gewollt hatten durch die Einteilung in fünf Pflegegrade statt der bis dahin geltenden drei Pflegestufen erstmals deutlich mehr Menschen ein Recht auf Leistungen.“ Besonders deutlich sei dieser Anstieg im Bezirk der AOK Rheinland/Hamburg in den ersten beiden Pflegegraden ausgefallen. Zum Stichtag 1. Juli 2018 etwa habe es noch 13.270 Versicherte mit dem Pflegegrad eins gegeben. „Zum 1. Juli 2024 waren es bereits 35.335.“
AOK-Regionaldirektor fordert eine breitere Kostenverteilung für die Pflegeversicherung
Ähnlich deutlich falle der Sprung beim Pflegegrad zwei aus. „Von 82.009 zum 1. Juli 2018 auf 118.079 zum 1. Juli 2024.“ Eine älter werdende Gesellschaft und die erstmalige Berücksichtigung der Einschränkungen für Demenzerkrankte habe aber auch in den übrigen Pflegegraden zu mehr Leistungsbeziehern geführt (insgesamt plus 52.396). „All dies bringt zusätzliche Kosten mit sich, die bezahlt werden müssen.“ Aber nicht mehr bezahlt werden können?
„Richtig ist, die Gelder sind knapp, falsch ist, dass die Pflegeversicherung vor der Pleite steht“, sagt Hartmann. „Sowohl die Pflegeversicherung als auch die Krankenkassen haben immer eine staatliche Deckung.“ Das bedeutet: „Reichen die Mittel nicht aus, muss die Politik das ausgleichen.“ Gefordert sei jetzt dennoch endlich eine bessere, langfristige Finanzierbarkeit der Pflege. „Bisher erhalten wir dafür nur Beiträge aus den Lohnnebenkosten“, erläutert Hartmann. „Ist das so wirklich gerecht? Wieso fordern wir nicht auch Beiträge etwa aus Kapitalerträgen?“, stellt der AOK-Regionaldirektor in den Raum.
Wenn die Politik an der Maxime festhalten wolle, dass die Lohn- und Nebenkosten nicht über 45 Prozent steigen sollten, müssten sich die Verantwortlichen etwas einfallen lassen. „Das kann eine komplette Steuerfinanzierung sein, wie es nordische Nachbarländer praktizieren, oder eben eine stärkere Einbeziehung von Kapital und Vermögen.“
Und bis dahin brauchen sich Pflegebedürftige keine Sorgen zu machen, dass ihre Leistungen gekürzt oder gar abgelehnt werden? „Nein“, versichert Hartmann. Für die Feststellung der Pflegebedürftigkeit sei der von den Krankenkassen unabhängige Medizinische Dienst zuständig, der sich an einem gesetzlich festgelegten Regelwerk orientieren muss. „Da haben wir keinen Einfluss drauf.“
Tatsächlich sprechen die Fakten für sich: Im Jahr 2022 erhielten 5868 AOK-Versicherte in Oberhausen Mittel aus der Pflegeversicherung, ein Jahr später waren es bereits 6290 (jeweils ambulant und stationär). Von 1339 zusätzlichen Anträgen auf Pflegegeld wurden in Oberhausen 2022 noch 934 bewilligt, ein Jahr darauf wurden von 1496 Anträgen 1042 genehmigt.
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