Oberhausen. In Oberhausen hat sich eine Selbsthilfegruppe für einsame Menschen gebildet. Betroffenen schildern eindrücklich ihre Gefühlswelt.

  • Selbsthilfegruppe „Gemeinsam einsam“ bietet in Sterkrade Unterstützung an
  • Teilnehmende berichten von ihren Erfahrungen und unterstützen sich gegenseitig
  • Laut Gruppenleiterin hat die Corona-Pandemie das Problem der Einsamkeit verschärft.

Ein Eichhörnchen huscht den Baumstamm hoch in die Baumkrone. Die Ablenkung vor dem Fenster des Psychosozialen Gesundheitszentrums in Sterkrade zaubert den fünf Teilnehmern der Selbsthilfegruppe ein Lächeln ins Gesicht. Die Freude über das Eichhörnchen lenkt die Teilnehmer kurz vom eigentlichen Grund des Treffens ab: Sie alle fühlen sich einsam.

Auch Frank Overmann Lübbers strahlt, als er das Eichhörnchen sieht. Dabei ist es alles andere als selbstverständlich, dass der Mann mit dem Drei-Tage-Bart in dieser Runde am Tisch sitzt. Der 54-Jährige hat fünf Selbstmordversuche hinter sich und leidet unter psychischen Problemen. Seine Kappe mit der Aufschrift „Ruhrpott“ hat er tief ins Gesicht gezogen. Doch verstecken will er sich und seine Geschichte nicht.

Das sind die Strategien der Oberhausener gegen Einsamkeit im Alltag

Frank Overmann Lübbers besucht regelmäßig die Oberhausener Selbsthilfegruppe „Gemeinsam einsam“. Er spricht dort offen über seine psychischen Probleme und die Ausprägungen seiner Einsamkeit.
Frank Overmann Lübbers besucht regelmäßig die Oberhausener Selbsthilfegruppe „Gemeinsam einsam“. Er spricht dort offen über seine psychischen Probleme und die Ausprägungen seiner Einsamkeit. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

Seit 18 Jahren ist er mit einem Mann verheiratet und das „sehr glücklich“. Und trotzdem fühlt er sich einsam. Auch in einem Raum voller Menschen könne man sich einsam fühlen, beschreibt Frank. „Oft fühlt man sich im Leben wie ein Mensch zweiter Klasse. Erst kommen die Gesunden und dann wir. Die, die psychische Probleme haben.“ Frank erhält für diese Aussage zustimmendes Nicken der Anderen.

„„Ich musste mich wirklich durchringen, dort hinzugehen. Ich habe es jeden Tag aufgeschoben. Am letzten Tag habe ich mir selbst gesagt, dass ich nun gehen muss, weil es meine letzte Chance ist.““

Jürgen besucht die Oberhausener Selbsthilfegruppe „Gemeinsam einsam“. Der Besuch der Cranger Kirmes kostete ihn viel Überwindung.

Um mit der Einsamkeit umzugehen, hat jeder der Gruppe „Gemeinsam einsam“ seine eigenen Strategien. Jürgen (Name von der Redaktion geändert) unternimmt regelmäßig etwas. Er sei der Aktivste der Gruppe, berichten die anderen Teilnehmer. Jürgen beschreibt, dass es ihm nicht leicht falle, rauszugehen, aber es für ihn eine bessere Alternative sei, als alleine zu Hause auf dem Sofa zu sitzen. Vor Kurzem war Jürgen auf der Cranger Kirmes. Der Besuch sei eine ganz schöne Herausforderung gewesen: „Ich musste mich wirklich durchringen, dort hinzugehen. Ich habe es jeden Tag aufgeschoben. Am letzten Tag habe ich mir selbst gesagt, dass ich nun gehen muss, weil es meine letzte Chance ist. Dann habe ich es doch noch geschafft.“

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Frank zeichnet gerne und liebt es, Filme zu schauen: „Letztens habe ich ,Findet Nemo´und ,Pumuckl´geschaut. Manche Menschen machen sich darüber lustig, aber ich schaue das gerne!“ Gruppenleiterin Sonja Fritsch tanzt gerne in ihrer Wohnung, auch alleine. Hund Biene ist ein treuer Begleiter in ihrem Alltag. Einen menschlichen Kontakt könne der knuffige Vierbeiner aber nicht ersetzen. Bewegung tue der 68-Jährigen immer gut.

In der Selbsthilfegruppe „Gemeinsam einsam“ vergessen die Teilnehmer für einen Moment ihren Alltag. Sie fühlen sich hier wertgeschätzt und angenommen. Leiterin Sonja Fritsch und Teilnehmer Frank Overmann Lübbers mögen den Austausch, den sie in der Gruppe haben.
In der Selbsthilfegruppe „Gemeinsam einsam“ vergessen die Teilnehmer für einen Moment ihren Alltag. Sie fühlen sich hier wertgeschätzt und angenommen. Leiterin Sonja Fritsch und Teilnehmer Frank Overmann Lübbers mögen den Austausch, den sie in der Gruppe haben. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

Doch einfach rausgehen, etwas unternehmen oder sich verabreden hilft nur bedingt gegen die innere Leere. Viele Menschen würden nicht verstehen, was es heißt, einsam zu sein, beschreibt Sonja. Das ist in der Selbsthilfegruppe des Paritätischen Wohlfahrtverbandes anders. „Man trifft hier auf Gleichgesinnte und bekommt die volle Unterstützung“, sagt Sonja. Alle Teilnehmer haben mit psychischen Problemen zu kämpfen und sind in Therapie.

Die Einsamkeit kann sowohl die Ursache, als auch die Folge einer psychischen Erkrankung sein, berichten die Mitglieder. Wissenschaftler beschreiben Einsamkeit als „eine wahrgenommene Diskrepanz zwischen den gewünschten und den tatsächlichen sozialen Beziehungen“. In der Gruppe gibt es Unterschiede, wie sich die Einsamkeit im Alltag zeigt. Viele Teilnehmer seien oft traurig und würden viel weinen. Auch Wut und Aggressivität können Folgen der Einsamkeit sein. Andere beschreiben, dass sie viel schlafen. Das hinge mit mangelnder Struktur im Alltag, aber auch mit Tabletten, die müde machen zusammen.

Teilnehmer von „Gemeinsam einsam“ fühlen sich in der Runde akzeptiert und geborgen

Die Corona-Pandemie und die zunehmende Nutzung von Elektrogeräten verschärfen das Problem der Einsamkeit. „Immer mehr Menschen ziehen sich seitdem zurück und vermeiden den Kontakt zur Außenwelt“, sagt Sonja. Sie empfiehlt, ganz bewusst auch mal auf das Handy zu verzichten und den Kontakt zu Menschen in der realen Welt zu suchen.

„Ich bin wieder jemand. Ich fühle mich nicht mehr wertlos.“

Frank Overmann Lübbers
Teilnehmer einer Selbsthilfegruppe gegen Einsamkeit

Der Schritt, eine Selbsthilfegruppe aufzusuchen, war für alle Teilnehmenden schwer. Denn das Gefühl von Einsamkeit wird oft als Schwäche gesehen. Frank erzählt von einem gestiegenen Selbstwertgefühl, seitdem er Teil der Selbsthilfegruppe ist: „Ich bin wieder jemand. Ich fühle mich nicht mehr wertlos.“ Er fühlt sich hier verstanden und akzeptiert - genauso, wie er ist: „Wenn jemand Hilfe braucht, sind wir für ihn da. Wir lassen niemanden hängen.“

Als Frank vor ein paar Monaten sein Bein gebrochen hatte, holte Sonja ihn freitags mit dem Auto ab, damit er weiterhin an den Sitzungen teilnehmen konnte. Das Gefühl dazuzugehören, möchte Frank auch an neue Gruppenmitglieder weitergeben. Seit Mai 2024 trifft sich die Gruppe alle zwei Wochen freitags um 17 Uhr.

Der Abend beginnt mit einer Runde, in der jeder erzählen darf, wie er sich fühlt. Wer lieber still sein möchte, darf das auch sein. „Wir holen jeden dort ab, wo er steht. Hier herrscht ein ganz vertrauter und respektvoller Umgang untereinander“, beschreibt Sonja die Atmosphäre innerhalb der Gruppe. Manchmal duellieren sich die Mitglieder auch bei einer Runde Darts oder Gesellschaftsspielen, um die Stimmung ein wenig aufzulockern. Neue Mitglieder jeder Altersgruppe sind in der Runde herzlich willkommen und können sich beim Paritätischen Wohlfahrtsverband in Oberhausen unter der E-Mail-Adresse ob.gemeinsam.einsam@gmail.com melden.

„Gemeinsam einsam“ in Oberhausen: Hilfe für einsame Menschen

Im familiären Umfeld oder dem Freundeskreis fühlen sich die Teilnehmer selten verstanden. „Viele Freunde sind mit der Situation überfordert. Oft hilft es schon, wenn andere Menschen zuhören. Auch wenn sie das Gefühl der Einsamkeit nicht verstehen können“, sagt Sonja.

Aktuell bezuschusst die Landesregierung NRW Projekte rund um das Thema Einsamkeit mit je 1.000 Euro. Das Thema des Förderprogramms lautet: „Miteinander engagiert - Du+Wir=Eins. Nordrhein-Westfalen gegen Einsamkeit“. Engagierte, Vereine oder zivilgesellschaftliche Zusammenschlüsse und Initiativen können das Geld seit dem 19. August unter engagementfoerderung.nrw beantragen. Der Stadt Oberhausen stehen 29.000 Euro zur Verfügung. Weitere Informationen gibt es unter engagiert-in-nrw.de.

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