Oberhausen. Seit 20 Jahren steigen die Fälle von Schlafstörungen an. Noch nie aber waren es so viele wie jetzt. Noch nie gab es so viele Krankmeldungen.
Noch schnell die Mails checken: Das Rund-um-die-Uhr-Arbeitsleben weitet sich aus – mit schlimmen Folgen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Noch nie gab es so viele Betroffene wie jetzt – alleine in Oberhausen sind es rund 15.000 – und noch nie haben sich so viele krank gemeldet. Darauf weist die AOK Rheinland/Hamburg hin. Woran liegt das? Prof. Dr. Maritta Orth, Chefärztin der Pneumologie, Schlaf- und Beatmungsmedizin an der Helios St. Elisabeth Klinik Oberhausen, klärt auf.
Nach Angaben der AOK Rheinland/Hamburg haben sich die Fälle körperlich bedingter Schlafstörungen seit 2004 verdreifacht. Bei den psychisch begründeten Schlafstörungen seien die Fallzahlen sogar sieben Mal so hoch. „In beiden Diagnosegruppen gab es 2023 so viele Fälle wie nie zuvor“, heißt es in der aktuellen Pressemitteilung der Krankenkasse. Auf 100 Beschäftigte seien bereits 2,27 Krankmeldungen wegen Schlafproblemen gekommen. Damit sind Schlafstörungen zur Volkskrankheit geworden. Da bildet auch Oberhausen keine Ausnahme. Doch weshalb steigen die Fallzahlen so stark an?
„Wir entwickeln uns gegen unsere Natur zunehmend zu einer 24-Stunden-Gesellschaft“, erläutert Maritta Orth. Die Helios-Chefärztin und ihr Team behandeln allein in Oberhausen pro Quartal zwischen 300 und 400 Patientinnen und Patienten auf ihrer Station. Die meisten davon mit Schlafapnoe, also Atemaussetzern in der Nacht. Doch die Expertin weiß: „Bereits rund sieben Prozent aller Deutschen leiden inzwischen an Ein- und Durchschlafstörungen.“ Das belegt auch eine Analyse der Barmer, die Krankenkasse spricht von deutschlandweit 6 Millionen Betroffenen, in Oberhausen sind es etwa 15.000.
Herzinfarkt und Bluthochdruck können schlimme Folgen von Schlafstörungen sein
Die Folgen sind gavierend: „Denn wer nicht genug schläft, hat auf lange Sicht ein höheres Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Stoffwechselkrankheiten.“ Herzinfarkt, Bluthochdruck und Diabetes mellitus werden wahrscheinlicher. „Schlafmangel schwächt das Immunsystem und kann zu einer erhöhten Infektanfälligkeit führen.“ Die Unfallgefahr steigt bei Müdigkeit ebenfalls. Bleiben Schlafstörungen unbehandelt, können sie sogar zu Depressionen führen.
Auslöser sind vor allem: ständige Erreichbarkeit, Reizüberflutung durch Medienkonsum, dauerhafte berufliche Überlastung sowie die Spätfolgen der Corona-Pandemie. „Licht und Dunkelheit spielen als natürliche Zeitgeber keine Rolle mehr“, sagt Orth. Unternehmen produzieren bei Bedarf rund um die Uhr. „Kein Wunder, dass Schichtarbeiter besonders von Schlafstörungen betroffen sind.“ Aber auch der normale Arbeitnehmer leide. „Unsere Leistungshochs liegen zwischen 8 und 11.30 Uhr und 14 und 18 Uhr.“ Eine längere Auszeit über Mittag aber könne sich kaum ein Angestellter gönnen. „Die Folgen spüren gerade ältere Mitarbeitende.“
Dazu kommen eine gestiegene Arbeitsdichte und „das Gefühl, rund um die Uhr erreichbar sein zu müssen“, gibt Orth wieder, was sie von ihren Patientinnen und Patienten erfährt. Da ruft der Chef mal eben gegen 20 Uhr noch an, weil er eine dringende Frage hat. „Kein Einzelfall.“ Oder schickt bis 21 Uhr ein paar Mails, die für die Besprechung am nächsten Tag doch so wichtig sind. Und so wandern immer mehr Berufstätige gleich mit ihrer Arbeit ins Bett. Was einige Zeit gut gehen mag, rächt sich irgendwann gewaltig.
Hat dann das Gedankenkarussell erst Fahrt aufgenommen, lässt es sich so schnell nicht stoppen. Wer jetzt dauerhaft zu Schlafmitteln greift, landet rasch im zusätzlichen Teufelskreislauf der Sucht. Was also tun? „Schlafmittel nie länger als höchstens vier Wochen einnehmen und statt dessen lieber frühzeitig Grenzen setzen“, rät Orth. „Sich und dem Chef.“ Wer als Vorgesetzter von seinen Mitarbeitenden ständige Erreichbarkeit einfordert, sollte außerdem dringend sein eigenes Verhalten hinterfragen. „Denn da stimmt dann was nicht.“
Zunehmend von Schlafstörungen betroffen seien aber auch junge Menschen. „Dieser absolute Ausnahmezustand während der Corona-Jahre 2020 bis 2022 war für Kinder und Jugendliche purer Stress.“ Viele hätten seelische Folgeschäden davongetragen. „Die sich jetzt auch in Schlafstörungen äußern.“
Handy, Tablet und Co. gehören nicht ins Schlafzimmer
Erste-Hilfe-Regel für junge und ältere Betroffene: „Am späten Abend alle digitalen Medien ausschalten.“ Vor allem Jugendliche nehmen ihr Handy oder ihr Tablet jedoch gerne mit ins Bett und finden das ganz normal. „Das ist es aber nicht.“ Kein gutes Vorbild sei allerdings auch der Fernseher im Schlafzimmer der Eltern. „Der hat da nichts verloren, das ist ein Ort der Ruhe.“ Die Expertin empfiehlt stattdessen vor dem Schlafengehen: „Bewegung, etwa durch einen Abendspaziergang, eine kleine Radtour, oder Entspannung durch ein gutes Buch, ruhige Musik.“
Wer übrigens abends auf der Couch müde wird, sollte sofort aufstehen und ins Bett gehen. „Anstatt einzuschlafen, aufzuwachen, ins Bett zu gehen und nicht mehr einschlafen zu können.“ Generell gilt: „Wer länger als 30 Minuten wach im Bett liegt, sollte aufstehen.“ Bei Schlaflosigkeit kann auch eine Verhaltenstherapie mit Schlafentzug helfen. „Schlafmediziner und Psychologen bieten Wochenendworkshops an.“
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