Oberhausen.
Sigmund Freud soll gesagt haben, der Autor Arthur Schnitzler habe die Ergebnisse seiner Forschungen vorweggenommen: Sexuelle Fantasien und Begierden prägen den Menschen immer, auch wenn sie nicht zu Taten führen.
In der „Traumnovelle“ führen nicht nur die Hauptpersonen Fridolin und Albertina dieses „Kopfkino“ vor, alle Beteiligten sind betroffen. Regisseur Roland Spohr verwandelte die Novelle in eine packende Inszenierung. Premiere war am Sonntagabend im Malersaal des Theaters.
Wer Spohrs Handschrift kennt - in Oberhausen inszenierte er „Trüffelschweine“ und „Die Verwirrungen des Zöglings Törleß“ -, ahnte es schon: Das Werk ist wieder ein „Theaterhybrid aus Bühne, Film und Musik“ (Spohr). Eine Mischung, die extreme Anforderungen an die Schauspieler stellt, denn der Film entsteht live während des Spiels. Friedrich Schönig ist stets mit der Kamera zugegen, projiziert die Akteure oder Details von ihnen auf zwei große Wände und erzeugt außerdem zusätzliche Bilder. Das können Impressionen sein, die visualisieren, was die Akteure denken oder die traumhaften Orte. Der Zuschauer wird dadurch gefesselt und ins Geschehen hineingezogen. Die Überlegung, wie sowas möglich ist, weicht schnell dem Genuss dieses außergewöhnlichen multimedialen Erlebnisses, das obendrein noch höchst musikalisch ist. Karsten Riedel sorgt singend, an der Gitarre, am Klavier oder an der Celesta (Tasteninstrument mit Glockenspielton) für eine fantastische Begleitung.
Fridolin (Peter Waros) und Albertine (Susanne Burkhard) lieben sich, sind glücklich. Die Stimmung schlägt um, als Albertine ihrem Ehemann gesteht, dass sie sich im Urlaub von einem jungen Mann angezogen fühlte. Sie genießt es zusehends, Fridolin zu irritieren. Es ist hohe Schauspielkunst, wie es den beiden Schauspielern gelingt, der anschwellenden Dramatik, die das Geständnis auslöst, Gestalt zu geben. Wie sie immer mutiger wird, ihn sogar herausfordert und er immer wütender wird.
Da ist er noch nicht einmal geträumt, geschweige denn erzählt: Albertines Traum, der ihre wahren extremen Begierden thematisiert und in Fridolin Hass auslöst. Er beschließt sich zu rächen, will ein sexuelles Abenteuer erleben, um seine Frau später damit zu konfrontieren. Der Zuschauer begleitet ihn auf seinem Weg ins verruchte Nachtleben im Wien der 20er Jahre, das ihn, den Herrn Doktor, eigentlich nicht will. Nachtigall (Klaus Zwick), ein ehemaliger Freund, verschafft ihm den Eintritt. Zwick, der auch einen Portier und den Kostümverleiher spielt, gelingt es, ein bisschen Komik ins eher tragische Geschehen zu bringen. Er macht das wohl dosiert, überspitzt zwar, aber nicht lächerlich wirkend.
Eine imponierende Leistung in einer ihrer Rollen liefert auch Manja Kuhl ab als Marianne, Tochter des Hofrates, der soeben verstorben ist. Sie, die kurz vor der Ehe steht, gesteht dem Herrn Doktor am Sterbebett ihres Vaters, dass sie ihn liebt und will ihn sogar zu einer Affäre mit ihr verführen. Eine Szene, die den Titel „Doppelnovelle“, den Schnitzler seinem Werk eigentlich geben wollte, besser nicht rechtfertigen könnte, denn sie doppelt praktisch die Fantasie von Albertine und schockiert Fridolin umso mehr.
Spohrs Traumnovelle wird von den Beteiligten im Originaltext erzählt. Echte Dialoge gibt es nur, wenn sie auch im Text stehen. Ein Kunstgriff, der zunächst ein wenig irritiert, den man aber, hineingezogen ins Geschehen, als besonders reizvolles Merkmal der Inszenierung genießt.