Oberhausen. Als Tota vor ihrem gewalttätigen Mann flüchtete, ahnte sie nicht, wie lange es dauern würde, ein Zuhause für sich und ihre vier Kinder zu finden.

Wer sich mit Tota unterhält, erlebt eine selbstbewusste Frau. 34 Jahre alt, Mutter von vier Kindern. Sie wirkt resolut, schaut mit offenem Blick ihr Gegenüber an, trägt stolz ihren Schleier nach traditioneller Art ihres Heimatlandes.

Man sieht Tota, die nicht wirklich so heißt, ihre Geschichte nicht an. Dass sie Gewalt durch ihren Ehemann erlebt hat, ins Frauenhaus flüchten musste und sich hier Schritt für Schritt ein eigenes Leben aufgebaut hat. Ihr größter Wunsch, ein neues Zuhause für sich und ihre Kinder, ist erst nach einem ganzen Jahr in Erfüllung gegangen. Vor kurzem konnte sie ihre Notunterkunft endlich verlassen. Totas Geschichte ist kein Einzelfall, im Oberhausener Frauenhaus finden Bewohnerinnen immer häufiger keine geeignete Unterkunft. Ein Problem mit gravierenden Folgen.

Tota, die aus Eritrea stammt und ihrem Mann vor sechs Jahren nach Deutschland folgte, kann sich noch gut an jenen Tag erinnern, an dem sie zum ersten Mal geschlagen wurde. „Ich war im vierten Monat schwanger mit dem zweiten Kind“, erzählt sie. „Am nächsten Tag sollten Freunde kommen, um unsere neue Wohnung zu feiern. Mein Mann ging aus und ließ mich alleine mit allen Vorbereitungen. Ich rief ihn an, sagte ihm, dass er mir helfen muss. Seine Freunde sagten: Du bist doch ein freier Mann. Lässt du dir so etwas von deiner Frau gefallen? Er kam wütend nach Hause und ich hatte eine Faust im Gesicht.“

„Mama, warum haben wir keine Wohnung?“

Seit über 40 Jahren schon gibt es das Frauenhaus in Oberhausen. Betrieben wird der Zufluchtsort an geheimer Adresse vom Verein „Frauen helfen Frauen“, der auch eine Beratungsstelle an der Helmholtzstraße hat. Aktuell sind zehn Frauen untergebracht, sechs davon mit Kindern. „Die meisten sind Opfer häuslicher Gewalt geworden – psychisch, finanziell, körperlich“, erklärt Fatna Choual, pädagogische Hilfskraft im Frauenhaus.

In letzter Zeit suchten auch auffällig viele 19- und 20-Jährige Hilfe, die von ihrem Freund oder Vater misshandelt wurden. Eine neue Entwicklung. Üblicherweise kämen jedoch Ehepartnerinnen oder Lebensgefährtinnen von Männern, die sie über Jahre hinweg kleingehalten hätten, sagt Choual. „Diese Frauen sind oft unselbstständig und unsicher.“ Stammen sie aus nichtdeutschen kulturellen Hintergründen, kämen auch Schwierigkeiten mit der Sprache hinzu.

Es sollte nur kurzzeitig ihre Bleibe sein, doch Tota und ihre Kinder mussten ein Jahr lang im Oberhausener Frauenhaus Quartier beziehen, weil sie keine Wohnung finden konnten.
Es sollte nur kurzzeitig ihre Bleibe sein, doch Tota und ihre Kinder mussten ein Jahr lang im Oberhausener Frauenhaus Quartier beziehen, weil sie keine Wohnung finden konnten. © FUNKE Foto Services | Gerd Wallhorn

Auch Tota spricht nicht besonders gut Deutsch. Sie beantwortet Fragen lieber auf Arabisch, was Fatna Choual dank ihrer marokkanischen Abstammung übersetzen kann. Sie erzählt von ihrem Sprachkurs, den sie regelmäßig besucht. Von den Plätzen in Schule und Kita, die mithilfe der Stadt gefunden werden konnten. Sie nutzt die Zeit, ist ständig auf Wohnungssuche. Immer wieder kommt es zu Besichtigungen. Die ständigen, meist unbegründeten Absagen frustrieren. Ihr ältester Sohn, sieben Jahre alt, fragt täglich: Mama, warum haben wir keine Wohnung? Ein Jahr lang durfte er keine Freunde einladen, so sind die Regeln im Frauenhaus.

Schwierige Wohnungssuche: Spielt Rassismus eine Rolle?

„So schwer wie bei ihr war es noch nie“, sagt Fatna Choual über ihren Schützling Tota. So oft hätten sie gedacht, dass es klappen würde, und dann doch wieder eine Absage bekommen. Natürlich sei es schwierig, für eine Alleinerziehende mit vier Kindern etwas Passendes zu finden. Doch Tota sei vorbildhaft zuverlässig, pünktlich, ordentlich, sauber. „Meine Kinder benehmen sich gut“, fügt sie selbst hinzu. Die Miete wird komplett vom Amt gezahlt, das sei ohne Risiko für Vermieter. Da sei es schon auffällig, wie oft sie ein Nein gehört hätten, obwohl alles passte. Neben dem Argument eines angespannten Wohnungsmarktes vermutet Choual dahinter auch rassistische Vorurteile einer verschleierten muslimischen Frau gegenüber.

Kämpft für eine gesellschaftliche Sichtbarkeit „ihrer“ Frauen und deren Probleme: Fatna Choual, Mitarbeiterin im Oberhausener Frauenhaus.
Kämpft für eine gesellschaftliche Sichtbarkeit „ihrer“ Frauen und deren Probleme: Fatna Choual, Mitarbeiterin im Oberhausener Frauenhaus. © FUNKE Foto Services | Gerd Wallhorn

„Was sollen wir mit diesen Frauen machen“ fragt Fatna Choual verzweifelt. „Das Frauenhaus ist keine Dauerlösung. Es ist nur gedacht für die Zeit, bis sie wieder stabil sind und in die Selbstständigkeit entlassen werden können.“ Ein ganzes Jahr hier zu verbringen wie Tota und ihre Kinder, sei weder für die Betroffenen gut noch für das gesamte System. Choual: „Vor sechs Jahren noch haben wir jährlich 100 Frauen bei uns aufnehmen können. Aktuell sind es nur 30 bis 32.“ Früher seien die Zimmer maximal drei Monate belegt gewesen, heute seien es sechs bis zwölf Monate. Dies liege daran, dass keine geeigneten Wohnungen gefunden werden könnten.

Erst die Flucht übers Meer, dann vor dem gewalttätigen Ehemann

Tota und ihre Kinder sind endlich umgezogen. „Meine Gebete wurden erhört“, sagt sie. Die Beziehung zu ihrem Mann, die in Deutschland umgeschlagen ist in Gewalt und Aggressivität, hat sie längst hinter sich gelassen. „Für mich ist er gestorben.“ So oft er sich auch entschuldige und bei ihren Brüdern in Eritrea telefonisch nachfrage, ob sie nicht vermitteln könnten: Für Tota ist dieses Kapitel beendet. Zu oft hat sie ihm seine Wutausbrüche verziehen, das zerschlagene Geschirr in der Nacht weggeräumt, wenn die Kinder schliefen.

„Sobald er Stress hatte und unter Druck war, hat er es an mir ausgelassen.“ Damals sah sie keine andere Perspektive für sich: „Ich war doch alleine in Deutschland.“ Immer wieder habe sie sich gesagt: „Ich habe Schlimmeres erlebt“ und dabei an ihre Flucht nach Europa über das Meer gedacht. Doch sie will dieses Leben nicht weiter führen.

Trösten und stärken: Im Frauenhaus sollen die Bewohnerinnen stabilisiert werden und dazu ermutigt, ein selbstständiges Leben zu führen.
Trösten und stärken: Im Frauenhaus sollen die Bewohnerinnen stabilisiert werden und dazu ermutigt, ein selbstständiges Leben zu führen. © FUNKE Foto Services | Gerd Wallhorn

Den Mut, Nein zu sagen; die Kraft, sich selbst zu helfen, all dies lernen Frauen wie Tota im Frauenhaus. Sie erfahren Trost und werden gestärkt für die Zukunft. Doch in einigen Dingen sind auch die Expertinnen, die hier arbeiten, machtlos. „Der soziale Wohnungsmarkt ist ausgeschöpft“, sagt Fatna Choual.

Dennoch gebe es ja zurzeit eine große Welle der Hilfsbereitschaft für geflüchtete Frauen und Kinder aus der Ukraine. „Ich wünsche mir, dass alle Menschen, die eine traumatische Fluchterfahrung gemacht haben, gleichberechtigt behandelt werden – egal, ob sie vor Krieg oder Gewalt in der Beziehung geflüchtet sind.“ Ihre Forderung richtet sich nicht nur an Privatpersonen, die Wohnraum zur Verfügung stellen: „Die Politik muss sich für die Frauen im Frauenhaus einsetzen. Sie sind auch ein Teil dieser Gesellschaft.“