Essen. Die Drogen-Kriminalität steigt wieder. Oberhausen ist „Rauschgift-Hauptstadt“ von NRW – und noch stärker belastet als Hamburg oder Berlin.
So sieht ein gelungener Coup von Polizei und Zoll aus: Bei Siegen enttarnten Beamte unter der Regie des Hagener Polizeipräsidiums Anfang 2014 einen italienischen Sattelzug mit Dachlatten, der in einer Lagerhalle geparkt war. Es war ein Marihuana-Transporter. Von Siegen führte die Spur direkt nach Hamburg, wo ein ähnlicher Transit aufflog. Am Ende stürmten bei heftiger Gegenwehr 800 Sicherheitskräfte das Anbaugebiet bei Lazaret in Albanien und verwüstete die Quelle. In Lazaret konnte die Drogenmafia bis dahin jedes Jahr 900 Tonnen Cannabis ernten. Der Marktwert: 4,5 Milliarden Euro.
Zahl der Drogentaten steigt um zehn Prozent
Doch eingedämmt hat auch der Sieg von Siegen den illegalen Markt nicht entscheidend. Als wären Einbrecher und Taschendiebe, Cyber-Kriminelle und Terror nicht genug Herausforderung für Deutschlands gestresste Sicherheitsbehörden: Crime um die Droge nimmt wieder zu. In Bund und Land sind die Straftaten rings ums Rauschgift um knapp zehn Prozent gestiegen.
Auch interessant
In Nordrhein-Westfalen ist im Jahr 2014 mit 60.674 Delikten der zweithöchste Stand der Rauschgiftkriminalität der letzten 20 Jahre erreicht worden. Drei Viertel der Verfahren betreffen Konsumenten, ein Viertel die Dealer und Schmuggler. Die Zahl der Konsumenten, die erstmals mit harten Drogen auffällig werden, ist sogar um ein Fünftel (19,5 Prozent) gewachsen.
NRW macht überdies Schlagzeilen mit seinen Eigengewächsen. 31 Indoor-Plantagen für Cannabis flogen auf, darunter in Sprockhövel, wo acht Container, eingegraben ins Erdreich, eine unterirdische Fabrikation einhüllten. Vom Betreiber? Keine Spur. Indizien deuten darauf hin, dass er umgebracht wurde. Es ist das brutale Geschäft der organisierten Kriminalität.
Kleinere Städte haben immense „Wachstumsraten“
Manche kleinere Städte haben immense „Wachstumsraten“: Viersen und Heinsberg mit 87 und 69 Prozent, auch Krefeld mit einem Plus von 153 Prozent, was offenbar auf ein Großverfahren im Zusammenhang mit „Legal Highs“-Funden zurückzuführen ist. Aber die jüngsten Lageberichte von Bundes- und Landeskriminalamt bestätigen: Die Revierstadt Oberhausen ist – nach Krefeld aus den genannten Gründen – die „Drogenhauptstadt“ des bevölkerungsreichsten Bundeslandes.
Auch interessant
Gemessen wird das mit dem Verhältnis von festgestellten Straftaten zur Einwohnerzahl. Das Ergebnis ist also ebenso Indiz für einen lokalen Polizeierfolg wie auch für die Aktivität der Szene. Die Fahnder stellten hin Oberhausen im vergangenen Jahr 1414 Rauschgift-Taten fest, das sind 676 pro 100 000 Bewohner. Damit bewegt sich Oberhausen auf Landesebene nicht zum ersten Mal ganz vorne in der einschlägigen Kriminalstatistik.
Die Nähe zu den Niederlanden ist dabei genau so eine Ursache wie Razzien bei Techno-Events und im Jahr 2014 das Auffliegen eines bewaffneten Dealerrings, der das westliche Ruhrgebiet mit einer breiten Rauschgift-Palette versorgte. Zum Vergleich: Köln (602 Delikte pro 100 000 Einwohner), Düsseldorf (537) oder Dortmund (525) liegen dahinter, aber noch vor Essen, Duisburg oder Bochum. Allerdings gehen aus den NRW-Zahlen gerade für Duisburg und Essen auch kräftige Steigerungen der Straftaten hervor. Sie sind doppelt so hoch wie im Bundesdurchschnitt. In der Spitzengruppe vertreten ist auch das grenznahe Aachen.
Das Ruhrgebiet bleibt mit diesen Ermittlungsergebnissen in der oberen Hälfte der Statistik bundesweit polizeilich festgestellter Drogendelikte – und kommt kaum besser weg als die wegen ihrer Szenen berüchtigten Millionenstädte Berlin und Hamburg. Bundesweit an der Spitze liegt Frankfurt am Main: Mehr als 7000 festgestellte Taten. Oder 1006 pro 100 000 Einwohner.
Die Drogen-Lageberichte aus Wiesbaden und Düsseldorf sehen ein geteiltes Deutschland.
Zwischen Ost und West, wenn es um die konsumierten Sorten geht. Das in der Tschechischen Republik in Labors hergestellte Crystal erobert Bundesländer wie Thüringen und Sachsen im Sturm, teilweise auch Bayern. Inzwischen übersteigen die Crystal-Verfahren der Strafverfolger bundesweit sogar die Ermittlungszahlen für Kokain und Heroin. Es ist das große Thema im Osten.
Crystal spielt in Nordrhein-Westfalen keine Rolle
Der Westen ist von dieser Welle so gut wie abgeschnitten. Crystal spielt in Nordrhein-Westfalen keine Rolle. Für 2014 meldet das LKA hier gerade 69 Fälle, in Sachen Amphetamine, Metamphetamine und ihren Derivaten mehr als 9000. Dagegen macht NRW eine einzige Flugverbindung besondere Bauchschmerzen: Der AirBerlin-Flug 7409 Curacao-Düsseldorf. Hier importieren Drogen-Kuriere Kokain für die Niederlande. Die „Bodypacker“ befördern den heruntergeschluckten Stoff im eigenen Körper. Nicht selten müssen sie in die Klinik zur Notoperation. Auch dem Tatort Jet ist es zu verdanken, dass der illegale Import von „Koks“ großer Mengen nach NRW von 107 auf 133 Fälle stieg.
Weit auffälliger ist, wie die Zahlen der Drogentoten in den den einzelnen Bundesländern auseinanderklaffen. In ganz Deutschland sind sie über einen längeren Zeitraum gesunken, von 1326 Todesopfern 2005 auf 1032 im letzten Jahr. Während aber NRW eine drastische Verbesserung in dieser Statistik melden kann – 350 Tote vor zehn Jahren, 184 im Jahr 2014 – haben sich die Todesopfer-Zahlen in Bayern massiv verschlechtert.
Auch interessant
252 Drogenabhängige starben im Freistaat, 55 mehr als 2005. So kommt es, dass Nürnberg mit 5,5 Toten pro 100 000 seiner Einwohner einen traurigen deutschen Rekord unter den deutschen Städten einfährt. Zum Vergleich: Dortmund liegt hier bei 1,2, Köln bei 3,7 Drogentoten je 100 000 Einwohner.
Wird in Bayern zu restriktiv vorgegangen, gleichzeitig aber zu wenig dem Drogenkonsum und damit auch seinen tödlichen Konsequenzen vorgebeugt? Der Verdacht führt bei Länderbehörden, Medizinern und Rechtsexperten längst zu einer knallharten Debatte über den Kurs der künftigen Drogenpolitik. Denn in einem Bundesland gelten drei Gramm Cannabis für den Eigenbedarf als geringe Menge, über die hinaus gestraft wird. In einem anderen sind es 30 Gramm. Von Rechtssicherheit keine Spur.
Gewerkschaft der Polizei will "Joint nicht schönreden"
In Bayern gibt es eine „Kriminalisierung auf allen Ebenen“, wie die „Süddeutsche“ schreibt, selbst die von Kleinkonsumenten. In NRW geht man vorsichtiger vor, auch in anderen Bundesländern. 100 deutsche Experten haben in einer Petition an den Bundestag ein Umsteuern gefordert. Der Griff zum Joint sei eine private Entscheidung, die mit dem Strafrecht nichts zu tun habe, argumentiert der – bayerische - Jurist Rosenauer. Cannabis soll legalisiert werden.
„Den Joint nicht schönreden“, hält die Gewerkschaft der Polizei (GdP) bei der Debatte um eine Legalisierung dagegen. Sie weiß: Die Substanzen sind wirkungsvoller geworden gegenüber anno 1968, als der Joint den „Tag zum Freund“ machte. Aber auch die Gewerkschaftler erwarten nicht nur Rechtssicherheit und damit bundeseinheitliche Strafrechts-Grenzen, sondern auch schon Vorbeugung im Kindesalter. Auch und wegen der neuen Zahlen, die deutlich nach oben gehen.