Oberhausen. Für unsere Serie „Harte Arbeit“ macht sich Redakteurin Rusen Tayfur auf in den unendlichen Weiten der Kühlregale. Sie absolviert eine Kurzschicht als Verkäuferin bei Edeka Zurheide im Fachmarktzentrum Sterkrader Tor. Das heißt: Auspacken, planen – und vor allem freundlich sein.

Ausgerechnet hier soll ich also helfen. An diesem Ort der Unordnung. Dort, wo ich beim Einkaufen regelmäßig verzweifle. Wo ich suche und nicht finde. Wo mein Blick nicht weiß, woran er sich an dieser im gleißenden Licht präsentierten Masse bunter Produkte festhalten soll. Joghurt, soweit das Auge reicht – schon der Anblick macht mich regelrecht nervös. Und richtig kalt ist es hier. Brrr.

Auf Empfindlichkeiten wie diese kann Tamara Stenke keine Rücksicht nehmen. Selbst wenn sie wollte: Sie hat keine Zeit dafür. Die 30-jährige Einzelhandelskauffrau ist eine von zwei Herrscherinnen über die „MoPo“, die Molkereiprodukte bei Edeka Zurheide im Sterkrader Tor. Meterlange Kühlregale, die in Ordnung gehalten werden müssen. Als ob das nicht schon Arbeit genug wäre, hat sie heute auch noch eine Journalistin an den Hacken, die schon beim schieren Anblick von mehr als zwei verschiedenen Quarksorten verzweifelt. Gut, dass Tamara Stenke nicht nur Profi ist (organisiert, zupackend, effizient), sie ist auch noch ausgesprochen liebenswürdig und hilfsbereit.

Butter, Kefir und Co aus dem Lager

Bevor ich jedoch Hand anlegen darf an die „Milchkühe“ (Rollwagen, bepackt mit 160 Litern Tetrapacks), bevor ich Butter, Kefir und Co. aus dem Lager holen, einräumen und vom Boden aufwischen darf, verpasst Marktleiter Dirk Hellwig mir ein neues Outfit.

Weiße Bluse, Halstuch, Weste und lange Schürze in Weinrot. Die Edeka-Uniform. Ein bisschen mehr Beinfreiheit wäre gut, aber es sieht ziemlich schick aus. Ich komme mir vor wie eine Stewardess, als Tamara Stenke mir hilft, das Tuch hübsch zu drapieren. Damit liege ich gar nicht mal so falsch.

„Fräulein“, höre ich eine Stimme hinter mir. Wie umsichtig von Frau Stenke, schnellen Schrittes zur Kundin zu eilen. Was hätte ich auch antworten können? „Die Leute haben alle keine Zeit“, erzählt sie mir später. „Sie fragen, wo dies und wo das ist, ohne selbst erst mal zu gucken.“

Bei der Ernährungsberatung helfen

Nicht nur Wegweiserin muss Tamara Stenke im aufgeräumten, hellerleuchteten Supermarkt-Dickicht sein, sie soll auch bei der Ernährungsberatung helfen. „Es gibt Kunden, die meinen, wir kennen jeden Joghurt“, sagt sie. Und jeden Inhaltsstoff. „Ich weiß auch nicht, was E 578 bedeutet.“

Genug gequatscht, jetzt will ich mit anpacken. Als erstes darf ich die Regale auf MDH kontrollieren, Routineaufgabe zu Beginn jeder Schicht für eine Verkäuferin. Hurra, eine Abkürzung, die sogar ich kenne! Mindesthaltbarkeitsdatum, klar, da achte ich auch als Kundin immer drauf. Was als erstes weg soll, muss ganz vorne stehen. Kein Problem, denke ich und lege los. Doch was wie ein Spiel beginnt, wird schon bald anstrengend. Hab ich diese Reihe schon gemacht – oder nicht? Konzentration ist gefragt, die Zahlen tanzen mir durch den Kopf. Kein Wunder, ich hab’s eh mehr mit den Buchstaben.

Jetzt geht’s ins Kühllager. Nur drei Grad hat es hier. Ungemütlich. Tamara Stenke kann das nichts mehr anhaben. Seit sechs Jahren geht sie hier ein und aus und ist für alles gewappnet. Nierengurt, dicke Socken, heißer Tee sind ihre Rezepte. Den vollgepackten Wagen durch die Türen und Gänge zu manövrieren, ist gar nicht mal so einfach. Ich kann ja kaum drübergucken. Das erfordert Kraft, genauso wie das Tragen der Kartons mit Milchtüten und Puddingbechern. Mit einer Hand müssen diese balanciert werden, während man mit der anderen das Regal einräumt.

Rauf auf den Tritt, runter vom Tritt. Wenn man das den ganzen Tag macht, ist es bestimmt ziemlich anstrengend.

Auf Trends achten und Lebensmittelskandale verfolgen

Neben Muckis braucht Tamara Stenke vor allem Organisationstalent. Sie muss die Sonderangebote des Geschäfts kennen und die elektronischen Preisschilder rechtzeitig wieder ändern. Sie muss bestellen, was leergekauft ist, an Feiertage denken und den Wetterbericht im Auge haben. Bei Schnee und Eis kommen schließlich weniger Kunden. Sie muss auf Trends achten („Zurzeit lactosefreie und vegetarische Produkte“) und Lebensmittelskandale verfolgen. Spaß an der Sache ist da hilfreich, und den hat sie. Trotz 40-Stunden-Woche und langer Öffnungszeiten.

Verkäuferin – ein Job, der vielfältiger ist als ich dachte. Körperlich fordernd („Rückenschmerzen hab ich immer“) und auch geistig. Aber einen Vorteil hätte es, wenn ich hier arbeiten würde: Ich wüsste immer, wo mein Lieblingsjoghurt steht.

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