Oberhausen.. Essen, Mülheim, Duisburg, Recklinghausen – in vielen Städten des Ruhrgebiets hat der wirtschaftliche und politische Wandel für Umwälzungen gesorgt. Sozialdemokratische Hochburgen wurden mit der Kommunalwahl von 1999 geschleift. In Oberhausen ist das anders. Magnus Dellwig, Historiker, Sozialwissenschaftler und langjähriger Mitarbeiter an der Spitze des Oberhausener Rathauses, hat in einer Serie zur Geschichte der Kommunalpolitik analysiert, warum die politischen Verhältnisse hier so verblüffend stabil sind.
Wie konnte sich die SPD in einer Stadt mit so hohen wirtschaftlichen Verwerfungen bei einem Verlust von 58.000 Industriearbeitsplätzen an der Macht halten? Warum schaffte es die CDU bisher nicht, die Vorherrschaft der SPD zu knacken? Warum ist die FDP hier relativ schwach vertreten? Warum kamen die Grünen in den 80er Jahren schwer aus den Startlöchern?
Oberhausen ist im vergangenen Jahr 150 Jahre alt geworden: Die Geschichte der Kommunalpolitik beginnt 1862 mit der Gründung der Bürgermeisterei Oberhausen. Um zu verstehen, wie der Start der politischen Arbeit verlief, richtet sich der Blick zunächst auf die fünf Jahre zuvor, in welchen die Industrie und wenige vorausschauende Grundbesitzer auf der einen, die vielen Bauern und Adeligen auf der anderen Seite um ein Novum der Verwaltungsgeschichte stritten: um die Bildung einer Gemeinde, deren Wurzeln allein aus ihrer Industrie erwachsen sollten.
Mittleres Bürgertum die Minderheit
Unter den Bedingungen des preußischen Dreiklassenwahlrechtes, das den politischen Einfluss der Bürger an ihrer Steuerkraft maß, waren die Folgen der Gemeindegründung für die drei maßgeblichen gesellschaftlichen Gruppen klar: Die Arbeiterschaft würde im Wesentlichen kein Wahlrecht erlangen, da ihre Löhne unterhalb der Pflicht zur Zahlung der Klassensteuer lagen; das zahlenmäßig sehr kleine industrielle Großbürgertum - bis um 1900 kaum mehr als 100 Haushaltsvorstände - würde die politische Arbeit vor Ort beherrschen, weil es nach dieser Wahlregelung über Jahrzehnte die Mehrheit der Gemeindeverordneten stellen konnte.
Dazu trug maßgeblich bei, dass bei der Vergabe von Ratsmandaten auch die Steuerleistung von Kapitalgesellschaften Berücksichtigung fand.
Das niedere und mittlere Bürgertum der Handwerker, Händler, Angestellten und der akademisch gebildeten Freiberufler würde die Minderheit der frühen Kommunalpolitiker stellen und versuchen, über die Bereitschaft zur Kooperation mit der Industrie Einfluss zu gewinnen.
Die Hüttenfraktion bestimmte
Erst 1919 sollte mit der Weimarer Demokratie das gleiche Wahlrecht für alle Männer und jetzt auch Frauen einziehen - bis dahin blieb das Dreiklassen-Wahlrecht mit allen Folgen Grundlage der politischen Kultur im ersten halben Jahrhundert der Stadtgeschichte - mit entsprechenden zeitgenössischen Begrifflichkeiten: Die „Hüttenfraktion“ bestimmte – und verhinderte, was ihr zu kostspielig erschien. Die „Bürgerfraktion“ tat sich mit konstruktiven Vorschlägen hervor – zur Entwicklung der Innenstadt, der technischen Infrastruktur, des Bildungswesens.
Parteipolitisch bedeuteten diese Gruppenzuordnungen überwiegend: Hüttenfraktion gleich Nationalliberal, Bürgerfraktion seit 1880 immer mehr katholisches Zentrum. Sozialdemokraten gelang wegen des Wahlrechts der Sprung in den Stadtrat bis 1918 nicht. Dennoch saßen dort ab 1900 handverlesene Arbeiter, die als Mitglieder der gut bezahlten Arbeiter-Elite und als Katholiken über das Zentrum, als Protestanten über die Nationalliberalen in den Rat einzogen.
Magnus Dellwig wurde 1965 in Oberhausen geboren. Von 1985 bis 1991 studierte er Geschichte und Sozialwissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum.
1995 promovierte er an der TU Berlin in Neuerer Geschichte mit der Arbeit „Kommunale Wirtschaftspolitik in Oberhausen 1862 bis 1938“. Seit 1995 ist Dellwig Mitarbeiter der Stadt.