Oberhausen.. An der Oberhausener Marienschule gibt es seit Kurzem das Projekt „Babywatching“. Bei der Beobachtung sollen die Schüler soziale Kompetenzen erlernen.

Das Studienobjekt steht in der Mitte des Stuhlkreises und schläft. Manchmal bewegt sich der Schnuller ein wenig, wenn Mikko im Traum daran saugt, die Augenlider zucken. Aber schlafen soll der fünf Monate alte Säugling jetzt eigentlich gar nicht, denn Mikko spielt eine wichtige Rolle in einem neuen Unterrichtsprojekt der Marienschule. Für die ersten Klassen hat die Grundschule nämlich das „Babywatching“ eingeführt, übersetzt „Babybeobachtung“.

Das ist für die Erstklässler ein fester Termin auf dem Stundenplan: Einmal in der Woche kommt Sabine Rutert mit ihrem Mikko in den Unterricht. Eine gute halbe Stunde macht ihr Söhnchen auf der roten Decke in der Schul-Bibliothek das, was er sonst auch so macht: Gucken, lächeln, sabbern, schlafen, seine Mama bekrabbeln. Mit dem Unterschied, dass rund zwanzig Kinder im Kreis um ihn und Mutter Rutert herumsitzen und ihn anschauen. Ganz genau. Und beschreiben, was sie sehen.

Beine schlenkern, Oberkörper wippen, aber die Grundschüler sind ganz bei der Sache und ruhig. Wenn Klassenlehrerin Anja Schaffeld ihre Fragen stellt, schnellen die Finger in die Höhe. Die 46-Jährige hat wie ihre Kollegen an der Marienschule eine Weiterbildung fürs Babywatching absolviert und dabei eine bestimmte Fragetechnik erlernt, mit der sie die Kinder bei ihrer Beobachtung des Stargastes anleitet. „Was glaubt ihr, träumt Mikko denn jetzt gerade?“, fragt Anja Schaffeld. „Dass er schon laufen kann“, meint Ronaldo.

„Was macht die Mama von Mikko denn jetzt?“, fragt die Lehrerin weiter. Sabine Rutert kitzelt Mikko gerade am Fuß, der öffnet die Augen, guckt erst ein wenig skeptisch, aber dann ganz fröhlich. Also kann seine Mama mit dem Ausziehprogramm anfangen. Jacke aus, Mütze aus, auf den Schoß nehmen. Vincent auf dem Stuhl nebenan beschreibt die Prozedur. Sabine Rutert strahlt ihr Baby an, spricht ihm leise ins Ohr. „Was weiß der Mikko dann?“, will Anja Schaffeld von ihren Schülern wissen. „Dass die Mama da ist“, beeilen sich viele zu sagen. Keiner wird laut dabei.

Aber was ist nun das Lernziel dieser ungewöhnlichen Schulstunde? „Die Kinder sollen feinfühliger und sozialer werden“, sagt Schulleiterin Silke Böing. „Sie lernen so, am Gesichtsausdruck des Gegenübers zu erkennen, wie der sich fühlt und können das übertragen“, sagt Lehrerin Schaffeld, die hofft, dass sich die Erfahrungen positiv auf die Klassengemeinschaft auswirken.

Was nicht erlaubt ist: Anfassen, streicheln, auf den Arm nehmen, was natürlich alle Kinder möchten. „Wie würdest Du dich denn fühlen, wenn dich zwanzig Kinder anfassen wollten?“, sagt Anja Schaffeld zu Dario. Der überlegt und nickt.

Drei Fragen an Schulleiterin Silke Böing

Warum hat sich die Marienschule dafür entschieden, am Babywatching-Projekt teilzunehmen?

Silke Böing: Wir sind die erste Schule in Oberhausen, die teilnimmt, bisher waren es nur Kindergärten. Der Kontakt kam über den Kinderschutzbund zustande, der mit dem Rotary-Club kooperiert. Wir versprechen uns viel davon: Dass die Kinder einfühlsamer und sensibler werden. Das neue Angebot ist ein Baustein unserer Werteerziehung, die uns wichtig ist. Die Kinder sollen lernen, sich in einer Gemeinschaft zurechtzufinden und verantwortungsbewusst mit anderen Menschen umzugehen.

Ist das Babywatching nur etwas für Einzelkinder?

Böing: Viele Kinder haben keine Geschwisterkinder mehr, für sie ist es vielleicht die einzige Möglichkeit, ein Baby auf diese Weise zu erleben. Aber auch die, die Geschwister haben, können Mikko ohne Konkurrenz wahrnehmen, das ist ein Vorteil.

Wollen Sie das Projekt ausbauen?

Böing: Sobald wir eine weitere Mutter mit Kind finden, die sich bereit erklärt, fürs Babywatching zu uns zu kommen, binden wir die zweiten und dritten Schuljahre mit ein. Bisherige Studienergebnisse zeigen: Das Konzept wirkt.