Oberhausen. Lina Offergeld (30) absolviert eine Ausbildung zur Hüteschäferin. Dafür ist die Oberhausenerin derzeit in Aukrug in Schleswig-Holstein zu Hause.

Ihr Zuhause, das ist derzeit ein Bauwagen wie der von Peter Lustig – zwölf Quadratmeter groß und mit einem kleinen Holzofen beheizt. Und ringsum ist viel, viel Gegend: Nach Aukrug, einer rund 3700 Seelen großen Gemeinde in Schleswig-Holstein, hat’s in diesem Jahr eine Oberhausenerin verschlagen, um dort ihrem Berufswunsch näher zu kommen. Lina Offergeld (30) hat dort eine Ausbildung begonnen, die für ein „Großstadtkind“ aus dem Ruhrgebiet eher exotisch anmutet: Hüteschäferin. Seit sieben Monaten lebt und arbeitet die junge Frau mit der roten Rasta-Mähne jetzt im „hohen Norden“ – und ist überzeugt, beruflich endlich das Richtige gefunden zu haben.

Der Weg dahin war nicht der geradeste, aber manchmal braucht’s eben ein paar Umwege, um anzukommen: Die Schullaufbahn führte über mehrere Stationen – angefangen beim Heinrich-Heine-Gymnasium, über die Anne-Frank-Realschule und ein Duisburger Kolleg, an dem sie schließlich die Mittlere Reife nachholte, um dann eine Ausbildung in der Altenpflege zu beginnen: „Ich hab’ das schon gerne gemacht, aber es war trotzdem nicht das Richtige für mich. Mit Menschen umgehen, sie waschen, pflegen und so, das kann ich, das ist kein Problem. Aber an der psychischen Belastung wäre ich zugrunde gegangen. Das Drumherum ist sehr belastend“, erzählt sie, warum es am Ende nichts wurde mit dem Altenpflege-Abschluss.

"Viel Arbeit, gutes Essen, nette Leute"

Bei der Lebenshilfe hat sie danach gearbeitet, im Familienzentrum Alsbachtal, hat einen autistischen Jungen betreut und immer mal wieder Praktika in sozialen Einrichtungen gemacht: „Aber im Rückblick kann ich sehen: Das war alles nicht wirklich das Richtige.“ Den Anstoß zum Neuanfang habe dann eine gute Freundin gegeben. „Wir müssen doch irgendwas finden, was zu dir passt“, habe sie gesagt und dann gedanklich ein kleines Anforderungsprofil entwickelt: „Du bist gern draußen, magst Tiere, arbeitest gerne mal allein und mal im Team: Warum wirst du nicht Schäferin?“

Im Allgäu, auf dem Finkhof, einer Schäfereigenossenschaft, die in den 1970er Jahren aus einer alternativen Kommune entstanden ist, hat Lina Offergeld dann ein Praktikum gemacht: „Vier Wochen lang. Das war super, astrein“, schwärmt sie von ihrem ersten „Ausflug“ in die Schäferei: „Viel Arbeit, gutes Essen, nette Leute.“ Anschließend hat sie deutschlandweit nach Adressen von Schäfereibetrieben gesucht, die auch ausbilden: „Das war gar nicht so leicht: Welcher Schäfer legt schon Wert auf einen Internetauftritt?“ Auch beim Arbeitsamt konnte man ihr nicht wirklich helfen: „Die haben mir zwar Adressen mitgegeben, aber das waren meist Landwirte, keine Schäfer.“

Vier Hunde, eine Menge Katzen und 1800 Schafe

Nach dem x-ten Telefonat gab’s dann doch noch den Glücksgriff: „Im Februar/März bin ich dann Richtung Norden gefahren, zu meinem jetzigen Chef, auf einen Hof mit rund 500 Schafen. Zwei Wochen hab ich dort mitgearbeitet, überwiegend Stallarbeit. Das war nett“, erinnert sie sich. So nett, dass sich der Ausbildungswunsch verfestigt hat. Schon drei Wochen später kam die Zusage – für eine Ausbildung auf einem anderen Hof, mit dem zusammen es eine Ausbildungskooperation gibt. Schon im Mai ging’s wieder Richtung Norden, nach Aukrug, zur Hüteschäferin Birgit Vogtländer, die seither ihre Chefin ist. Mit ihr frühstückt, arbeitet und isst sie zu Abend. „Das ist schon irgendwie besonders.“ Vier Hunde gibt’s auf dem Hof, eine Menge Katzen und derzeit rund 1800 Schafe.

Von April bis Oktober sind die Hüteschäfer mit ihren Tieren unterwegs. Landschaftspflege im Auftrag des Landes Schleswig-Holstein ist ihr Hauptauftrag – durch den Fraß der Herden soll die Heidelandschaft baumfrei und damit in ihrer charakteristischen Ausprägung erhalten bleiben. Weitere Einnahmequelle ist der Fleischverkauf, die Erlöse aus dem Verkauf von Wolle bringen mitunter gerade einmal das ein, was die regelmäßige Schafschur kostet.

"Einsam ist man nur beim Hüten"

Drei Jahre dauert die Ausbildung. Und da es in Deutschland nur zwei Schäferschulen gibt -- eine in Bayern, eine in Sachsen-Anhalt – geht’s Monat für Monat für eine Woche nach Halle an der Saale, wo die angehende Schäferin tagsüber neben Mathe und Deutsch „Schafspezifisches“ wie Fütterung, Reproduktion und Stallarbeit büffelt, nachts im Internat übernachtet: „Das macht total viel Spaß.“

Diesmal, ist Lina Offergeld überzeugt, hat sie das Richtige für sich gefunden: „Mit den Tieren zu arbeiten ist echt schön. Ich bin seither viel ausgeglichener geworden. Die Arbeit powert zwar aus, da ist richtiges Zupacken angesagt“, erzählt sie von durchaus langen, anstrengenden Arbeitstagen. „Aber es ist auch ein gutes Gefühl.“

Dass ihr der Job mal zu einsam werden könnte, davor hat sie keine Angst: „Einsam ist man nur beim Hüten, sonst arbeitet man sehr viel im Team. Das ist abwechslungsreich – und irgendwie frei.“

Und manch einer aus dem Freundeskreis, der sie ob ihrer Berufspläne im Frühjahr noch „für völlig bekloppt erklärt“ hatte, sage inzwischen: „Das passt zu dir.“