Oberhausen.
Wo bin ich Mensch, wo darf ich sein? Was ist Fiktion und was ist echt? „Face-Book“, die neue musikalische Produktion des Theaters, peitscht den Zuschauer durch Höhen und Tiefen des Lebens mit unglaublicher Ausdruckskraft, rasant und sehr schnell.
Vier Akteurinnen gelingt es, mit Hilfe von Songs und ihrer Gabe, sie singend und agierend zu interpretieren, Gefühlswelten sichtbar zu machen. Gleichzeitig decken sie schonungslos auf, welch eine entscheidende Rolle soziale Netzwerke in unserer modernen Welt bei der Suche nach dem Sinn des Lebens spielen. „freie Platzwahl - klick - drängel den bengel - klick- gemütlich - klick - so lernt man den nachbarn so richtig kennen“. Der Zuschauer nimmt auf der Längsseite des Malersaals Platz, auf engem Raum. Die Inszenierung braucht fast den ganzen Saal, es gibt viele Bühnen, die sich zu einem wunderbaren Gesamt-Spielraum zusammenfügen. Glaskästen symbolisieren Rückzugsräume, die silbern glitzernde Wand und Barhocker, vor der Band platziert, erzeugen Disco-Atmosphäre. Eine riesige Leinwand ist der Computer-Bildschirm, wer chatten will, besteigt einen Thron.
Willkommen im Erwachsenenleben
Sie wickeln sich aus dem roten Band, das ahnen lässt, dass sie alle an einem Strang ziehen werden, während der gesamten Schau, vom ersten bis zum letzten Akt. Und so ist es auch: Anja Schweizer, Annika Meier, Susanne Burkhard, Karin Kettling liefern eine Leistung ab, bei der es keine Haupt-Darstellerin gibt. „Face-Book“ ist ihr gemeinsames Ding. Sie lassen die Barbies tanzen und sie singen „I don’t want to grow up“ (Tom Waits). Sie streiten sich, Puppenköpfe fallen. Der Befreiungsschlag gelingt. Willkommen im Erwachsenenleben.
„sein heisst in der klemme sein“ prophezeit der Schriftzug auf der Leinwand. Klemme ist, wenn man morgens (virtuell) zum Bäcker geht und www.brötchensindout“ auf dem Rechner empfängt. Klemme ist, wenn der Lebensentwurf nicht taugt und die Nacht eigentlich ausfallen könnte, es sei denn, es schneien Freundinnen herein. Das passiert und „das Glück scheint unkomplizierter zu sein, als man denkt“. „wenn du hier anklickst, willst du sterben“ sagt der Bildschirm. Wir ahnen, dass es kompliziert weitergeht.
Multimediales Spektakel
Sie spielen singend Wut, Einsamkeit, Streit, Scheitern, Sehnsucht, Sucht, Melancholie, Verzweiflung - getragen von dem herrlich rockigen Sound der Band in immer wieder anderen Kostümen, die vor den Augen des Zuschauers gewechselt werden. Doch das bekommt er kaum mit - er will, dass ihm möglichst wenig von diesem faszinierenden multimedialen Spektakel entgeht. „Face-Book“ ist ein rauschendes Theater-Erlebnis. Wenn am Ende der blaue Koffer von der Decke fällt, wünschte man, es handele sich nicht nur um ein Symbol für etwas, was weitergeht. Man möchte mehr. Der extrem lang anhaltende Applaus beweist, dass es allen so geht.