Mülheim. Weil der Altpapier-Container voll war, ließ ein Mülheimer einen Karton gefaltet daneben stehen. Dafür soll er 100 Euro Bußgeld zahlen.
60 mal 40 Zentimeter, schmal zusammengefaltet etwa so groß wie eine Tageszeitung - so hatte Thorsten M. (Name geändert) einen Karton neben dem Papiercontainer an der Blumendelle gestellt. „Extra platzsparend“, meint er. Weil der Container bereits überfüllt war. Doch etwas später klingelte es an seiner Tür: Clevere Mülldetektive hatten den „Müllsünder“ ausfindig gemacht, schließlich stand sein Name auf der Versandbox. Thorsten M. soll nun Bußgeld zahlen: 100 Euro. Überzogen?
Der „Überführte“ bestreitet die Tat zwar nicht, findet die Höhe jedoch „unverhältnismäßig: Das Bußgeld steht in keinem Verhältnis zu der geringfügigen Ordnungswidrigkeit und wirkt überzogen“, sagt er gegenüber der Redaktion. Denn schließlich handle es sich um recyclebare Pappe, die zumindest ordentlich gefaltet neben dem Container stand. Mit seinem Fall will M. eine Debatte anstoßen, „ob derart strenge Sanktionen für solche Bagatellfälle gerechtfertigt sind“.
Wilde Müllkippen an Containern: In Mülheim ein Dauerthema
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Wilde Müllkippen an Wertstoffcontainern sind in Mülheim ein Dauerbrenner. Wöchentlich erreichen die Redaktion Fotos von versifften Decken, Möbelteilen, Farbeimern, säckeweise Hausmüll und Kartons, die im vermeintlichen Schutze der oft schlecht einsehbaren Standorte „verklappt“ worden sind. Eine offenbar gern und regelmäßig gewählte Stelle liegt etwa im Gewerbegebiet an der Geitlingstraße in Heißen.
Angesichts der ansonsten oft anzutreffenden Mengen an Verdrecktem und Vergammelten scheint ein einzelner gefalteter Karton also eine Bagatelle zu sein. Zum Fall kann sich die Stadt nicht äußern, der Verwarngeldkatalog zum Abfallrecht in NRW sei da allerdings glasklar - antwortet sie: 100 Euro sei da schon die unterste mögliche Geldbuße, und die könne sogar auf bis zu 100.000 Euro steigen. „Bei der Bemessung der Geldbuße werden einzelfallabhängig der Umfang, die Art der Ablagerung, der Ablageort sowie die Tatbegehung - Fahrlässigkeit oder Vorsatz - berücksichtigt“, so Stadtsprecherin Sindy Peukert.
16 Container-Standorte in Mülheim problematisch, besonders diese vier
16 Papiercontainer-Standorte von der Augustastraße im Norden der Stadt bis zur Heerstraße in Speldorf hat die MEG als Schwerpunkte für wilde Müllkippen ausgemacht. An vier Stellen sind seit 2001 jeweils zwischen 240 und 360 Fälle registriert worden: Augusta-, Friesen-, Zinkhüttenstraße und „An der Rennbahn“.
Hinzu kommen 14 problematische Orte von der Oberhausener Straße in Styrum bis zum Worringer Reitweg in Broich und zur Mintarder Straße in Saarn. An fünf haben sich in mehr als 20 Jahren zwischen 100 und 150 Fälle gehäuft: Aktien-, Sand-, Eppinghofer, Heißener Straße und Dickswall. Weder die Blumendeller Straße noch die Geitlingstraße tauchen jedoch in der Statistik auf.
Legendäre Ausreden: „Ich wollte das nur verschenken“
Und nicht alle Funde sind spektakulär oder dreist. Doch manch einer der Mülldetektive - die formal „Mobile Stadtsauberkeits- und Beratungsgruppe“ heißen - erinnert sich etwa an einen Pizzabäcker, der Papier und Mehl abgeladen hat. Oder an eine Frau, die ihre abgegriffenen Auflagen für Gartenstühle „doch nur verschenken“ wollte.
Oder an einen Vater, der die Schuld auf seine Kinder schob: Die würden den Müll immer neben den Papiercontainer werfen. Die Ausreden der Erwischten kennen die Müllspürnasen in- und auswendig und haben sie sogar online auf den Seiten der MEG erzählt.
In diesem Jahr haben die Mitarbeiter der MEG bislang 182 Anzeigen an das Ordnungsamt übermittelt. Weitere 500 Fälle befinden sich aber noch in der Bearbeitung. 164 Bußgeldbescheide sind dagegen 2024 verhängt worden, sie machen etwa 36.000 Euro aus - durchschnittlich also 220 Euro pro Fall. Zumindest in der Theorie: Denn nur 25.000 Euro sind bislang bezahlt worden.
Bilanz der Mülheimer Mülldetektive: Hauptsächlich pädagogisch wertvoll
Die Bilanz seit Projektbeginn vor etwa dreieinhalb Jahren wird unterschiedlich bewertet. MEG und Teile der Politik sehen sie vor allem als „pädagogisch“ erfolgreich: 4000 wilde Müllablagerungen haben die Mülldetektive an den Depotstandorten entdeckt und aufgeklärt. Rund 850 Fälle sind dagegen jenseits der Container in der gesamten Stadt aufgeklärt worden.
Weitaus überwiegend aber sind die Erwischten wohl ‚nur‘ beraten worden. Und nicht selten können die Verursacher nicht bestimmt werden. Dennoch kostet das Projekt etwa 650.000 Euro, die aus dafür erhöhten Müllgebühren bezahlt werden.
Seit Juni 2023 achten die Mitarbeitenden zusätzlich auf herrenlose Einkaufswagen. An den Depot-Standorten fand man seitdem 85, im gesamten Stadtgebiet 289 abgestellte Einkaufswagen.
Mülheimer kritisiert: Mehr Augenmaß statt Gängelung
Im Fall von Thorsten M. haben es die Mülldetektive nicht bei einer „Beratung“ belassen: Hätte er nicht den Karton einfach wieder mitnehmen können, wenn der Papiercontainer voll ist? „Ich habe tatsächlich darüber nachgedacht, den Karton wieder mitzunehmen“, sagt der Mülheimer. Er habe sich aber dagegen entschieden, „in gutem Glauben, dass er von der regulären Entsorgung mitgenommen wird“, denn oft seien auch die Container im Umfeld voll.
Der Mülheimer will das Bußgeld zahlen, wenn auch zähneknirschend: „Es wäre meiner Meinung nach sinnvoll, wenn in solchen Fällen mehr Augenmaß und Flexibilität seitens der Behörden walten würde, anstatt Bürgerinnen und Bürger unnötig zu gängeln.“
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