Mülheim. Shalin und Shayan, beide 16, setzen sich für ein Thema ein, über das sich noch immer nicht jeder frei zu reden traut. Sie hoffen auf Geldgeber.
Shalin und Shayan, beide 16, sind Mitglieder der Bezirksschülervertretung (BSV) Mülheim. Sie haben klare Ansichten zu vielen Themen, die Kinder und Jugendliche betreffen. Und sie trauen sich, diese souverän vorzutragen. So auch zu einem Projekt, das vor mehr als zwei Jahren an den Start gegangen ist: In allen weiterführenden Schulen gibt es seit Sommer 2022 kostenlos Tampons und Binden für Schülerinnen. Nun ist die zweijährige, von der Leonhard-Stinnes-Stiftung finanzierte Testphase vorbei, und es stellt sich die Frage, wie sich die Gratis-Menstruationsprodukte auf Dauer bezahlen lassen. Shalin und Shayan wollen alles dransetzen, dass die Erfolgsgeschichte eine Fortsetzung findet.
„Für mich ist das die optimale Lösung“, sagt Shalin und zeigt auf den kleinen silbernen Kasten für Tampons und Binden, der seit einiger Zeit in der Mädchentoilette der Willy-Brandt-Schule hängt. Die Oberstufenschülerin kann gut nachvollziehen, wie unangenehm die Sache für Mädchen werden kann, wenn unerwartet die Periode einsetzt oder sich im Rucksack einfach keine Hygieneartikel mehr finden lassen. „Einige geraten dann richtig in Panik.“ Durch die Automaten sei die Sache entspannter; „wer sich daraus bedienen kann, geht auch der Scham aus dem Weg“. Wichtig sei, dass der Spender sich direkt in der Toilette befindet und nicht an anderer, von vielen Menschen einsehbarer Stelle.
Shalin und Shayan informierten Mülheims Bildungsausschuss über das Projekt
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Dass sie in Shayan einen männlichen Mitstreiter für die gute Sache hat, findet die 16-Jährige bemerkenswert. Gemeinsam mit ihr hat der Schüler vom Otto-Pankok-Gymnasium das Projekt kürzlich selbstbewusst im städtischen Bildungsausschuss vorgestellt. Auch beim Termin in der Willy-Brandt-Schule ist er dabei. Berührungsängste kenne er nicht, sagt Shayan. Ende 2023 in die BSV gewählt, war ihm von Anfang an klar: „Es ist nicht wichtig, ob ich es bin, der sich für etwas engagiert oder jemand anderes - wichtig ist, dass sich überhaupt jemand engagiert, dass geholfen wird.“ Zum Glück lebe er in einer Zeit, so der 16-Jährige, „in der das Geschlecht nicht mehr darüber bestimmt, mit welchem Thema man sich beschäftigt“.
Eine Aussage, die in Mülheims Gleichstellungsstelle (GSS) garantiert Beifall findet. An diese hatte sich die BSV im März 2022 gewandt, auf der Suche nach einem Weg, die Gratis-Artikel anzubieten. Die Mitarbeiterinnen waren sofort Feuer und Flamme. Im kürzlich vorgelegten Evaluationsbericht zur zweijährigen Testphase heißt es: „Kostenlose Menstruationsprodukte in Bildungseinrichtungen stellen eine niederschwellige Möglichkeit dar, die strukturelle Benachteiligung von Mädchen und Frauen aufgrund ihrer Menstruation abzubauen und ihre soziale Teilhabe zu fördern.“ Auf diesem Wege werde „das Tabuthema“ sichtbar gemacht und „der sogenannten Periodenarmut entgegengewirkt“.
Gleichstellungsstelle regt an, die Spender direkt in die Mädchentoiletten zu hängen
BSV, GSS und das Amt für Kinder, Jugend, Schule und Integration taten sich zusammen. Und alsbald hing in jeder weiterführenden Schule ein erster Spender. Die Schulen entschieden selbst, wo die Kästen angebracht werden sollten. Die meisten wählten die zentrale Mädchentoilette, andere hielten den Sanitätsraum, den Flur oder die Bibliothek für geeigneter. Wer sich für eine Ausgabe im Sekretariat oder an anderer Stelle mit Personal entscheidet, könne „die Bereitstellung der Menstruationsartikel besser überwachen und das Risiko einer übermäßigen, missbräuchlichen Entnahme senken“, heißt es. Nachteil solcher Anlaufstellen aber sei, dass sich die Schülerinnen in der Öffentlichkeit vielleicht eher schämen, sie meiden. Genau wie Shalin hält die GSS daher die Klos für den richtigen Ort.
Befüllt werden die Kästen eigenständig von den Schulen, und dort oft von den Mitgliedern der Schülervertretung (SV). Das stärke Eigenverantwortlichkeit und fördere den ordnungsgemäßen Umgang mit Spendern und Menstruationsartikeln, heißt es im Bericht. In den allermeisten Fällen habe das Auffüllen reibungslos geklappt, zum Teil mussten Lehrkräfte oder Sekretärinnen einspringen. Aus zwei Schulen kam die Idee, dass Reinigungskräfte diesen Job erledigen könnten, ähnlich wie beim Toilettenpapier. Mithilfe von Plakaten, Flyern und Aufklärungsgesprächen waren übrigens alle Beteiligten vorab für das Thema sensibilisiert worden, erzählt Shalin. „Die Botschaft war: Das hier ist für uns, deshalb geht vernünftig damit um.“
Noch ist die Versorgung der Schulen für einige Wochen gesichert
Durch Aufkleber auf den Spendern werden die Mädchen über die Gefahr des toxischen Schocksyndroms bei Verwendung von Tampons hingewiesen, „viele haben davon noch nie was gehört“, so die Erhebung. Die Erfahrung zeige, dass generell häufiger zu Binden als zu Tampons gegriffen wird. Von beiden Produkten hatte die GSS zu Beginn je 50.000 Stück angeschafft. Man habe in den zwei Jahren aber weniger verbraucht, als zunächst kalkuliert, berichtet die Gleichstellungsbeauftragte Antje Buck. „Wir können also noch ein bisschen vom Vorrat zehren.“ Bis ins neue Jahr hinein sei die Versorgung der Schulen gesichert.
Und dann? Die BSV-Vertreter Shalin und Shayan möchten erreichen, dass es dauerhaft Periodenprodukte an den Schulen gibt: „Wir wären echt glücklich, wenn das Projekt eine Fortsetzung finden würde“, so Shayan. Die anfängliche Sorge vor Vandalismus habe sich kaum bestätigt, überwiegend seien die Jugendlichen verantwortungsvoll mit den Hygieneartikeln umgegangen. Nur im Einzelfall landeten mal Tampons auf dem Schulhof oder wurde ein Spender leergeräumt.
In Mülheims Nachbarstädten werden die Hygieneartikel aus dem Haushalt finanziert
Geklärt werden muss nun vor allem die Frage der Finanzierung: Gemäß Buck stehen in Essen und Oberhausen Gelder aus dem Haushalt zur Verfügung. Derzeit arbeite man an einer Kostenaufstellung für den Bildungsausschuss. Laut Bucks Vertreterin, Sabine Herrmann, hat die Leonhard-Stinnes-Stiftung für die Testphase rund 16.000 Euro bereitgestellt. Noch sei unklar, was künftig benötigt wird. Das hänge auch davon ab, wie viele weitere Spender sinnvoll sind, etwa in Sporthallen. In der ersten Rutsche hatten alle Schulen nur einen Automaten bekommen, zum Stückpreis von 153 Euro. „Mittlerweile sind die deutlich günstiger zu haben.“
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