Mülheim. Eine Mülheimer Sozialwohnung ist seit Sommer 2023 unbewohnbar. Der psychisch kranke Mieter verstarb ohne Erben. Wer kümmert sich um solche Fälle?

Die Wohnung liegt im Hochparterre, zwei Zimmerfenster zur Straßenseite, eine Luke zum Bad. Die Außenjalousien sind halb geschlossen. Auf den Fensterbänken türmen sich Bücher wild übereinander. Paperbacks, Bildbände, schmale Hefte, schwere Wälzer. Einige sind dicht an die Scheibe gerutscht.

Wer gelegentlich durch die Kuhlenstraße in Mülheim-Eppinghofen läuft, dürfte diese Fenster kennen und hat sich vielleicht schon gefragt, welcher Bücherfreak dort wohnt? Warum es so unordentlich aussieht? Warum die Jalousien nie hochgezogen werden und man nie jemanden hinter den Fenstern sieht?

Verstorbener Mülheimer war psychisch krank

Weil dort schon lange niemand mehr lebt, lautet ein Teil der Antwort. Der andere Teil ist komplizierter.

Der Mann, der hier länger als zwölf Jahre wohnte und im August 2023 verstarb, war psychisch krank. Mal depressiv, mal manisch, mal fast unauffällig, mal im Wahn. „Er hat Tausende von Büchern gesammelt und extrem viel gelesen“, berichtet Udo Bommert, nach eigener Auskunft ein sehr langjähriger Freund. Da der Verstorbene von Sozialleistungen nach SGB XII lebte und wenig Geld hatte, habe er sich auf Flohmärkten oder aus Bücherschränken versorgt. „Am Ende hat er sich hinter seinen Büchern verbarrikadiert.“

Freund hat die Schlüssel, er sollte sich um die Wohnung kümmern

Irgendjemand rief die Polizei. Die eingetretene Zimmertür liegt immer noch auf einer zerschlissenen schwarzen Ledercouch. Ringsherum Berge von Büchern. Teils zerrissen, verstaubt. Der Freund sei Ende Juni 2023 in die Psychiatrie des St. Marien-Hospitals eingewiesen worden, berichtet Bommert, wenige Tage später habe man ihn auf die Intensivstation verlegt und in ein künstliches Koma versetzt. „Kurz vorher“, sagt Bommert, „hat er mir seine Schlüssel anvertraut. Ich sollte mich um seine Wohnung kümmern.“

Udo Bommert, ein langjähriger Freund des Verstorbenen, vor dem Haus. Ihm ist unverständlich, dass sich niemand für die Sozialwohnung zuständig fühlt.
Udo Bommert, ein langjähriger Freund des Verstorbenen, vor dem Haus. Ihm ist unverständlich, dass sich niemand für die Sozialwohnung zuständig fühlt. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Der kranke Freund sei Wochen später in den Duisburger Sana-Kliniken verstorben, im Alter von 65 Jahren, „doch nicht an seiner psychischen Krankheit“, so Bommert. Er war alleinstehend und kinderlos. Seine beiden Geschwister, die weit entfernt leben, hätten zwar die Beisetzung organisiert und bezahlt, das Erbe jedoch ausgeschlagen. Ende September 2023 wurde der Verstorbene beerdigt.

Großes Immobilienunternehmen ist Vermieter

Im Oktober 2024 steht Udo Bommert vor dem bräunlich-grauen Mietshaus, in dem der langjährige Freund wohnte. Es ist eine einfache Sozialwohnung, zwei Zimmer, Küche, Bad, dahinter ein kleiner Garten. Gebäude und Treppenhaus machen auf den ersten Blick einen ordentlichen Eindruck. Vermieter ist Covivio, nach eigenen Angaben eines der größten Immobilienunternehmen in Europa.

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Das ehemalige Zuhause des Kranken wirkt chaotisch, verwahrlost. Der Freund erledigte das Nötigste, entsorgte Abfall und Lebensmittel, lüftet gelegentlich die Räume. Ansonsten hat sich seit Sommer 2023 nichts verändert. Neben der Wohnungstür lehnt eine Krücke. Niemand sah sich bislang dafür verantwortlich, die Zimmer ausräumen zu lassen.

W. lebte von Sozialhilfe und stand unter gerichtlicher Betreuung

Bommert erzählt noch etwas mehr über seinen alten Freund. Wegen seiner psychischen Erkrankung habe er jahrzehntelang unter gerichtlicher Betreuung gestanden. Zudem habe ihn der Verein Mülheimer Kontakte unterstützt, im Rahmen des Betreuten Wohnens. „Beide Instanzen waren jedoch mit dem Tod des Betreuten nicht mehr zuständig“, ergänzt Bommert.

Wer dann? Die Stadt Mülheim? Miete und Hilfe zum Lebensunterhalt zahlte das Sozialamt. Eine Anfrage Bommerts an das städtische Bürgeramt wurde Anfang April recht zügig beantwortet. Eine Kopie der Mail liegt dieser Redaktion vor. Darin heißt es, dass die rechtliche Betreuung mit dem Tod erloschen sei. Weder die Betreuungsperson noch die Betreuungsbehörde dürften dann handeln. „Dies obliegt möglichen Erben oder ggf. auch einem Nachlasspfleger“, heißt es weiter.

Stadt Mülheim: Sozialamt für Räumung der Wohnung nicht zuständig

Auf Anfrage dieser Redaktion erklärt die Stadt Mülheim: Das Sozialamt stehe in keinem Rechtsverhältnis mit dem Vermieter, müsse daher weder die Räumung der Wohnung veranlassen noch die Kosten dafür tragen. In Einzelfällen - wenn jemand bis zu seinem Tod im Leistungsbezug war - übernehme das Sozialamt Kautionsforderungen des Vermieters - „in der Regel aber für Haftung aus Mietschäden und nicht für Entrümpelungen“, so eine Sprecherin der Stadt.

Udo Bommert, langjähriger Freund des Verstorbenen.

„Am Ende hat er sich hinter seinen Büchern verbarrikadiert.“

Udo Bommert

Da die Angehörigen das Erbe ausgeschlagen haben, sei der Vermieter verantwortlich für die Räumung der Wohnung und sollte beim Amtsgericht die Einrichtung einer Nachlasspflegschaft beantragen. Dann müsste sich ein vom Gericht eingesetzter Nachlasspfleger um die Abwicklung kümmern.

Fachanwalt: Nachlasspfleger muss prüfen, ob genügend Geld vorhanden ist

Ähnlich schätzt Rechtsanwalt Jan Bonnekamp den Fall ein, der in der Mülheimer Kanzlei Bückmann die Abteilung Nachlassverwaltung leitet. Der Experte sagt: Wenn keine weiteren Erben ermittelt werden könnten oder der Vermieter einen Ansprechpartner verlange, werde eine Nachlasspflegschaft eingerichtet. „Der Nachlasspfleger prüft dann, ob genügend Geld zur Räumung und Renovierung vorhanden ist, oder ob er die Wohnung gegenüber dem Vermieter freigibt.“

Das Amtsgericht Mülheim ließ eine Anfrage dieser Redaktion inhaltlich unbeantwortet. Auch gebe es keine Statistik darüber, wie viele Menschen in Mülheim versterben ohne Erben.

Covivio: Alle notwendigen Schritte eingeleitet

Vermieter Covivio reagiert auf unsere Fragen zur Wohnung des verstorbenen Mülheimers sehr schnell, aber nur äußerst knapp. Aus datenschutzrechtlichen Gründen könne man zu Einzelfällen keine Stellung nehmen, erklärt eine Sprecherin des Wohnungsunternehmens. „Wir können Ihnen jedoch mitteilen, dass Covivio alle notwendigen Schritte eingeleitet hat.“ Wann in der Kuhlenstraße etwas passiert, könne man aber nicht sagen.

„Es ist nicht einfach, hier jeden Tag vorbeizugehen“, sagt eine Nachbarin, die den Verstorbenen persönlich kannte. „Wenn er nicht krank war, nicht seine Attacken hatte, war er auch immer sehr freundlich.“ Sie würde häufiger gefragt, wie es in der Wohnung weitergeht. „Schade, dass sie schon so lange unbewohnbar ist.“ Das findet auch Udo Bommert. Ihn wundert, dass Covivio die Räume so lange vergammeln und leerstehen lässt. „Interessenten für günstigen Wohnraum gibt es doch reichlich. Ich fürchte, es handelt sich um keinen Einzelfall.“

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