Mülheim. Jan Heinisch sitzt für Mülheim im Landtag, nun nahm er im Sandkasten Platz. Was er bei einem Besuch in Styrum über den Kita-Notstand gelernt hat.

Im Sand buddeln, eine Partie Memory spielen, beim Mittagessen zur Hand gehen: Jan Heinisch, von Beruf Landtagsabgeordneter der CDU, schlüpfte dieser Tage für einige Stunden in die Haut eines Erziehers. Morgens platzt Heinisch in den Sitzkreis der Jungen und Mädchen hinein, die Ü3-Kinder der Mülheimer Kita „KiKu Burgmäuse“ aber zeigen sich gnädig. „Ich war sofort voll integriert“, erzählt der 48-Jährige und grinst. Dass in der Styrumer Einrichtung trotzdem nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen ist, erfährt er spätestens im intensiven Gespräch mit Kita-Leiterin Katharina Großmann.

97 Kinder, die jüngsten gerade sechs Monate alt, sechs Gruppen und 35 Mitarbeitende. Das Zahlenwerk zeigt: Die 2017 eröffnete Einrichtung des in Nürnberg sitzenden Trägers Kinderzentren Kunterbunt ist eine der größten in der Stadt. Die Betreuungsplätze gehen je zur Hälfte an Kinder aus Styrum und an Kinder der Aldi-Belegschaft. Der Konzern ist Kooperationspartner und Eigentümer der preisgekrönten Immobilie, in der die Kita samt Familienzentrum untergebracht ist.

„Wenn ich eine Stelle offen habe, bekomme ich kaum Bewerbungen“, so die Mülheimer Kita-Leiterin

Chefin Großmann weiß, dass der Name Aldi zieht. Bei der mühseligen Suche nach neuem Personal sei die Zusammenarbeit ein Pluspunkt, erzählt sie beim Besuch des Politikers. Am Grundproblem ändere das nichts: Die Akquise ist und bleibt ein Kraftakt. „Wenn ich eine Stelle offen habe, bekomme ich kaum Bewerbungen.“ Sie müsse „das komplette Netzwerk aktivieren und sämtliche Eltern einbinden“, um vielleicht einen Tipp zu erhalten. „Letztlich werben die Kitas sich das Personal nur gegenseitig ab“, so ihr nüchternes Fazit. Der Fachkräftemangel in der frühkindlichen Bildung sei eklatant - trotz des verbesserten Tarifs. Immerhin sei es in diesem Jahr gelungen, fünf Azubis einzustellen. Das ist ein Glücksfall, sagt die 37-Jährige. Selbst auszubilden, sei der beste Weg aus der Misere. „Erfahrungsgemäß bleiben die meisten Azubis später nämlich bei uns.“

Wie wichtig die Arbeit mit den Kindern ist, sei jeder und jedem in ihrem Team klar. „Wir sind uns der Verantwortung bewusst, geben jeden Tag alles, damit sie sich entwickeln können und später in der Gesellschaft klarkommen.“ Trotzdem gerate man oft an Grenzen. Der viel beschriebene Kita-Notstand, der gerade auch die Schwester-Einrichtung „KiKu Kinderland“ am Siepmanns Hof immer wieder beschwert hat, ist auch bei den Burgmäusen Thema.

Und das Ausmaß für alle Eltern oft schon bei der Ankunft am Morgen zu sehen - dann nämlich, wenn die Personalampel im Eingangsbereich mal wieder auf Orange steht oder sogar auf Knallrot. „Grün bedeutet, die Eltern können mit allen Anliegen zu uns kommen. Gelb heißt: Wir fahren auf Sicht und es wäre schön, wenn sie das Kind früher abholen könnten.“ Bei Orange oder Rot ist klar: Das verbliebene Personal muss sich dringend etwas einfallen lassen, um noch alle betreuen zu können.

„Zeitweise waren wir froh, wenn wir noch auf zwölf Leute kamen“

So war es etwa Anfang des Jahres, als etliche Kolleginnen und Kollegen „wegen Schwangerschaft, Umzug, Krankheit“ wegfielen. „Zeitweise waren wir froh, wenn wir noch auf zwölf Leute kamen. Es war so knapp, dass wir eine Gruppe auflösen mussten.“ Die zehn U3-Kinder, die ja oft noch großen Pflegebedarf haben, wurden auf andere Gruppen verteilt. Und irgendwie gelang es auch damals wieder, die schwierige Zeit zu überstehen.

Großmann glaubt, „dass andere Kitas noch größere Probleme haben“, „dass wir hier gar nicht die verzweifeltsten sind“. Und dennoch sehnt sie sich nach Lösungen, übrigens auch in puncto Inklusion. Zu den Burgmäusen gehören stets zehn bis 15 Kinder mit Inklusionsbedarf. Und gerade in diesem Bereich sei die Bürokratie sehr schwerfällig: „Ich wünsche mir schnellere Abläufe. Es dauert viel zu lang, bis das Geld kommt, bis wirklich gefördert werden kann.“

Die Mülheimer Kita-Leiterin Katharina Großmann hat im Alltag mit Personalnot und zu langsamer Bürokratie zu kämpfen.
Die Mülheimer Kita-Leiterin Katharina Großmann hat im Alltag mit Personalnot und zu langsamer Bürokratie zu kämpfen. © FUNKE Foto Services | Gerd Wallhorn

Kurz vor dem Besuch von Jan Heinisch stand besagte Personalampel auf Orange, am Tag seines Erscheinens war sie gerade wieder auf Gelb gesprungen. Unter anderem hatte sich die Alltagshelferin krankgemeldet, die das pädagogische Personal entlasten soll und die er gern kennengelernt hätte. Finanziert wird diese aus einem noch bis Mitte 2026 laufenden Programm des NRW-Familienministeriums.

Dass sich die sonst so weit entfernte Politik aus Düsseldorf für die Klein-Klein-Bedingungen vor Ort interessiert, begrüßt Großmann: „Es ist wichtig, die Praxis zu erleben, in den Austausch zu kommen. Ich sage jedem: Kommt vorbei und schaut es euch an.“

„Ich habe die Zeit im Kindergarten als laut, quirlig und längst nicht immer schön in Erinnerung“

Heinisch hat es getan, und festgestellt, dass die Atmosphäre im Kindergarten heutzutage „zugewandter“ ist als in seiner Zeit vor über 40 Jahren. „Ich habe es vor allem laut, quirlig und längst nicht immer schön in Erinnerung.“ Heute gehe das Personal „individueller“ auf jedes einzelne Kind ein. „Es war ein echter Gewinn, sich vor Ort umzuschauen, den Perspektivwechsel vorzunehmen. Wenn man über Gesetze redet, hat man die Abläufe des Alltags oft nicht im Kopf.“

Der CDU-Landtagsabgeordnete Jan Heinisch glaubt, dass das aktuelle Betreuungsmodell mit den 25-, 35- und 45-Stunden-Paketen zu starr ist.
Der CDU-Landtagsabgeordnete Jan Heinisch glaubt, dass das aktuelle Betreuungsmodell mit den 25-, 35- und 45-Stunden-Paketen zu starr ist. © FUNKE Foto Services | Gerd Wallhorn

Die Reform des für den Kita-Alltag maßgeblichen Kinderbildungsgesetzes (KiBiz) steht an. Heinisch erwartet eine „intensive Debatte“. Es gebe jede Menge strittiger Fragen und Druck aus der Bevölkerung: „Wir bekommen viele Zuschriften von Eltern, die sich beschweren, weil das System nicht verlässlich ist.“ Geld sei nicht die alleinige Lösung, zumal schon viel vom Land komme, etwa für den Neubau von Kitas. „Die dafür vorgesehenen 115 Millionen Euro wurden 2024 noch einmal um 85 Millionen Euro aufgestockt.“ Auch die beiden beitragsfreien Kita-Jahre sind seines Erachtens „eine massive Entlastung“.

Heinisch hält das aktuelle Betreuungsmodell für zu starr

Heinisch hält das aktuelle Betreuungsmodell, bei dem die Eltern sich für 25, 35 oder 45 Stunden entscheiden müssen, für „zu starr“. Er glaubt, Zwischenstufen sind sinnvoll, um passgenauer zu arbeiten, das System effizienter zu machen. Katharina Großmann hingegen, die Frau aus der Praxis, die ein solches System zu organisieren hätte, kann sich eine solche Flexibilität kaum vorstellen.

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