Mülheim. Opfer von Gewalttaten oder Missbrauch, auch andere Zeugen fürchten den Gang zum Gericht. Mülheims Amtsgericht bietet ihnen speziellen Schutz.
Ein freundlich und modern eingerichtetes Kinderzimmer mit schönem Spielzeug und ein durch einen Raumteiler davon getrennter heller Raum mit bequemen Stühlen und einer Kaffeemaschine: Wer glaubt, es ginge hier um eine gemütlich zurechtgemachte Kleinwohnung, der irrt. Diese Wohlfühlumgebung befindet sich mitten im Amtsgericht Mülheim. Die Rede ist vom Zeugenbetreuungsraum des Gerichts.
Dass das Gericht diesen Schutzraum seit einem Jahr anbietet, ist dem Umstand geschuldet, dass viele Menschen, insbesondere Frauen und Kinder, den Aufenthalt im Gericht fürchten. Zum einen hat die unbekannte, bisweilen bedrückend wirkende Atmosphäre des Amtsgebäudes eine einschüchternde Wirkung auf viele Menschen. Zum anderen haben gerade Opfer von Gewalttaten große Angst davor, ihren Peinigern, über die sie vor Gericht aussagen sollen, vor der Eingangstür oder auf den Fluren des Gerichts zu begegnen.
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Scheidungen und Sorgerechtsverfahren: Kinder soll angstfrei im Gericht sein
Aus diesem Szenario heraus hat sich bei einigen Mitarbeitern des Amtsgerichts, des Kommunalen Sozialen Dienstes (KSD) der Stadt Mülheim und des Ambulanten Sozialen Dienstes der Justiz die Idee entwickelt, den zuvor beschriebenen Schutzraum einzurichten. Motivation dafür war aber auch ein anderer Wunsch: Kindern, die in familienrechtlichen Angelegenheiten, also etwa im Rahmen von Scheidungen und Sorgerechtsverfahren, richterlich vernommen werden müssen, soll die Angst genommen werden, die die Gerichtsatmosphäre bei ihnen auslösen kann.
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Für die Beratung von Kindern und Jugendlichen wurde zu diesem Zweck schon vor einigen Jahren das Projekt „Hope“ gegründet, das nun in dem Betreuungsraum verwirklicht wird. Vor etwa einem Jahr kam dann ein entsprechendes Angebot auch für Erwachsene hinzu.
Mülheims Anwaltschaft gab Raum für die gute Sache her
Nachdem die Idee für den Zeugenbetreuungsraum geboren war, waren zunächst Papierkram und Telefonate angesagt. Gerichtsdirektorin Susanne Galonska-Bracun musste beim Land Mittel beantragen für die Ausstattung des Raums. Auch wurde die Mülheimer Anwaltschaft, die diese Räumlichkeit bisher als Warteraum belegt hatte, mit guten Worten davon überzeugt, den Raum für die gute Sache herzugeben. Hat nach einigem Weh und Ach auch geklappt. Die Juristen räumten das Feld.
Danach spuckten die Freiwilligen, die sich in den genannten Organisationen für das Projekt gemeldet hatten, kräftig in die Hände und legten los. „Wir haben die Möbel alle selbst aufgebaut“, erklärt Denis Leusmann vom KSD nicht ohne Stolz. Und natürlich mussten für die Kleinen Spielsachen und für die Erwachsenen besagte Kaffeemaschine und andere Wohlfühlutensilien herangeschafft werden.
Mülheims: Zeugenbetreuungsraum: Alles andere als ein reiner Warteraum
Der Zeugenbetreuungsraum ist allerdings alles andere als ein reiner Warteraum für Zeugen. „Betreuung“ wird an diesem Ort großgeschrieben. Alle Profis, die sich hier um die Zeugen kümmern, haben in irgendeiner Weise besondere Expertise im Umgang mit Kindern und mit erwachsenen Menschen im Ausnahmezustand. Es sind etwa Mitarbeiter aus dem Ressort von Jugendamtsleiterin Lydia Schallwig, die zur Betreuung auf Anforderung an die Georgstraße geschickt werden. Oder Richter.
„Der Umgang mit Kindern im justiziellen Umfeld ist Teil unserer Ausbildung“, betonen Jugendrichter Marc Schneider und seine Kollegin, Familienrichterin Antje Hahn. Wenn die Richter in Sorgerechtsverfahren betroffenen Kinder anhören, dürfen die Kleinen dabei mit Buntstiften malen oder mit dem großen Stoffhund kuscheln, der die halbe Couch in der Spielecke in Beschlag nimmt.
Betreuung durch Profis: Ängstliche Zeugen werden in Mülheim stark gemacht
Auch Kinder, die in dem für sie ungewohnten und verunsichernden Umfeld möglicherweise aus Angst blockieren würden und für ein Gespräch nicht mehr offen wären, lockern in dieser schönen Spielumgebung auf und vergessen schnell, wo sie sich befinden. Das hilft auch den Richtern, die so mit den Kindern ins Gespräch kommen und dadurch sachgerechte Entscheidungen treffen können, welcher Elternteil in welcher Weise mit den Kindern Umgang haben sollte. Der Raum wird fast täglich genutzt.
Ängstliche Zeugen werden von den Profis von KSD, Jugendamt und Gericht stark gemacht, um den Gang in den Gerichtssaal zu überstehen und brauchbare Aussagen abzugeben, ohne die insbesondere Strafverfahren oft nicht erfolgreich abgeschlossen werden könnten. Die Betreuung endet aber nicht an der Tür des Betreuungsraums. Wenn erforderlich, begleiten sie die Zeugen auch in den Gerichtssaal, setzen sich zur Beruhigung neben sie. Und notfalls wird auch mal jemand in den Arm genommen, dem aus Angst die Tränen kommen oder die Stimme wegbleibt. Wenn von den Betreuern gerade niemand einsatzbereit sein sollte, gibt es hilfsweise auch uniformierte Begleitung. „Falls erforderlich, stehen meine Mitarbeiter den Zeugen auf dem Weg zum Saal und auch im Saal zur Verfügung“, betont der Chef der Wachtmeisterei, Markus Kothen.
Missbraucht vom Vater: Tochter konnte im Betreuungsraum bleiben
Wie wertvoll der Zeugenbetreuungsraum ist, hat auch die Vorsitzende des Schöffengerichts, Claudia Lubenau, erst unlängst wieder feststellen dürfen. Sie führte eine Verhandlung gegen einen Mann, der seine leibliche Tochter über lange Zeit zum Beischlaf genötigt hatte. Die junge Frau musste ihrem Vater, zu dem sie keinen Kontakt mehr wollte, nicht gegenübertreten, da sie über die ganze Verhandlung hinweg im Zeugenbetreuungsraum versorgt wurde. Da der Angeklagte ein Geständnis ablegte, musste die Frau schließlich gar nicht in den Saal geholt werden. Richterin Lubenau damals: „Die Frau zittert am ganzen Körper und kann kaum sprechen. Ich bin froh, dass sie im Betreuungsraum bleiben kann.“
Zeugen erhalten mit ihrer Vorladung ein Merkblatt, in dem sie auf den Schutzraum und die Betreuung hingewiesen werden. Wer möchte, kann sich beim Gericht oder bei den kooperierenden sozialen Einrichtungen melden - unbedingt frühzeitig, damit Betreuer bereitstehen können. Wer mag, kann sich auch deutlich vor dem Termin schon einmal den Gerichtssaal zeigen und eine Gerichtsverhandlung erklären lassen, damit etwas Angst abgebaut wird. Jeder sollte merken: Bei Gericht sind viel Empathie und Verständnis im Spiel.
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