Mülheim. Eine Mülheimerin (84) stürzt in der Tram 112. Die Reaktion der Ruhrbahn macht ihren Sohn sauer. Wie das Unternehmen die Unfälle verhindern will.

Die Straßenbahnlinie 112 am Mülheimer Oppspring: Durch die abrupte Anfahrt verliert eine 84-jährige Mülheimerin den Halt und fällt mit voller Wucht in den Sitz. Aufgrund von starken Prellungen hat sie bis heute Schmerzen. Der Vorfall selbst und vor allem der Umgang damit machen ihren Sohn fassungslos.

„Dadurch, dass ich meine Mutter öfter begleite, habe ich ein Gefühl dafür bekommen, wo die Schwierigkeiten in Bus und Bahn liegen“, sagt Thorsten Wegner. Er prangert vor allem den Missstand an, dass die Fahrerinnen und Fahrer vor der Weiterfahrt den Mitfahrenden kaum Zeit lassen, sich einen Sitzplatz oder sicheren Stehplatz zu verschaffen.

Mülheimer Ruhrbahn: Fahrpersonal muss grundsätzlich nicht warten

„Der Fahrer sieht doch bei der Anfahrt der Haltestelle, dass gebrechliche alte Menschen mit Rollator mitfahren möchten. Werden die Fahrer nicht geschult oder ist es für die Ruhrbahn normal, ihre alten Fahrgäste in Lebensgefahr zu bringen? Nach dem Einstieg muss alten Menschen die Chance gegeben werden, sich hinzusetzen“, ärgert sich der Mülheimer und ergänzt: „Wir haben immer mehr alte Menschen in unserer Stadt und daran muss sich ein Dienstleistungsunternehmen orientieren.“

Die Ruhrbahn bedauert jegliche Art von Unfällen sehr, „ob diese unseren Fahrgästen passieren oder unseren Mitarbeitenden, und wir sind froh, dass es sich um Einzelfälle handelt“, sagt Sprecherin Simone Klose. Sie betont, dass Fahrerinnen und Fahrer von Straßenbahnen und Linienbussen grundsätzlich nicht verpflichtet seien, mit der Abfahrt zu warten, bis alle Fahrgäste einen festen Halt eingenommen haben. „Sondern sie müssen sich vielmehr im Sinne der generellen Fahrgastsicherheit auf das Geschehen auf der Straße oder Strecke konzentrieren“, heißt es.

Welche Bemühungen das Personal unternimmt – Appell an Fahrgäste

Gleichwohl sei das Fahrpersonal bemüht, auf die besondere Situation von älteren Menschen und insbesondere mobilitätseingeschränkten Fahrgästen Rücksicht zu nehmen und werde in regelmäßigen Abständen im Umgang mit solchen Fahrgästen geschult. „Dies ist jedoch beispielsweise aufgrund der Fahrzeuglänge von Straßen- und Stadtbahnen und dem fehlenden Sichtkontakt nur schwer umsetzbar“, so die Ruhrbahn-Sprecherin.

Man appelliere grundsätzlich an alle Fahrgäste – insbesondere Seniorinnen und Senioren – „sich immer einen sicheren Stand/Sitzplatz sowie einen sicheren Halt zu verschaffen und beizubehalten.“ Dies sei auch in den Beförderungsbedingungen eindeutig geregelt.

Mülheimer nach Ruhrbahn-Reaktion fassungslos

Auch Thorsten Wegner hat mittlerweile eine Antwort vom Kundendialog des Verkehrsunternehmens mit ähnlichen Hinweisen bekommen und ist darüber fast fassungsloser als über den Vorfall selbst. „Es ist erschreckend, wie kalt und formal diese Antwort war. Damit wird die Gefährdung der Gesundheit alter und behinderter Menschen zum Geschäftsmodell erklärt“, schimpft der Mülheimer.

Ein Mülheimer wünscht sich, dass Busse und Bahnen zum Beispiel am Mülheimer Hauptbahnhof einen Ticken länger halten, damit Seniorinnen und Senioren einen sicheren Halt oder Sitzplatz finden können.
Ein Mülheimer wünscht sich, dass Busse und Bahnen zum Beispiel am Mülheimer Hauptbahnhof einen Ticken länger halten, damit Seniorinnen und Senioren einen sicheren Halt oder Sitzplatz finden können. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Er schlägt einen Realitätscheck vor: „Wie soll ein Mensch mit Rollator sich festhalten können, wenn er beide Hände am Rollator hat? Wenn er den Rollator zwecks Eigensicherung losließe, würde dieser ja unkontrolliert durch die Bahn oder den Bus schießen und andere gefährden.“

Wegner hat recherchiert und zahlreiche Zeitungsartikel aus diversen deutschen Städten herausgesucht, die belegen, dass Stürze von Seniorinnen und Senioren im öffentlichen Nahverkehr keine Einzelfälle sind. Was kann man also tun?

Welche Tipps Seniorinnen und Senioren für Bus- und Bahnfahrten bekommen

Um Fahrgästen die Unsicherheiten zu nehmen beziehungsweise eine Hilfestellung für das sichere Nutzen des ÖPNV zu geben, bietet die Ruhrbahn kostenlose Bus- und Bahntrainings an. „Dort erfahren Seniorinnen und Senioren in angenehmer Atmosphäre mehr zum richtigen Verhalten in Bus und Bahn“, heißt es. Unter anderem werde dort das richtige Sitzen während der Fahrt, das Festhalten bei einer Vollbremsung, das Drücken von Halteknöpfen, das Ein- und Aussteigen und Abstellen des Rollators in Bus und Bahn vermittelt. Dabei würden den Seniorinnen und Senioren folgende Tipps gegeben.

  • Nach dem Einstieg nicht lange überlegen: Steuern sie auf den ersten Platz zu, den Sie sehen können
  • Kein Platz in Reichweite? Scheuen Sie sich nicht, andere Fahrgäste um ihren Sitzplatz zu bitten. Die meisten sind hilfsbereit.
  • Auch Sitzplätze entgegen der Fahrtrichtung sind geeignet.
  • Während der Fahrt gut festhalten und erst aussteigen, wenn das Fahrzeug gehalten hat.
Ein Fahrtraining der Ruhrbahn im Juni 2023: Gertrud Lüttkenhorst (li.) erklärt zwei Seniorinnen den richtigen Einstieg in den Bus mit dem Rollator.
Ein Fahrtraining der Ruhrbahn im Juni 2023: Gertrud Lüttkenhorst (li.) erklärt zwei Seniorinnen den richtigen Einstieg in den Bus mit dem Rollator. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Ruhrbahn bietet kostenlosen Begleitservice an

Darüber hinaus bietet die Ruhrbahn einen kostenlosen Begleitservice an. Mitarbeitende begleiten ältere oder mobilitätseingeschränkte Fahrgäste bei Bedarf und nach vorheriger Bestellung auf ihrer Fahrt in Bus und Bahn.

Thorsten Wegner appelliert noch einmal, das Wohl und die Zufriedenheit der Kundinnen und Kunden an erste Stelle zu setzen. „Wenn alten Menschen reihenweise teils schwere gesundheitliche Schäden entstehen, dann läuft etwas falsch. Wir alle sollten uns an den Schwächsten orientieren und ihnen helfen, den Alltag zu bestehen. Das ist mit 84 Lebensjahren schwer genug.“

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