Mülheim. Gabi Spitmann berät Niedriglöhner und Arbeitslose in Mülheim, viele mit Migrationshintergrund. Auf dem Wohnungsmarkt haben sie kaum Chancen.
Einer von Gabi Spitmanns Klienten bekommt demnächst kein Krankengeld mehr. Aussteuerung nennt man im Beamtendeutsch das, was jetzt passiert; Spitmann wird mit ihm gemeinsam die nötigen Schritte einleiten. Dabei steht viel auf dem Spiel. „Wenn der Übergang jetzt nicht klappt, kann ich meine Miete nicht überweisen, dann kommt der Vermieter.“ Ungefähr so stellt sich der Aktenvorgang aus Klientensicht dar, verdeutlicht Spitmann.
Menschen mit Existenzängsten empfängt sie tagtäglich. „Das ist der ganz überwiegende Teil unserer Beratung.“ Auf einem Tisch hinter ihr stapeln sich griffbereite Aktenpakete. Fünf Termine stehen heute in Spitmanns Terminkalender. Zwei davon sind Erstberatungen. Der Beratungsbedarf ist hoch. Um die 1000 Gespräche führt Spitmann pro Jahr. Ihr einziger Mitarbeiter hilft vier Stunden in der Woche bei der Post.
Beim Umzug steht die Existenz auf dem Spiel
Der Name Arbeitslosenzentrum ist etwas irreführend. Nicht mal die Hälfte der Menschen, die sie aufsuchen, sind ohne Arbeit, erklärt Spitmann. Etliche seien Aufstocker, die zwar Vollzeit arbeiten, ihre Familie vom Mindestlohn allein aber trotzdem nicht ernähren können. Ungefähr zwei Drittel hätten Kinder, darunter viele Alleinerziehende.
Das Mülheimer Arbeitslosenzentrum
Das Arbeitslosenzentrum MALZ wurde 1986 gegründet. Das Angebot im Mülheimer Gewerkschaftshaus richtet sich in der Hauptsache an Empfängerinnen und Empfänger von Bürgergeld mit besonderen Vermittlungshemmnissen. Neben einer geringen Qualifizierung zählen dazu ein höheres Lebensalter, gesundheitliche oder psychische Einschränkung, ein fehlender Schulabschluss, geringe berufliche Kenntnisse oder ein Migrationshintergrund.
Bekommen die vom Vermieter einen Brief mit der Ankündigung einer Mieterhöhung, steht sofort die Frage im Raum, ob jetzt ein Umzug droht. Genauso, wenn ein Kind aus der Wohnung zieht. Dann lautet die bange Frage: Segnet das Jobcenter die höheren Wohnkosten ab, oder nicht? „Das ist der Horror“, sagt Gabi Spitmann. Wer am Existenzminimum lebt, weiß um seine bescheidenen Chancen am Mülheimer Wohnungsmarkt. Doppelmieten werden nicht genehmigt; wer raus muss, kündigt also in der Regel, bevor er oder sie etwas Neues gefunden hat.
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Wer mit Akzent spricht, wird schon am Telefon abgewimmelt
„Wenn mein Rückzugsort, da, wo alles ist, was ich habe, wenn das gefährdet ist, das stelle ich mir als eines der schlimmsten Dinge vor, die passieren können“, sagt Spitmann. Besonders brenzlig wird es, wenn zum schmalen Budget noch ein anderer, äußerst ungünstiger Faktor hinzukommt.
„Schwarz, Moslem, Kinder.“ So beschreibt Gabi Spitmann, ohne zu überlegen, das Profil von Kandidaten mit den denkbar schlechtesten Chancen. Wenig Geld haben ihre Klienten alle. Wer zusätzlich noch den ,falschen‘ Namen trägt oder mit hörbarem Akzent spricht, bekomme oft schon am Telefon eine Absage.
„Wenn mein Rückzugsort, da, wo alles ist, was ich habe, wenn das gefährdet ist, das stelle ich mir als eines der schlimmsten Dinge vor, die passieren können.“
Bei manchen Kandidaten ist die Wohnung grundsätzlich schon vergeben
Vielleicht schafft es jemand noch bis zur Wohnungsbesichtigung, Vermieter gäben sich heutzutage nur noch selten die Blöße, jemanden aus erkennbar rassistischen Motiven direkt abzulehnen. „Die haben inzwischen dazugelernt und sagen nicht mehr alles“, so Spitmann. Es kommt also zum Besichtigungstermin „und dann wird ihnen gesagt, dass die Wohnung weg ist und sie stehen dann daneben, wenn die Nächsten die Wohnung besichtigen.“
Für ihre Klienten seien die Folgen von Rassismus im Alltag überall zu spüren. „Wissen Sie, wie oft ich Facharzttermine vereinbaren muss?“ Solche Probleme ließen sich immerhin regeln, sagt Spitmann, die von verzweifelten Wohnungssuchenden auch öfters gebeten werde, sie solle an ihrer Stelle anrufen. Die Hoffnung ihrer Klienten: Wenn ich dann erst mal persönlich da bin, kann ich den Vermieter überzeugen. Dass dem nicht so ist, weiß Spitmann aus Erfahrung. Und ihr Vorsprechen helfe schon gar nicht.
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Zwielichtige Makler vermitteln in Mülheim Billig-Wohnungen
Wer etwas mehr als den Mindestlohn verdient oder durch reichlich Überstunden Rücklagen bilden kann, engagiert zwielichtige Makler, die sich auf das Geschäft mit der Not spezialisiert haben. Man findet sie in den sozialen Medien oder durch Empfehlungen. Für die Vermittlung einer Wohnung, die nur nimmt, wer keine Wahl hat, werden drei Monatsmieten fällig, so Spitmann. „Das sind keine tollen Wohnungen, aber sie haben dann eine“, sagt Spitmann. „Und sie haben sich bei der Suche nicht allzu oft beleidigen lassen, das ist auch ganz gut.“
Die günstigsten Wohnungen am Markt sind im Stadtgebiet ungleich verteilt. Wer sich leisten kann, vermeidet, in Viertel mit hoher Armutsquote zu ziehen. Ist das Quartier oder eine Straße erst einmal in Verruf geraten, „wachsen die Probleme von allein, man muss dann gar nichts mehr machen“, sagt Spitmann. Oft beschweren sich Anwohner, zum Beispiel in der Innenstadt, über spielende Kinder. „Wo sollen die denn spielen?“ Hätten die Eltern Alternativen, wären sie woanders hingezogen: in Häuser mit grünen Hinterhöfen oder einem Spielplatz um die Ecke zum Beispiel.
Mit der falschen PLZ in Mülheim sinken Kreditwürdigkeit und Berufschancen
Schon allein die Postleitzahl habe konkrete Auswirkungen, schildert die Beraterin, bei der Schufa etwa oder bei Personalern, die Bewerbungen allein aufgrund der darin angegeben PLZ schon mal aussortierten. Nach einiger Zeit resignierten ihre Klienten. Manche berät sie seit vielen Jahren. „Die haben schon den Traum aufgegeben, dass sie hier ein gutes Leben haben. Aber sie möchten, dass ihre Kinder hier ein gutes Leben haben. Dafür kämpfen sie. Jeden Tag.“
„Die haben schon den Traum aufgegeben, dass sie hier ein gutes Leben haben. Aber sie möchten, dass ihre Kinder hier ein gutes Leben haben. Dafür kämpfen sie. Jeden Tag.“
Die Startchancen der Kinder sind in erheblichem Maß von der Schulwahl abhängig, und die wird wiederum vom Wohnort bestimmt. „Wenn dann weit über die Hälfte einer Klasse kein Deutsch spricht, hat auch mein Kind ein Problem“, verdeutlicht Spitmann die Situation der Zugezogenen. Unter diesen Bedingungen verfestigt sich Armut und wird an die nächste Generation weitergegeben.
Für Geflüchtete aus der Ukraine wurden Barrieren in Mülheim entfernt
Dass es auch anders geht, zeigt ein Blick auf die Situation der Ukrainerinnen und Ukrainer, die ab 2022 nach Mülheim gekommen sind. Sie habe nach Kriegsbeginn in ihrem Büro keinen erhöhten Beratungsbedarf erlebt, sagt Spitmann. Wie kann das sein? Zunächst seien den Geflüchteten aus der Ukraine weniger Vorurteile entgegengebracht worden, und wenn, dann seien es meist positive gewesen, glaubt Spitmann. Zudem seien es ganz überwiegend Frauen und Kinder gewesen, die vermutlich bei der Wohnungssuche auf etwas mehr Akzeptanz stießen als muslimische junge Männer mit einer anderen Hautfarbe.
Dann gebe es strukturelle Gründe: Den Menschen aus der Ukraine wurde der Zutritt zum Arbeitsmarkt ermöglicht, sie wurden gleich nach der Registrierung vom Jobcenter betreut und konnten ihren Wohnort frei wählen. Andere Geflüchtete wird der Wohnort zugewiesen, anfangs dürfen sie ihn grundsätzlich nicht verlassen. Die gut ausgebaute digitale Verwaltung in der Ukraine habe zudem die bürokratischen Abläufe beschleunigt.
„Das waren doch die gleichen Bomben von dem gleichen Typ“
Diese Ungleichbehandlung stoße bei manchen ihrer Klienten auf Unverständnis. „Das waren doch die gleichen Bomben von dem gleichen Typ“, habe ein Syrer einmal zu ihr gesagt, der damit auf die massiven russischen Luftangriffe auf Wohngegenden syrischer Großstädte anspielt.
Gabi Spitmann, die sich als 18-jährige Ehrenamtlerin bereits in den damaligen sogenannten Asylantenheimen engagierte, findet, dass nicht zuletzt die räumliche Ausgrenzung von zugewanderten Menschen dazu führe, dass sich die Stadtgesellschaft um alle positiven, bereichernden Effekte von Zuwanderung bringe. Und nicht nur sei Diskriminierung ungerecht, sie vergrößere zugleich gesellschaftliche Probleme, die den von Diskriminierung Betroffenen dann zusätzlich angelastet würden.
„Ich bin ja jetzt eine Eingebürgerte“
Wie gehen diejenigen ihrer Klienten, die einen Migrationshintergrund haben, damit um? „Irgendwann muss man sich damit abfinden“, sagt Spitmann. Eine von ihren Klientinnen hat vor kurzem einen deutschen Pass erhalten. „Ich bin ja jetzt eine Eingebürgerte“, habe sie zu Spitmann gesagt. „Hören Sie mal, jetzt sagen Sie doch mal: Ich bin Deutsche. Sie haben einen deutschen Pass, also sind Sie Deutsche“, entgegnete Spitmann. Die Frau habe sie mit traurigen Augen angeschaut, dann mit zwei Fingern eine Hautfalte auf ihrem Unterarm gebildet und gesagt: „Aber sie wissen doch, meine Haut ist nicht deutsch.“ Seit vier Jahren sucht die Frau eine neue Wohnung.
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