Mülheim..

Drei Präzedenzfälle dürften Mülheims Gastronomieszene in Unruhe versetzen: Aktuell wurde die Stadt vom Landesbauministerium angewiesen, die vor Jahren erteilten Baugenehmigungen für die drei beliebten Innenstadt-Cafés Solo, Perfetto und Mocca Nova für rechtswidrig zu erklären. Eine Mülheimerin hatte sich bei der Landesregierung darüber beklagt, dass es für ihre behinderte Tochter in den drei Lokalen keinen barrierefreien Zugang zu den Toiletten gibt.

„Das ist eine verfahrene Situation“, stellte Baudezernent Peter Vermeulen noch am Freitagmorgen fest. Kurze Zeit später hatte er die Betreiber der drei Cafés in sein Büro geladen, um die Sachlage zu besprechen und nach Lösungswegen zu suchen. Fakt ist: Ein Gastronomiebetrieb muss, wenn er über Toiletten verfügt, laut § 55 der Landesbauordnung – in aller Regel – auch einen barrierefreien Zugang ermöglichen.

Die Bauaufsicht der Stadt hatte diese Vorschrift bei der Erteilung der Baugenehmigungen für die drei Cafés 2002, 2004 und 2008 großzügig ausgelegt; überdies dürfte dies der Fall sein für eine große Zahl anderer Einrichtungen in der Stadt, die Barrierefreiheit zu garantieren haben. Das Land nahm die Beschwerde der Mutter nun aber zum Anlass, die Handhabe der Stadt in Schranken zu weisen – wohl ein Fingerzeig auch für andere Städte.

Vermeulen weiß, beides ist wünschenswert: belebende Gastronomie, aber auch, dass Menschen mit einer Behinderung möglichst ohne Hindernis am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Ein schwieriger Spagat, den er nun am Freitag mit den betroffenen Gastronomen besprechen wollte. Bernd Schlüter, Betreiber vom Mocca Nova, kam der Einladung nicht nach. Er ist außer sich vor Wut über „behördliche Schikane“, ihm nach Jahren einfach die Genehmigung zu entziehen. „Ich werde keinen Cent in den Laden reinstecken, dann mache ich den Laden halt im September dicht“, sagte er mit Blick auf die ihm gesetzte Frist, den rechtswidrigen Zustand zu beheben oder einen Antrag für eine Ausnahmegenehmigung zu stellen. Schlüter will nicht verstehen, warum der Gastronomie so viele Steine in den Weg gelegt werden. Da sei ja auch noch das Rauchverbot, das viele seiner Kollegen in der Existenz bedrohe. . .

Die Betreiber vom Café Solo, Rajesh Luthra, und vom Perfetto, Eddie Turkmen, folgten der Einladung Vermeulens – und zeigten sich im Anschluss sehr zufrieden. „Wir wollen es gemeinsam angehen“, so Turkmen. Für ihn, wo die Toilette in der ersten Etage liegt, kommt wohl nur der Weg einer Ausnahmegenehmigung in Frage. Luthra sucht den Kompromiss. Er ist bereit, im Keller ein Behinderten-WC zu bauen. Für den Zugang allerdings hat er nur diese eine Lösung zu bieten: einmal raus aus dem Café, um den Häuserblock und über den Hinterhof rein.

Was in § 55 der Landesbauornung steht

Die Pflicht für Betreiber öffentlich zugänglicher Einrichtungen, Barrierefreiheit zu schaffen, gilt laut Landesbauordnung insbesondere für Kultur und Bil­dungseinrichtungen, Sport- und Freizeitstätten, Einrichtungen des Gesundheitswesens, Büro-, Verwaltungs- und Gerichtsgebäude, Verkaufs- und Gaststätten, Stellplätze, Garagen und Toiletten.

Sie müssen durch einen mindestens 90 cm breiten Eingang stufenlos erreichbar sein – mit ausreichender Bewegungsfläche vor den Türen. Flure müssen mindestens 1,40 Meter breit, ein
Toilettenraum auch für Rollstuhlfahrer geeignet und erreichbar sein.

Abweichungen sind zulässig, soweit die Anforderungen wegen schwieriger Geländeverhältnisse, ungünstiger vorhandener Bebauung oder nur mit einem unverhältnismäßigen Mehraufwand erfüllt werden können.