Mülheim.

Bis zum Sommer 1938 war die jüdische Bevölkerung in Mülheim durch Flucht, Tod und Wegzug um mehr als die Hälfte zurückgegangen. Das hatte nicht zuletzt finanzielle Konsequenzen. Die noch verbliebene Rest-Gemeinde konnte die Belastungen für ihre Synagoge am Viktoriaplatz/Ecke Wallstraße durch Steuern und Unterhaltungskosten auf Dauer nicht mehr tragen.

So sah sie sich am 5. Oktober 1938 zum Verkauf des Gotteshauses an die Stadt gezwungen. Die benachbarte Stadtsparkasse hatte schon seit einiger Zeit an eine Erweiterung ihres Gebäudekomplexes gedacht.

Abriss der Synagoge

Der Verkauf wurde in der Ratsherrensitzung am 30. September 1938 beschlossen und wenige Tage später in der Nationalzeitung vom 7. Oktober unter der Überschrift „Mülheims Judentempel verschwindet“ der Öffentlichkeit mitgeteilt. Für 56 000 Reichsmark wechselte die Synagoge den Besitzer, was den Mitgliedern der jüdischen Gemeinde durch Handzettel mitgeteilt wurde.

Vorerst war es der Gemeinde noch erlaubt, ihre Gottesdienste in dem verkauften Gebäude abzuhalten. Doch bereits Anfang November begannen die Vorarbeiten zum Abriss der Synagoge. Der Davidstern war schon von der Kuppel abmontiert und Gerüstbretter für den Abriss lagen bereit, als in der Nacht vom 9. auf den 10. November der damalige Leiter der Mülheimer Feuerwehr SS-Sturmbannführer Alfred Freter seinen Feuerwehrtrupp anrücken ließ, um - wie aus Berlin befohlen - die Synagoge in Brand zu setzen. Am nächsten Morgen war die wertvolle Inneneinrichtung völlig verbrannt, das Gebäude eine Ruine. Die Feuerwehr hatte sich auf Anweisung von Freter beim Löschen des Brandes darauf beschränken müssen, die Nachbarhäuser vor Funkenflug zu schützen.

Ein unansehnlicher Trümmerhaufen

Zur Beschwerde des Augenzeugen und Anwohners Dr. Otto Niehoff beim Mülheimer Oberbürgermeister Hasenjaeger nahm der verantwortliche Leiter der Feuerwehr Freter wie folgt Stellung: „Im Rahmen der mir gegebenen Richtlinien und entsprechend der Stimmung in der national sozialistischen Bevölkerung Mülheims wurde am Morgen des 10. November 1938 gegen drei Uhr als Antwort auf den jüdischen Mord an dem Gesandtschaftsrat vom Rath von mir die Synagoge der Mülheimer Judenschaft in Brand gesetzt und zerstört. Sofort im Anschluss schützte ich mit meinen Kräften der Feuerlöschpolizei die Nachbarschaft der brennenden Synagoge vor Feuerübertritt und dem starken Funkenflug mit bestem Erfolg.“

Historische und aktuelle Bilder der Synagogen des Ruhrgebiets

.
. © foto@luftbild-blossey.de | foto@luftbild-blossey.de
Schauriges Szenario in Herne am 10. November 1938. Schaulustige
Schauriges Szenario in Herne am 10. November 1938. Schaulustige "Volksgenossen" und Schüler vor der abgebrannten Synagoge an der Schaeferstraße. © WAZ | WAZ
Die zerstörte Herner Synagoge.
Die zerstörte Herner Synagoge. © WAZ | WAZ
Im Hier und Jetzt: Die Synagoge in Bochum liegt in der Nachbarschaft des Planetariums und der Hildegardisschule. Luftbild: Hans Blossey
Im Hier und Jetzt: Die Synagoge in Bochum liegt in der Nachbarschaft des Planetariums und der Hildegardisschule. Luftbild: Hans Blossey © Hans Blossey | Hans Blossey
Eine alte Ansicht von Hattingen. Die Synagoge dort wurde ebenfalls 1938 zerstört.
Eine alte Ansicht von Hattingen. Die Synagoge dort wurde ebenfalls 1938 zerstört. © WAZ | WAZ
Zum ersten Spatenstich für den Umbau der Alten Synagoge in Essen wurde im Oktober dieses Jahres eingeladen. Foto: Arnold Rennemeyer
Zum ersten Spatenstich für den Umbau der Alten Synagoge in Essen wurde im Oktober dieses Jahres eingeladen. Foto: Arnold Rennemeyer © WAZ | WAZ
1913 als Neue Synagoge der jüdischen Gemeinde in Essen eingeweiht, dient das Haus in der Essener Innenstadt heute als kulturelles Begegnungszentrum und Erinnerungsort der Stadt Essen. Foto: Arnold Rennemeyer
1913 als Neue Synagoge der jüdischen Gemeinde in Essen eingeweiht, dient das Haus in der Essener Innenstadt heute als kulturelles Begegnungszentrum und Erinnerungsort der Stadt Essen. Foto: Arnold Rennemeyer © WAZ | WAZ
Mitten im Leben: Die Essener Synagoge während der Loveparade 2007...
Mitten im Leben: Die Essener Synagoge während der Loveparade 2007... © Hans Blossey | Hans Blossey
WAZ-Fotograf Hans Blossey hielt aus der Luft Millionen Raver und die Synagoge im Bild fest.
WAZ-Fotograf Hans Blossey hielt aus der Luft Millionen Raver und die Synagoge im Bild fest. © Hans Blossey | Hans Blossey
Luftbild von der unverkennbaren Essener Synagoge. Foto: Hans Blossey
Luftbild von der unverkennbaren Essener Synagoge. Foto: Hans Blossey © foto@luftbild-blossey.de | foto@luftbild-blossey.de
Eine frühere Gedenkveranstaltung an die Progromnacht in der Essener Synagoge. Foto: Arnold Rennemeyer
Eine frühere Gedenkveranstaltung an die Progromnacht in der Essener Synagoge. Foto: Arnold Rennemeyer © WAZ | WAZ
Innenansicht der Essener Synagoge. Foto: Kerstin Kokoska
Innenansicht der Essener Synagoge. Foto: Kerstin Kokoska © waz | waz
Historische Ansicht der Synagoge.
Historische Ansicht der Synagoge. © WAZ | WAZ
Blick auf Synagoge und Rathaus von Essen. Foto: Hans Blossey
Blick auf Synagoge und Rathaus von Essen. Foto: Hans Blossey © Hans Blossey | Hans Blossey
Der Viktoriaplatz in Mülheim ist der Platz der ehemaligen Synagoge. Bild: Stephan Glagla
Der Viktoriaplatz in Mülheim ist der Platz der ehemaligen Synagoge. Bild: Stephan Glagla © WAZ | WAZ
Zwischen den Fachwerkhäusern in Velbert stand früher die Synagoge von Langenberg. Repro: Franz Meinert
Zwischen den Fachwerkhäusern in Velbert stand früher die Synagoge von Langenberg. Repro: Franz Meinert © WAZ | WAZ
Heute ist davon nichts mehr zu sehen. Foto: Franz Meinert
Heute ist davon nichts mehr zu sehen. Foto: Franz Meinert © WAZ | WAZ
Die völlig ausgebrannte und zerstörte Synagoge in Bochum.
Die völlig ausgebrannte und zerstörte Synagoge in Bochum. © WAZ | WAZ
In strahlendem Sonnenlicht: die neue Bochumer Synagoge am Erich-Mendel-Platz. Foto: Ingo Otto
In strahlendem Sonnenlicht: die neue Bochumer Synagoge am Erich-Mendel-Platz. Foto: Ingo Otto © WAZ | WAZ
Architekt Thomas Riese entwarf die Bochumer Synagoge. Foto: © Ingo Otto
Architekt Thomas Riese entwarf die Bochumer Synagoge. Foto: © Ingo Otto © WAZ | WAZ
Eine Innenansicht des jüdischen Gotteshauses. Foto: Ingo Otto
Eine Innenansicht des jüdischen Gotteshauses. Foto: Ingo Otto © WAZ | WAZ
Jüdische Gemeindemitglieder bei der Einweihung der Bochumer Synagoge . Foto: Ingo Otto
Jüdische Gemeindemitglieder bei der Einweihung der Bochumer Synagoge . Foto: Ingo Otto © WAZ | WAZ
Strahlendes Sonnenlicht in der Bochumer Synagoge. Foto: © Ingo Otto
Strahlendes Sonnenlicht in der Bochumer Synagoge. Foto: © Ingo Otto © WAZ | WAZ
Außenansicht der neue Synagoge in Bochum. Foto: Horst Müller
Außenansicht der neue Synagoge in Bochum. Foto: Horst Müller © WAZ | WAZ
Diese Thorarollen liegen in der Synagoge in Gelsenkirchen. Foto: Martin Möller
Diese Thorarollen liegen in der Synagoge in Gelsenkirchen. Foto: Martin Möller © WAZ | WAZ
Historische Ansicht: Das Realgymnasium und die Synagoge in Witten. Repro: Walter Fischer
Historische Ansicht: Das Realgymnasium und die Synagoge in Witten. Repro: Walter Fischer © WAZ | WAZ
Der Abriss der Dortmunder Synagoge im Jahre 1938.
Der Abriss der Dortmunder Synagoge im Jahre 1938. © stadtarchiv dortmund | stadtarchiv dortmund
Innensicht der neuen Synagoge der Jüdischen Gemeinde in Dortmund. Foto: Helmuth Vossgraff
Innensicht der neuen Synagoge der Jüdischen Gemeinde in Dortmund. Foto: Helmuth Vossgraff © WAZ | WAZ
Oft erinnern nur Straßenschilder an ehemalige Synagogen. So wie hier in der Wittener Synagogenstraße, Ecke Breite Straße.
Oft erinnern nur Straßenschilder an ehemalige Synagogen. So wie hier in der Wittener Synagogenstraße, Ecke Breite Straße. © WAZ | WAZ
Am Mülheimer Viktoriaplatz erinnert eine Gedenkwand an die zerströrte Synagoge. Foto: Yannik Willing
Am Mülheimer Viktoriaplatz erinnert eine Gedenkwand an die zerströrte Synagoge. Foto: Yannik Willing © WAZ | WAZ
Ebenfalls am Viktoriaplatz: eine Gedenktafel. Foto: Yannik Willing
Ebenfalls am Viktoriaplatz: eine Gedenktafel. Foto: Yannik Willing © WAZ | WAZ
Die neue jüdische Synagoge in Gelsenkirchen. Die Skulptur
Die neue jüdische Synagoge in Gelsenkirchen. Die Skulptur "Fünf-Flügler" ist vor dem Eingang zu sehen. Foto: Martin Möller © WAZ | WAZ
Klare Linien bestimmen die Gelsenkirchener Synagoge. Foto: Martin Möller
Klare Linien bestimmen die Gelsenkirchener Synagoge. Foto: Martin Möller © WAZ | WAZ
Die Synagoge in Gelsenkirchen. Foto: M. Möller
Die Synagoge in Gelsenkirchen. Foto: M. Möller © WAZ | WAZ
Alles für die Sicherheit: Auch die Gelsenkirchener Synagoge wird videoüberwacht. Foto: Martin Möller
Alles für die Sicherheit: Auch die Gelsenkirchener Synagoge wird videoüberwacht. Foto: Martin Möller © WAZ | WAZ
Der Neubau der jüdischen Synagoge in Gelsenkirchen. Bild: Martin Möller
Der Neubau der jüdischen Synagoge in Gelsenkirchen. Bild: Martin Möller © WAZ | WAZ
Die Duisburger Synagoge und der Innenhafen. Foto. Hans Blossey
Die Duisburger Synagoge und der Innenhafen. Foto. Hans Blossey © Hans Blossey | Hans Blossey
Die Synagoge in Duisburg. Bild : Stephan Eickershoff
Die Synagoge in Duisburg. Bild : Stephan Eickershoff © WAZ | WAZ
Das jüdische Gemeindezentrum Springwall am Innenhafen Duisburg. Das Gemeindezentrum mit Synagoge gehört der jüdischen Gemeinde Mülheim-Duisburg-Oberhausen. Foto: Andreas Mangen
Das jüdische Gemeindezentrum Springwall am Innenhafen Duisburg. Das Gemeindezentrum mit Synagoge gehört der jüdischen Gemeinde Mülheim-Duisburg-Oberhausen. Foto: Andreas Mangen © WAZ | WAZ
Architekt des Baus war Zvi Hecker. Foto: Andreas Mangen
Architekt des Baus war Zvi Hecker. Foto: Andreas Mangen © WAZ | WAZ
Die frühere Synagoge in Mülheim. Repro: Ilja Höpping
Die frühere Synagoge in Mülheim. Repro: Ilja Höpping © WAZ | WAZ
Mahnende Gedenkveranstaltung an die Pogromnacht in Oberhausen. Die Teilnehmer trafen sich am Platz der ehemaligen Synagoge. Foto: Gerd Wallhorn
Mahnende Gedenkveranstaltung an die Pogromnacht in Oberhausen. Die Teilnehmer trafen sich am Platz der ehemaligen Synagoge. Foto: Gerd Wallhorn © WAZ | WAZ
Recklinghausen. Die alte Synagoge an der Limperstraße/Westerholter Weg. Das Foto entstand etwa im Dezember 1938 und zeigt den Zustand nach Brand vom 9. November 1938. Repro: Jürgen Hein
Recklinghausen. Die alte Synagoge an der Limperstraße/Westerholter Weg. Das Foto entstand etwa im Dezember 1938 und zeigt den Zustand nach Brand vom 9. November 1938. Repro: Jürgen Hein © WAZ | WAZ
Am Recklinghäuser Mahnmal am Herzogswall gedachten Verterter der Stadt und der Gemeinden den Opfern der Pogromnacht. Foto: Dirk Bauer
Am Recklinghäuser Mahnmal am Herzogswall gedachten Verterter der Stadt und der Gemeinden den Opfern der Pogromnacht. Foto: Dirk Bauer © WAZ | WAZ
1/44

Der Abriss der Bauruine begann im Januar 1939. Von dem „unansehnlichen Trümmerhaufen“ brachte die Nationalzeitung letzte Fotoaufnahmen und kündigte das vollständige Verschwinden der letzten Reste an.

"Juden in Mülheim an der Ruhr"

Das Protokoll zur Grundsteinlegung der Synagoge, das am 21. September 1905 zusammen mit einer Zeitung vom Tage in einem Glasbehälter in das Gebäude eingemauert wurde, hat den Brand und Abriss auf wundersame Weise überstanden. Es befindet sich heute im Stadtarchiv und kann dort von interessierten Besuchern bestaunt werden.

Nähere Informationen zu den jüdischen Opfern der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Mülheim an der Ruhr sind unter anderem in der Datenbank des Bundesarchivs recherchierbar und auf den Internetseiten des Mülheimer Projekts „Stolpersteine“. Die Geschichte der jüdischen Gemeinde Mülheims wird von der Historikerin Dr. Barbara Kaufhold in ihrem Buch „Juden in Mülheim an der Ruhr“ ausführlich beschrieben.

Ein Gastbeitrag von Stadtarchivar Jens Roepstorff

75. Jahrestag der Reichspogromnacht

Zum 75. Jahrestag der Wiederkehr des „Reichspogrom“ am 9. November gibt es drei Veranstaltungen. Eine Gedenkfeier mit Kranzniederlegung findet am morgigen Sonntag, 10. November, 10 Uhr, auf dem Synagogenplatz. Im Anschluss daran folgt um 11 Uhr im Haus der Stadtgeschichte an der Von-Graefe-Straße 37 eine Vortragsveranstaltung.

Im Rahmen der Lese-Reihe „Mülheimer Herbstblätter“ im Medienhaus wendet Autor Volker Weidermann am Montag, 11. November, 19.30 Uhr, seinen Blick zurück auf den Tag, an dem die Bücher brannten. Seine Mission: Diese Bücher und ihre Autoren dem Vergessen zu entreißen. Am 10. Mai 1933 brannten auf den von Nazis errichteten Scheiterhaufen die Bücher von 94 deutschsprachigen und 37 fremdsprachigen Autoren, darunter Klassiker wie Brecht, Kästner und Tucholsky, aber auch völlig Vergessene wie Rudolf Braune und ausländische Autoren wie Ernest Hemingway. Der Eintritt für die Kooperationsveranstaltung von Stadtarchiv und Bücherei ist frei.