Mülheim..
Behutsam fährt Dirk Jungbluth mit der Lackziehklinge über das Holz der Geige aus den 1940er Jahren. Ein Schmuckstück. Vorsichtig entfernt er mit der Klinge die alte Lackschicht. Der 50-Jährige arbeitet sie auf, weil seine Besitzerin, eine Lehrerin an der Musikschule, sie ihrer Enkelin schenken möchte. I
n Jungbluths Werkstatt riecht es nach Holz und ein bisschen nach Lack. Es ist ein wenig kühl, hier auf dem Speicher des Wohnhauses an der Goethestraße. Jungbluth ist Tischlermeister, arbeitet mit Jugendlichen in Düsseldorf. Nach Feierabend, in seiner Freizeit, baut und repariert er Zupfinstrumente – unterm Dach im Dichterviertel.
An der Wand stehen Gitarren. Große Skizzen sind an die Dachschräge gepinnt. Daneben hängt eine Mandoline von 1933. Der Besitzer, Mitglied des Oberhausener Mandolinen-Orchesters, hätte gerne die Risse geflickt. Auf Einsatz wartet über dem Arbeitstisch die Werkzeug-Armada. Auf der großen Werkbank in der Mitte des Raumes liegt eine Gitarre der Mülheimer Musikschule mit einem Riss in der Holzdecke – noch ein Reparaturfall. Daneben Holzstücken, Leisten und das Biegeeisen.
Jungbluth steht in seiner Werkstatt. Braune Latzhose, darunter ein Karo-Hemd, eine Tasse mit dampfendem Inhalt in der Hand. Tee. 36 Kräutersorten. Selbst gemacht. Von einer Freundin aus der Pfalz. Lecker. Jungbluth erzählt: „Beruf kommt von Berufung. Ich weiß, der Satz ist abgegriffen.“ Aber bei ihm stimmt er nun mal. Er liebt Holz, das merkt man ihm an, wenn er es biegt und darauf klopft, um zu erklären, wie das Holz den Ton beeinflusst.
Er schwärmt von dem wandlungsfähigen Material. Von der Alpenfichte etwa. „Die muss aber in 800 Meter Höhe über dem Meeresspiegel gewachsen sein, sonst hat sie zu große Jahresringabstände.“ Kleine Abstände bedeuten größere Belastbarkeit – und die braucht man bei einer Zugkraft der Saiten von bis zu 45 Kilogramm bei einer akustischen Gitarre. Mondholz wird es genannt, wenn es zwischen Oktober und Dezember zu Voll- oder Neumond geschlagen wird. Durch die Anziehung des Erdsatelliten wird Feuchtigkeit aus dem Holz gezogen. Zwei Alpenfichte-Stücke für die Decke einer Gitarre kosten 120 Euro.
Auf die Feuchtigkeit kommt es beim Instrumentenbau an. Holz ist nicht gleich Holz. Trocken muss es sein und dafür bis zu 15 Jahre eingelagert werden. Jungbluth erklärt: „In den Holzzellen ist Harz, der nach fünf bis sechs Jahren beginnt hart zu werden. Er kristallisiert. Und dieses harte Holz macht ihnen nachher den Ton.“ Zur Demonstration klopft er auf ein junges Stück Holz, dann auf ein altes. Letzteres klingt heller.
1988: Erste E-Gitarre
Seine erste E-Gitarre hat er 1988 gebaut, die erste akustische im letzten Sommer – obwohl er diese seit Jahren repariert. Dafür hat er sich Urlaub genommen, ist zu einem Gitarrenbauer nach Schornbach gefahren. Das lernt man nicht so einfach aus einem Buch. So was braucht Zeit.
In 104 Stunden baut Jungbluth eine Akustik-Gitarre, in 80 Stunden ihre elektronische Schwester. Viel Zeit und Geduld ist also beim Gitarrenbau gefragt. Die zugeschnittenen Stücke müssen exakt zusammengesetzt werden. Und dann muss das Holz im Inneren des Korpus’ der Akustik-Gitarre mit einem winzig kleinen Hobel bearbeitet, der Klangraum millimetergenau ausgearbeitet werden, bis der richtige Ton entsteht. Schließlich das Lackieren: 25 Prozent der Zeit verwendet Jungbluth auf die Oberfläche. Er behandelt das Holz etwa mit Schellack. Den asiatischen Schildlauskot, mariniert in 96-prozentigem Alkohol, muss er in 16 bis 17 Schichten auftragen. Das heißt, mit einem Stoffballen die Tinktur auf das Holz bringen, zwei Tage trocknen lassen, leicht anschleifen, wieder lackieren, trocken, schleifen... Kosten für eine Akustik- Gitarre: ab 2000 Euro. Für eine E-Gitarre: ab 1000 Euro.
Jungbluth wollte nach dem Abitur in Broich 1981 Zupfinstrumentebauer werden. Er fand keinen Ausbildungsplatz, wurde Tischler. Woher die Liebe zu den Instrumenten kommt? „Seit meinem sechsten Lebensjahr spiele ich Gitarre. Es war Entdeckergeist. Ich wollte wissen: Warum klingt das so?“, sagt Jungbluth und schmunzelt: „Außerdem mochte ich den Geruch von Metall nie. Für mich war Holz immer das Ein und Alles.“
Viele seiner Werkzeuge stammen von einem Violinenbauer, der sich mit 42 Jahren umbrachte, weil er an Parkinson erkrankt war. „Er hat nicht verkraftet, dass er kein Werkzeug mehr führen konnte. Als junger Mensch konnte ich das nicht verstehen, dass sich jemand deswegen umbringt. Heute kann ich das nachvollziehen“, sagt er.
Regelmäßig organisiert Dirk Jungbluth in seiner Werkstatt Kurse, in denen die Teilnehmer lernen, wie man ein Zupfinstrument herstellt. So soll es auch im Frühjahr einen Ukulelen-Baukurs geben. Außerdem erklärt Jungbluth Musikern in Seminaren alles rund um die Anatomie einer Gitarre. Weitere Informationen gibt es im Internet unter www.die-saite.de