Mülheim.. 363 Stellen sollen bei Siemens abgebaut werden. Zuvor schieben die Mitarbeiter Überstunden, um den Milliarden-Auftrag aus Ägypten abzuarbeiten.
Der milliardenschwere Rekordauftrag aus Ägypten gibt den Beschäftigten im Mülheimer Siemens-Werk erst einmal bis 2017 Ruhe: Dann aber wird der Abbau von 363 Stellen mit großer Wahrscheinlichkeit angegangen werden müssen.
Der Ägypten-Auftrag, für drei schlüsselfertige Gas- und Dampfkraftwerke sind in Mülheim zwölf Dampfturbinen und 20 Generatoren geordert, hat die Hallen an der Rheinstraße schon mit Material geflutet. „In den Werkhallen und in den Büros wird Überlast gefahren, in Teilbereichen muss auch zwischen Weihnachten und Neujahr gearbeitet werden“, sagt der Betriebsratsvorsitzende Pietro Bazzoli. Aus Duisburg, Essen, Görlitz und Erfurt sind Kollegen nach Mülheim gekommen, um bei der Auftragserledigung zu helfen. Einige Aufträge werden außer Haus vergeben, etwa mechanische Vorarbeiten am Material.
Vergleichbare Aufträge nicht in Sicht
Bis März 2017 werde es bei Überlast bleiben, so Bazzoli. „Das Thema Ägypten ist für uns eine hervorragende Sache. Wir können zeigen, was die Mitarbeiter hier am Standort leisten können.“ Kunden und Wettbewerber schauten genau hin, ob Siemens den Mammut-Auftrag (insgesamt 8 Milliarden Euro) im eng gesteckten Zeitrahmen abarbeiten könne.
Diese Herausforderung, so Bazzoli, sei auch bei den Mitarbeitern derzeit im Fokus. Der angedachte Stellenabbau am Standort, mit Standortverlagerungen und sozialverträglichem Aussscheiden von Mitarbeitern, sei derzeit nicht in den Köpfen der Beschäftigten. „Man glaubt gar nicht“, so der Betriebsrats-Chef, „wie leidensfähig und belastbar die Menschen sind.“ Die Sorge um den Arbeitsplatz trete in den Hintergrund, die Mitarbeiter täten alles für ein Erfolgserlebnis beim Ägypten-Auftrag, für Wertschätzung.
Aber die Zeit wird kommen, da ist er sich sicher, da wird es um den Abbau der zuletzt verhandelten 363 Jobs gehen. Etwas Vergleichbares wie der Ägypten-Auftrag sei längst nicht in Sicht, glaubt der Betriebsratsvorsitzende nicht an eine Kehrtwende. Gerade erst hat die Weltklimakonferenz mit ihrer Zielvereinbarung der konventionellen Energieerzeugung perspektivisch Grenzen aufgezeigt. Ein Thema, das es laut Bazzoli Anfang des Jahres dringend zu diskutieren gilt. Es müsse sicher eine Initiative geben für alternative Siemens-Produkte.
Ab Frühjahr 2017 wird der Stellenabbau konkret
Ab Frühjahr 2017 wird der Stellenabbau konkret, denn schon ein halbes Jahr später soll der Industrieturbinen-Service mit 350 Beschäftigten von der Econova-Allee in Essen nach Mülheim verlegt werden – aller Voraussicht nach zum Hafen. Ein Neubau für den Geschäftsbereich sei „nicht ausgeschlossen“, so Bazzoli. Verhandlungen zur Verlagerung laufen.
Der Standort Mülheim verliert derweil 55 Arbeitsplätze im Bereich der Niederdruck-Schaufel an Görlitz, mehr als 70 Stellen sollen in der Ventilfertigung wegfallen. Mit gut 200 Arbeitsplätzen auf der Streichliste trifft es den Mülheimer Generator-Bereich am stärksten. Hiesige Jobs werden nach Charlotte (USA) und Erfurt verlagert.
Klar ist mit dem im September ausgehandelten Interessenausgleich: Es wird keine betriebsbedingten Kündigungen geben. Dass betroffene Beschäftigte an den deutschen Standorten aufgenommen werden können, die Bereiche aus Mülheim übernehmen, sieht Bazzoli skeptisch. Auch jene Standorte sind vom Personalabbau erfasst. Vielleicht gebe es für einige Kollegen die Möglichkeit, im neuen Cuxhavener Siemens-Werk unterzukommen. Dort sollen für den Großkomponenten-Bau von Offshore-Windanlagen 1000 Arbeitsplätze entstehen.