Mülheim.. Svenja Serfort vom Deutschen Roten Kreuz ist die neue Leiterin des Saarner Flüchtlingsdorfes. In ihrem Alltag ist Improvisationskunst gefragt.
Zurzeit besteht Svenja Serforts Job noch größtenteils aus Improvisation. Langsam erst wachsen Strukturen, entwickelt sich eine gewisse Routine in der Flüchtlingsunterkunft auf dem Saarner Kirmesplatz. Die 35-Jährige leitet die Einrichtung seit Anfang des Jahres und ist zum Beispiel verantwortlich für den reibungslosen Ablauf der Essens- und Kleiderausgabe oder für die sinnvolle Freizeitgestaltung und gute Betreuung der Bewohner.
Den Menschen um sie herum gilt Serforts Hauptaugenmerk: Auf Englisch oder Französisch, per Dolmetscher oder einfach mit Händen und Füßen kommuniziert sie mit den 425 Männern, Frauen und Kindern aus zwölf Nationen, die aktuell in den Holzhäusern leben. Und natürlich mit ihren 35 Mitarbeitern, die wie sie zum Deutschen Roten Kreuz gehören.
Der Trubel reißt nicht ab
Der Trubel reißt nicht ab, „die Tür steht eigentlich nie still, irgendwer kommt immer rein und möchte irgendetwas“. Das quirlige Leben gefällt der Mülheimerin, „es ist spannend, all die Kulturen, Sprachen und Lebensweisen kennenzulernen“. Die Menschen kommen „mit allen möglichen Sorgen und Nöten“ zu ihr und dem Team. Mit Kleinigkeiten wie der Bitte um Waschmaschinen-Tabs, aber auch mit bedrückenden Geschichten wie dieser: „Kurz vor Weihnachten hat ein Mann einen Anruf von seinem elfjährigen Sohn bekommen, der noch in Syrien ist. Eine Bombe hat das Haus der Familie zerstört, die Eltern unseres Bewohners, ein Bruder und ein Cousin sind ums Leben gekommen. Seine Frau musste ins Krankenhaus und seine kleinen Kinder sind jetzt ohne jede Betreuung.“
Serfort stand dem unglücklichen Mann zur Seite, hörte zu. Dass er sich ihr, einer Frau, gegenüber öffnete, war alles andere als selbstverständlich. „Manche gehen einfach an mir vorbei und sprechen nur mit Männern.“ Das Verhalten wurme sie manchmal, sagt Serfort, aber sie lasse sich nicht unterkriegen. „Irgendwann reden sie schon mit mir.“ Und drücken dann auch Dankbarkeit aus: Der Syrer etwa, der zuvor selbst sehr zurückhaltend gewesen sei, habe ihr hinterher „auf den Kopf geküsst, weil ich für ihn da war“.
„Man kann hier noch vieles bewegen"
Bis auf 600 Menschen wird die Unterkunft noch anwachsen, sobald die letzten zwei Häuser stehen. Damit aus dem Improvisieren, aus dem „von Tag zu Tag Gucken, wie wir es hinbekommen“, langfristig ein tragfähiges Konzept wird, packt Svenja Serfort nach wie vor gern selbst mit an, gibt etwa Essen aus. Nur vom Schreibtisch aus könne sie die Probleme nicht erkennen: „Ich muss erleben, wovon die Mitarbeiter sprechen, um sie zu verstehen.“ Die neue Aufgabe sei eine Herausforderung, aber eine schöne: „Man kann hier noch vieles bewegen.“
Helfen war schon immer das Ding von Svenja Serfort. Die 35-Jährige, die seit ihrer Geburt am Uhlenhorst wohnt und Broicherin durch und durch ist, hat sich Schritt für Schritt hochgearbeitet: bis zur Fachkrankenschwester für Anästhesie und Intensivpflege im Krankenhaus einerseits und bis zur Rettungsassistentin beim Deutschen Roten Kreuz andererseits.
DRK wie eine Familie
Immer lief irgendwie alles parallel, erzählt die 35-Jährige, die sich „ehrgeizig und wissbegierig“ nennt. Die berufliche Laufbahn führte sie u.a. für zehn Jahre auf die Intensivstation im Evangelischen Krankenhaus an der Wertgasse, und später – bis zur allerletzten Nachtschicht am 29. Dezember – auf die Kinderintensivstation der Uniklinik Düsseldorf, die sie stellvertretend leitete. Auch dort erlebte Serfort Erschütterndes: „Noch an Weihnachten haben wir ein Kind verloren.“ Bei der Bewältigung solcher Momente helfe ihr, „dass ich gut abschalten und schlimme Bilder hinter mir lassen kann“.
Berufsbegleitend studiert die 35-Jährige seit zwei Jahren BWL an der Steinbeis-Hochschule in Essen; und auch beim DRK kletterte sie die Karriereleiter beständig höher. Die Gemeinschaft dort gefalle ihr, „das ist wie in einer Familie“. Da passt es auch, dass Serforts Lebensgefährte ebenfalls überzeugter DRKler ist. Martin Meier, ehrenamtlicher Kreisbereitschaftsleiter, war übrigens selbst von Beginn an intensiv in die Flüchtlingshilfe eingebunden und konzipierte etwa – gemeinsam mit Vize-Landesbereitschaftsleiter Frank Langer – die Unterkunft in Saarn. Das Thema Flüchtlinge, sagt Serfort, sei somit auch zu Hause immer präsent: „Wir diskutieren viel und sammeln Ideen.“