Mülheim. Die Zahl der angehenden Pflegekräfte hat sich in Mülheim stark erhöht. Viele Jugendliche finden den Beruf aber auch abschreckend.

In der Altenpflege wird wieder verstärkt ausgebildet – es tut Not, weil der Fachkräftemangel schon jetzt allerorten drückt. Stationäre Einrichtungen und ambulante Pflegefirmen in Mülheim stellen deutlich mehr Nachwuchsleute ein. In den Heimen oder im mobilen Einsatz werden sie praktisch ausgebildet, an Fachschulen lernen sie die Theorie. Prüfungsinstanz nach drei Jahren ist die Bezirksregierung.

Bei den Mülheimer Seniorendiensten etwa, die drei Häuser betreiben, haben zum 1. Oktober zehn Frauen und zwei Männer begonnen, die staatlich examinierte Altenpfleger/in werden möchten. „Wir hätten noch mehr Plätze besetzen können“, sagt Marcel Walter, Teamleiter Personal. Deutlich über 40 Bewerbungen seien eingegangen, darunter „genügend qualifizierte“.

Zu den Neueinsteigerinnen gehören Michelle Petermeyer (16) und Melanie Fenners (31), bei denen bereits das Lebensalter verrät, dass der Weg in die Altenpflege nicht immer direkt nach der Schule beginnt. Bei Michelle war es zwar so: Sie entdeckte beim Praktikum in einem Mülheimer Seniorenstift, „dass es Freude macht, wenn man älteren Menschen helfen kann“, und stieg direkt in die Ausbildung ein.

Bei Melanie Fenner dagegen lösten berufliche wie private Entwicklungen einen Richtungswechsel aus: Früher war die gelernte Bürokauffrau in der Verwaltung von Tengelmann beschäftigt, wollte dem absehbaren Verlust ihres Arbeitsplatzes zuvorkommen „und andere Bereiche kennenlernen – wenn nicht jetzt, wann dann?“ Hinzu kam, dass ihre Großmutter, demenzkrank seit fünf Jahren, mittlerweile im Haus Gracht gepflegt wird. „Es macht mir Spaß, mich um sie zu kümmern.“ In der Pflege sieht Melanie Fenner nun auch ihre berufliche Zukunft.

Aber bevor sie auf der Station mit anfassen dürfen, werden die beiden jungen Frauen theoretisch unterrichtet. Den ersten zehnwöchigen Theorieblock absolvieren sie gerade im Awo-Fachseminar für Altenpflege in Oberhausen, das mit elf Heimen und sieben ambulanten Diensten in Mülheim zusammenarbeitet.

Hier pauken die Nachwuchskräfte nicht nur Sozialkunde, Deutsch (z.B. um Pflegeprotokolle ordentlich zu führen) oder Mathematik (für die Abrechnungen), sondern üben auch an lebensgroßen Pflegepuppen, wie man bettlägerige Menschen fachgerecht wäscht, Stützstrümpfe anzieht, Wunden versorgt.

Was den Azubis zunächst erspart bleibt, sind Schattenseiten ihres Berufes, wie Schicht- und Feiertagsdienst. „Wir sagen den jungen Leuten schon im Vorstellungsgespräch ganz klar: ,Es kann sein, dass deine Freunde samstags feiern gehen, du aber sonntags um 6 Uhr arbeiten musst“, erklärt Sven Fromen, Projektmitarbeiter bei den Mülheimer Seniorendiensten. Dafür seien die Übernahme-Chancen bestens, sobald sie ihr Altenpflege-Examen bestanden haben.

Azubi-Vergütung wird aus einem landesweiten Fonds bezahlt

Um dem Fachkräftemangel in der Altenpflege entgegen zu wirken, wurden seit 2010 im Rahmen eines landesweiten Aktionsplans u.a. zusätzliche Ausbildungsstellen und Umschulungen gefördert. Als effektiv erweist sich vor allem das Ausgleichsverfahren in der Altenpflegeausbildung, das Mitte 2012 eingeführt wurde.

Seitdem müssen alle stationären Einrichtungen und ambulanten Dienste in einen Fonds einzahlen – gleich, ob sie selber ausbilden oder nicht. Die Beitragshöhe richtet sich nach der Größe der Einrichtung: nach den durchschnittlich belegten Pflegeplätzen oder den mit den Kassen abgerechneten Punkten. Wer ausbildet, bekommt die Vergütung für seine Azubis vollständig aus dem Fonds ersetzt; sie beträgt laut Tarif im ersten Jahr 976 Euro und steigert sich später zum Ende der Ausbildung auf 1138 Euro.

Auch für viele Mülheimer Betriebe war das Ausgleichsverfahren ein Anreiz, die Zahl der Plätze zu erhöhen. So berichtet Stefan Thum, Leiter der Senioren-Residenz Wohnpark Dimbeck: „Früher haben wir zwei Azubis pro Jahr eingestellt, jetzt, da es refinanziert wird, sind es mindestens drei.“

Doch nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen würde das Haus verstärkt ausbilden: „Wir haben auch einen Auftrag und würden noch den einen oder anderen mehr einstellen, wenn es entsprechende Plätze in den Seminaren gäbe.“

In diesem Jahr begannen vier angehende Pflegefachkräfte ihre Ausbildung an der Dimbeck – ausnahmslos Männer. Der Jüngste ist 22, der Älteste 49 Jahre alt.

Ausbildungsplus bei ambulanten Diensten

Die Einführung des Ausgleichsverfahrens vor drei Jahren zeigt Wirkung. „Seitdem gibt es vor allem im ambulanten Bereich sehr viel mehr Ausbildungsbetriebe“, beobachtet Gabriele Tenbrink, Leiterin des Awo-Fachseminars für Altenpflege, „auch kleinere Firmen beteiligen sich.“

Die Arbeitsgemeinschaft der ambulanten Pflegedienste in Mülheim hat im März 2015 eigene Leitlinien zur Ausbildung erstellt, um der „besonderen Versorgungssituation“ hier in der Stadt Rechnung zu tragen.

Beruf gilt als krisensicher, aber belastend

Die Tendenz ist klar steigend, was Ausbildung in Senioreneinrichtungen und bei Pflegediensten betrifft, das belegen auch aktuelle Zahlen der örtlichen Arbeitsagentur: Wie diese auf Anfrage mitteilte, gab es zum Jahresende 2014 insgesamt 158 Azubis in der Altenpflege in Mülheim, während es Ende 2012 lediglich 88 waren.

Die Gesamtzahl der Beschäftigten in der Altenpflege beträgt derzeit 939 Personen, darunter 614 examinierte Fachkräfte sowie 315 Mitarbeiter(innen) auf Helferniveau. Die Arbeitslosigkeit ist in diesem Bereich relativ gering: Momentan sind in Mülheim 17 Altenpfleger(innen) ohne Anstellung bei der Arbeitsagentur gemeldet, darunter nur fünf examinierte Fachkräfte.

Nach Erfahrungen von Berufsberatern sei die Altenpflege in den letzten Jahren in den Fokus gerückt, berichtete eine Sprecherin der Arbeitsagentur, und werde Jugendlichen oft als „krisensicher“ ans Herz gelegt.

Doch vielfach hätten junge Leute Bedenken, da Pflegeberufe nicht das beste Image haben, aufgrund der Bezahlung, Arbeitszeiten, körperlichen und psychischen Belastungen. Schulabgänger fühlen sich nach einem Praktikum nicht selten überfordert. Geringer sei die Hemmschwelle, wenn es in der Familie schon Pflegefälle gibt oder die Eltern in entsprechenden Berufen arbeiten.

Es seien zwar immer noch mehr Frauen, die sich für den Beruf interessieren, aber auch junge Männer fragen häufiger nach.