Mülheim.. NRW will die Landesbauordnung an die Anforderungen der Barrierefreiheit anpassen. Die zwei größten Mülheimer Wohnungsunternehmen sehen für sich allerdings keinen großen Handlungsdruck.
Mit seiner Forderung, in Nordrhein-Westfalen seien mindestens 300.000 Wohnungen barrierefrei umzubauen, hat der Behinderten-Beauftragte der Landesregierung, Norbert Killewald, kürzlich Schlagzeilen gemacht. Bei den zwei größten Mülheimer Wohnungsunternehmen, der Service- Wohnungsvermietungs- und -baugesellschaft (SWB) und dem Mülheimer Wohnungsbau (MWB), sehen Verantwortliche allerdings keinen so großen Handlungsdruck. Man sieht sich auf einem guten Weg, dem Wunsch vieler, möglichst lange in den eigenen vier Wänden wohnen bleiben zu können, mit einem passenden Angebot entsprechen zu können.
Die Landesregierung will in diesem Jahr die Landesbauordnung an die Anforderungen der Barrierefreiheit anpassen. Breitere Bäder, neue Standards für Küchen, Flure und Wege in die Wohnung fordert der Landesbehindertenbeauftragte. Insgesamt sollten Wohnungen geräumiger werden, um etwa Rollstuhlfahrern mehr Bewegungsfreiheiten zuzusichern.
Wohnungen haben Bestandsschutz
Die Landesbauordnung wird nur bei Neubauvorhaben greifen. Vorhandene Wohnungen haben Bestandsschutz. Die SWB hat aktuell 8570 Wohnungen am Mülheimer Markt. Laut Unternehmenssprecherin Christina Heine sind davon 1056 senioren- und 32 behindertengerecht (nach DIN-Norm) ausgestattet. Am Bottenbruch in Dümpten etwa habe man zuletzt 48 Wohnungen ohne Barrieren geschaffen, für 2015 seien ähnliche Projekte in Planung. Das Unternehmen habe aktuell keinen Angebotsmangel an barrierefreien und -armen Wohnungen. Es stünden gar einige leer.
Für die Modernisierung eigener Wohnungen hat die SWB einen eigenen Standard gesetzt. Mindestens die Erdgeschosswohnungen sollen im Anschluss barrierefrei, mindestens aber barrierearm sein, in Mehrfamilienhäusern auch die oberen Etagen, wenn es Aufzüge gibt. Das heißt: breitere Türen, nach außen öffnende und von außen zu entriegelnde Badezimmertüren, rutschfeste Fliesen, aus Sitzhöhe erreichbare Fenstergriffe, ohne Barriere zugängliche Duschen, unterfahrbare Waschbecken, auf Antrag Rollatorenboxen vor dem Hauseingang . . . „Nicht immer ist es möglich, im Bestand Barrierefreiheit herzustellen“, sagt SWB-Sprecherin Heine, man berate Mieter aber auch zu Zuschüssen der Pflegekassen, selbst gewährt die SWB je nach Mietdauer Zuschüsse.
Die aktuelle, vom Landesbehindertenbeauftragten initiierte Debatte sei „sehr politisch“, beurteilt MWB-Geschäftsführer Frank Esser. Auch er sieht sein Unternehmen in Sachen Barrierefreiheit gut aufgestellt, aktuell werden mit den Gartenhöfen Saarn, aber auch mit dem Ruhrbania-Bau neue Angebote geschaffen, an der Lerchenstraße in Winkhausen prüft der MWB den Umbau der Aufzüge, die bislang nur auf den Halbetagen halten. Circa 600 von aktuell 4800 MWB-Wohnungen seien arm an Barrieren.
Handlungsbedarf im privaten Bereich
In Mülheim sehen die zwei größten Wohnungsunternehmen für die Zukunft weiteren Bedarf für barrierefreies Wohnen, auch wenn der MWB-Geschäftsführer Frank Esser dem Ruhrgebiet aufgrund des „relativ großen Wohnungsüberhangs“ einen entspannten Wohnungsmarkt bescheinigt. Gleichwohl bremst Esser auch die Hoffnungen auf einen umfassenden Schwenk hin zu mehr Barrierefreiheit.
Alter Baubestand aus den 50er-, 60er- und 70er-Jahren sei kaum auf moderne Standards zu bringen. Abriss könne aber auch kein Thema sein, so lange jene Wohnungen nachgefragt seien. Im wissenschaftlich hergeleiteten Handlungskonzept Wohnen, das die Stadt 2012 gemeinsam mit den drei Wohnungsunternehmen SWB, MWB und Immeo, mit der Sparkasse-Immobilientochter FDL und „Haus & Grund“ vorgelegt hat, ist die Rede davon, dass bis zum Jahr 2025 mindestens 500 altersgerechte Wohnungen zusätzlich am Markt vorzuhalten sind. Zwei Drittel des Bedarfs seien durch Umbau und Anpassungen im Bestand zu decken, rund 200 barrierefreie/-arme Wohnungen als Neubau zu realisieren.
Mix des generationenübergreifenden Zusammenlebens
Ein Angebot sei insbesondere zu schaffen im kostengünstigen und mittelpreisigen Segment. Befördert werden soll ein quartiersbezogener Mix des generationenübergreifenden Zusammenlebens, auch mit Hilfe der Stadtteil-Netzwerke. Den größten Handlungsbedarf sieht das Konzept im privaten Raum der Selbstnutzer und Kleineigentümer. Hier sei noch einiges zu tun, um den Wohnungsbestand den Marktbedürfnissen anzupassen. Es werde „nur sehr verhalten“ in die Bestandsmodernisierung investiert, hieß es. Hier sei die Stadt gefordert, Anreize zu setzen, im Rahmen ihrer Möglichkeiten die Entwicklung bei den Privaten zu fördern oder etwa zu externen Fördermöglichkeiten zu beraten (zinsvergünstigte KfW-Kredite, Förderprogramme, Kassenzuschüsse ). Wichtig sei es, „diese Zielgruppe zu sensibilisieren, zu informieren und Anreize zu schaffen“.