Kontakt: Interessierte, die an der Zeitzeugenbörse mitwirken wollen, können sich an den Verein PARlakitv wenden: Telefon 306815 oder per Mail an: zeitzeugenboerse@gmx.de. Die Zeitzeugenbörse sammelt Lebensgeschichten und sucht Interessierte für den Kontakt mit Schulen
Zeitzeugenprojekte gab es in der Stadt schon viele. Man denke nur an die Bücher von Barbara Kaufhold rund um Judentum, Widerstand und Verfolgung im Nationalsozialismus, die städtische Veranstaltung im vergangenen Jahr zum 70. Jahrestag der Bombennacht, in der weite Teile der Stadt zerstört wurden, die Begegnung zwischen Jugendlichen und Eva Pankok und anderem im Begleitprogramm einer Kunstausstellung. Zuletzt erinnerte das Projekt von Heiner Schmitz an die Gastarbeitern, die in den 50er und 60er Jahren kamen und hier heimisch wurden. Wissen und Erfahrungen an die nachfolgenden Generationen weiterzugeben, ist immer wieder ein wesentliches Motiv. Im Vergleich zu Darstellungen in Büchern und im Film wird Geschichte plötzlich lebendig, wenn da ein Mensch sitzt und aus seinem eigenen Leben erzählt. Es wirkt authentisch. Es ist gegenüber der klassischen Geschichtsschreibung auch eine Akzentverschiebung. Nicht die große Politik steht im Fokus, sondern die kleinen Dinge, der Alltag, die erst das Große verständlich und begreifbar machen. Allerdings ist dabei auch Vorsicht geboten, denn die Geschichten sind stets höchst subjektiv.
Geschichten gehen verloren, wenn sie niemand weitererzählt. Erinnerungen festzuhalten und der nächsten Generation mit auf ihren Weg zu geben, das hat sich vor zwei Jahren auch die Zeitzeugenbörse Mülheim zur Aufgabe gemacht. Nun sucht das ehrenamtliche Projekt neue Mitstreiter. Mülheimer, die ihre Lebensgeschichte erzählen mögen, auch und gerade vor Schülern.
„Jede Generation baut die Straßen, auf denen die nächste fährt“ – dieses japanische Sprichwort steht Pate für die Mülheimer Zeitzeugenbörse, die Elke Kurschat und Brigitte Reuß 2011 aus der Taufe gehoben haben. Inzwischen sind sie zu acht und treffen sich einmal monatlich im Sommerhof. Unterstützt werden sie von vier ehrenamtlichen Moderatorinnen – neben Kurschat und Reuß sind dies Renate Beckmann und Eva Rytz. Denn Strukturiertes und fesselndes Erzählen ist gar nicht so einfach. Die Moderatorinnen sind auch Ansprechpartner für die Schulen.
Erst haben die Zeitzeugen ihre Lebensgeschichte bei regelmäßigen Treffen der Gruppe erzählt, haben sie sortiert, Schwerpunkte gesetzt, ihre Geschichte durch Nachfragen der Gruppe verdichtet. Erinnerungen werden verschriftlicht. „Zeitzeuge ist man aber erst dann“, erklärt Brigitte Reuß das Prinzip der Börse, „wenn man die Geschichte, die man zu erzählen hat, öffentlich präsentiert hat.“
So bieten sich die Teilnehmer für Zeitzeugenberichte in Schulen an, kostenlos. Nicht nur in Mülheim sind so Kontakte entstanden, auch Schulen anderer Ruhrgebietsstädte greifen gerne auf die Mülheimer Zeitzeugen zurück, weil eine Unterrichtsstunde mit ihnen Historisches hautnah erleben lässt. Etwa die Kindheit und Jugendzeit während des Nationalsozialismus mit Bombenkrieg und Kinderlandverschickung. Oder auch die Nachkriegsjahre mit Währungsreform und Wiederaufbau. Die älteste aktive Zeitzeugin der Gruppe, Brigitte Block, ist Jahrgang 1926, sie kann auf 87 Jahre zurückblicken.
Fast alle der Zeitzeugen haben schon Schuleinsätze hinter sich. „Es ist interessant, wie sie ihre eigene Schulzeit erlebt haben“, berichtet Moderatorin Renate Beckmann vom großen Interesse heutiger Schüler, etwas über Schule anno dazumal zu erfahren. „Das wird oft in Schulen erzählt“, sagt Beckmann. Seit einem Jahr ist die Zeitzeugenbörse im Internet zu finden. Schulen im Ruhrgebiet, die Zeitzeugen einbinden wollen in ihren Unterricht, werden auf die Mülheimer Gruppe stoßen. Denn Zeitzeugenbörsen gibt es nicht viele.
Die vier Moderatorinnen wünschen sich, neben der bestehenden eine weitere Gruppe mit neuen Zeitzeugen bilden zu können. Vielleicht haben die ganz andere Geschichten zu erzählen. . .