Die Stadt gibt Impulse für neue Wohnformen. Workshops dazu beginnen im September in der VHS. Das Interesse ist groß, sagt Baudezernent Peter Vermeulen.
Geträumt haben davon schon viele: in der anonymisierten Welt der Großstadt, in der sich die Familie aufgelöst hat, dörfliche Strukturen nachzubilden, die ein verlässliches und sich gegenseitig unterstützendes Miteinander ermöglichen. Wo man mit dem Nachbarn nach Feierabend gemütlich feiert, der aber auch einspringt, wenn man es etwa nicht rechtzeitig schafft, die Kleine vom Kindergarten abzuholen oder der Senior um die Ecke Unterstützung braucht. Eine Nachbarschaft ohne Querulanten, in der einem die soziale Kontrolle nicht zur Qual wird, weil es eine gewählte Nachbarschaft ist. Und außerdem könnte diese Nachbarschaft über Gemeinschaftsräume wie Gästezimmer oder Räume zum Feiern verfügen. Und die Gebäude könnten sich durch ihre Energieeffizienz, ihre Gestaltung, Barrierefreiheit und ihre bauliche Qualität vom Durchschnitt abheben.
So etwas wie eine Wohngemeinschaft im größeren, aber auch solideren Maßstab, wobei die Bewohner es immer selbst sind, die das Verhältnis von Gemeinschaft und Individualität austarieren müssen. Baugruppen lautet der Fachbegriff für eine Form, die in Mülheim nicht neu ist. Der Mülheimer Wohnungsbau arbeitet gemeinsam mit dem Verein Lina in Saarn daran und auf dem Gelände der ehemaligen Kaserne wurde ähnliches schon vor Jahren realisiert. Diese Beispiele zeigen schon, dass die Palette der Möglichkeiten breit ist.
Positive Ausstrahlung ins Quartier
Um dem gesellschaftlichen Wandel zu begegnen, propagiert das Land diese Bauform – an der auch die Architektenkammer ein vitales Interesse hat – schon seit Jahren und hat für die Kommunen einen umfangreichen Leitfaden herausgegeben. „In jüngster Zeit sind so eine ganze Reihe anspruchsvoller Wohnprojekte realisiert worden, die nicht nur eine hohe Wohnqualität bieten, sondern auch einen wichtigen Beitrag zur städtischen Baukultur und zu einer qualitätvollen Stadtentwicklung leisten.“, heißt es dort. Auch die Gutachter des Handlungskonzeptes Wohnen empfahlen der Stadt solche Konzepte, die andernorts sehr erfolgreich funktionieren. Sie hielten in der Stadt ein Potenzial von einem Prozent für möglich. Das wären 800 Haushalte. Ministerium und Gutachter raten dazu, einen Koordinator zu engagieren, der den Prozess beschleunigt und steuert.
Diese neuen Formen seien auch für schwierigere Standorte gut geeignet, weil sie in das Quartier hineinstrahlen und dort den Anstoß für positive Entwicklungen geben.
Birgit Pohlmann, Projektentwicklerin aus Dortmund, auf die die Wahl fiel, hat schon über 30 Projekte zum Ziel geführt. In der letzten Sitzung des Planungsausschusses hat sie gemeinsam mit Thorsten Kamp vom Planungsamt das Konzept vorgestellt, was bei allen Fraktionen auf Zustimmung gestoßen ist. Drei städtische Grundstücke wurden von der Verwaltung vorgeschlagen: Mit 12000 Quadratmetern Grundfläche ist die Fläche am Klöttschen, für die schon seit Jahren eine Lösung gesucht wird, die größte. Die zweite befindet sich in Speldorf an der Friedhofstraße neben der Wohnanlage Hornhof des MWB und ist 3300 Quadratmeter groß. Das dritte ist das Areal rund um die Grundschule Fünter Weg (6800 Quadratmeter). Das Schulgebäude von 1907 ist zwar stadtbildprägend, steht aber nicht unter Denkmalschutz. „Wenn eine Nutzung wirtschaftlich nicht darstellbar ist, kann es abgerissen werden“, sagt Baudezernent Peter Vermeulen. Pohlmann würde das bedauern. Sie kann sich sogar vorstellen, dass das alte Klohäuschen in ein Gesamtkonzept integriert werden könnte. Nach der ersten Berichterstattung über das Projekt habe es bei der Verwaltung schon Anfragen geben, erzählt Vermeulen.
Was Baugruppen für die Bauherren so interessant macht, ist die Ersparnis. Das Eigenheim wird gegenüber einer Bauträgerlösung um rund 20 Prozent günstiger. „Das kann in ein Plus investiert werden, das man woanders nicht bekommt“, sagt Kamp. Etwa in Umwelttechnologie, um die Nebenkosten dauerhaft zu senken. Und individuelle Lösungen sind allemal attraktiver als solche von der Stange. Wichtig ist, dass sich am Anfang ein harter Kern bildet, der eine Idee entwickelt. Bis zum Einzug kann das im Idealfall drei Jahre dauern. Aber es ein dynamischer Prozess. „Die Menschen kommen immer mit Bildern im Kopf. Unsere Aufgabe ist es, diese Bilder zu sammeln und die Menschen bei der Umsetzung zu unterstützen“, sagt Pohlmann. Auch sie hat Bilder und Ideen, die sie in den Prozess einspeisen kann. Ob allerdings ein generationsübergreifendes und sozial gemischtes Projekt entsteht, wird die Zukunft zeigen. Aufgestülpt wird nichts.
Bei einer Auftaktveranstaltung am 11. September in der VHS werden das Verfahren sowie bestehende Projekte vorgestellt. Bei weiteren Treffen werden auch Exkursionen zu solchen Häusern unternommen. Schon oft hat Pohlmann gehört, dass Interessierte etwas für später suchen. „Eingezogen sind sie dann doch direkt.“