Kamp-Lintfort. Die Hochschule Rhein-Waal hatte in Kamp-Lintfort zur Diskussion geladen. Experten klagen über zu wenig Pflegepersonal und hohe Investitionskosten.

Wie soll es angesichts sinkender Geburten und immer mehr Pflegebedürftigen mit der Pflege in Kliniken, ambulanten Diensten und Altenheimen sowie im privaten Umfeld weitergehen? Und ist die Künstliche Intelligenz eine Lösung für bestimmte Probleme? Verschiedene Experten trugen im Hörsaal der Hochschule Rhein-Waal (HSRW) ihr Wissen und ihre Erfahrungen zusammen. Mit der Auftaktveranstaltung zum Thema Pflegekrise wolle man das Thema im Rahmen des Studiums Generale verstärkt in die Öffentlichkeit tragen, erklärte Prof. Dr. Christian Ressel.

Wenngleich der kleine weiße Roboter-Mann, den Prof. Dr. Kai Essig von der Hochschule vorstellte, Fragen beantwortete und sogar tanzen konnte, so holten die Fakten der Podiums-Experten die Zuhörer schnell wieder auf den Boden der Realität. Es wurde klar: Viele solche technischen Helfer könnten für Personal, Senioren oder Behinderte nützlich sein. Sie werden aber oft noch nicht in Serie gebaut. Und kosten auch sehr viel Geld, das viele Träger nicht haben. Viele von ihnen stünden vor der Insolvenz, berichtet Dr. Bernd Riekemann vom Vorstand der Awo im Kreis Wesel.

Heimplatz kostet heute rund 3.400 Euro Eigenanteil

Außerdem: „40 Prozent der Heime haben kein W-Lan.“ Dies koste „mal eben“ für ein Haus mit 80 Betten an die 150.000 Euro. Trotzdem hoffen Kliniken und Altenheime auf die Künstliche Intelligenz, beispielsweise Matratzen, die „melden“, wenn ein Kranker umgelagert werden muss. Technik könne zudem Raum für mehr Menschlichkeit schaffen, ergänzte Prof. Dr. Nele Wild-Wall als Psychologin. Sie wusste: Etwa 50 Prozent der Pflege finde zuhause statt. Riekemann: Heute koste der Heimplatz den Bewohner etwa 3400 Euro Eigenanteil, dies bei einer durchschnittlichen Rente von 1550 Euro.

Prof. Dr. Christian Ressel.
Prof. Dr. Christian Ressel. © FUNKE Foto Services | Kai Kitschenberg

Noch immer habe die Gesellschaft die Dringlichkeit des Themas nicht begriffen, meinte Ressel, der sich an der Hochschule mit dem Thema Ambient Intelligent Systems (Intelligente Systeme in der Lebensumgebung im Alltag) befasst. Es gebe viele Prototypen zur Unterstützung alter und behinderter Menschen. „Wir beschäftigen uns hier damit.“

Ressel zu den Zahlen: Der Anteil der Menschen über 65 betrage heute 22 Prozent, in 2030 seien es schon 30 Prozent. Entsprechend steige auch der Anteil der über Achtzigjährigen – ein Alter, in dem die Menschen pflegebedürftig würden. Auf dem Land sei die Lage noch dramatischer; die Jugend wandere dort ab.

„Heute werden schon Geldprämien von 10.000 Euro gezahlt. Oder man spendiert E-Bikes und ähnliches.“

Bernd Riekemann
Vorstand Awo Kreis Wesel

Prof. Essig berichtete beispielhaft auch von einer „intelligenten“ Brille, die Menschen bei der Küchenarbeit und anderem behilflich sein könne und von Senioren im Test als sehr gut bewertet  worden sei. Solche Systeme könnten auch helfen, Schlüssel zu finden, Verwandte zu erkennen und vieles andere. Einig waren sich alle in der Runde, dass solche Technik in Zukunft angesichts des Personalmangels willkommener Helfer im Alltag sein könne. Prof. Dr. Ressel: Es liege am Einzelnen, wieviel Daten und welchen Raum man ihr einräumen wolle.

Kamp-Lintfort: St. Bernhard steht gut da dank eigener Pflege-Ausbildung

Riekemann von der Awo sprach von den Problemen, Kräfte für die ambulante und die stationäre Pflege zu bekommen: „Heute werden schon Geldprämien von 10.000 Euro gezahlt. Oder man spendiert E-Bikes und ähnliches.“ Das sei früher undenkbar gewesen. Doch weil viele Träger so vorgingen, müssen man da mitziehen, um Leute zu bekommen.

Das Krankenhaus St. Bernhard stehe gottlob noch ganz gut da, wie Pflegedirektor Clemens Roeling berichtete. Ein Kernpunkt dabei sei die Pflege-Ausbildung, die das Haus betreibe. Auch seien ein gutes Arbeitsklima und eine positive Unternehmenskultur wichtig, um Mitarbeiter zu halten. Allerdings arbeitete die Hälfte der Beschäftigten aus privaten Gründen in Teilzeit.

In der Fragerunde verdeutlichte ein Krankenpfleger unter den Zuhörern, wie die Menschen heute schon mit der Technik lebten: „Auf der Intensivstation ist die größte Sorge des Patienten, wo das Ladekabel fürs Handy ist.“ Video-Calls mit der Familie; die Enkelin, die ein Lied singt... da werde Technik emotional. „Das müssen wir zulassen“, mahnte der Pfleger.