Herne. Eine der schlimmsten Katastrophen der Herner Stadtgeschichte jährt sich zum 100. Mal. Aber warum erinnert sich kaum jemand daran?

Eines der schlimmsten Unglücke in der Herner Stadtgeschichte ist fast in Vergessenheit geraten. Der 100. Jahrestag eines verheerenden Zugunfalls im Bahnhof Herne jährte sich am 13. Januar 2025 zum 100. Mal. Ein aus Berlin kommender D-Zug war am 13. Januar 1925 im Herner Bahnhof auf dem Weg nach Köln auf einen Regionalzug zwischen Dortmund und Wanne-Eickel geprallt. Es gab nach damaligen Angaben 24 Tote und 91 Verletzte. Die Ursache für das Unglück blieb vage, irgendwo zwischen menschlichem Versagen, Schicksal oder Schlamperei.

Zugunglück im Bahnhof Herne vom 13. Januar 1925
Gruppenbild der Retter und Ermittler nach dem Zugunglück im Bahnhof Herne vom 13. Januar 1925. © Bildarchiv/Stadtarchiv Herne | Unbekannt

Die letzten vier Wagen des Personenzuges „wie schwaches Holz“ zerquetscht

Die wenigen verbliebenden Bilder von damals zeigen fürchterliche Szenen. Die letzten vier Wagen des Personenzuges seien „wie schwaches Holz“ zusammengedrückt worden, hielt das Rote Kreuz in einem Einsatzbericht fest. „Die Reisenden in diesen Abteilen wurden zermalmt, zerquetscht und erlitten, soweit sie nicht sofort vom Tode ereilt wurden, schwere Verletzungen.“

Das Rote Kreuz spricht von einem „ungeheuren Trümmerhaufen“. Die Verletzten seien in den Wartesaal der ersten und zweiten Klasse gebracht worden. Die Toten musste man in die Leichenhallen der Krankenhäuser und des Südfriedhofs bringen. Mehrere zunächst schwer verletzte Menschen starben noch in den Krankenhäusern.

Zugunglück im Bahnhof Herne vom 13. Januar 1925
Die Lok des D-Zugs hat sich mit geschätztem Tempo 40 in den Regionalzug geschoben, der gerade abfahren sollte. © Bildarchiv/Stadtarchiv Herne | Unbekannt

Herner Zugunfall macht europaweit Schlagzeilen

Die Essener Eisenbahndirektion zog am Abend des 13. Januar Bilanz und gab die im Wortlaut übermittelte Meldung ab: „Heute um 7 Uhr 20 Minuten morgens fuhr der D-Zug Nr. 10 auf den im Bahnhof in Herne stehenden vollbesetzten Personenzug Nr. 230 auf. Es herrschte dichter Nebel und Dunkelheit. Bisher sind 21 Tote und 30 bis 35 Leicht- und Schwer­verletzte festgestellt. Die Rettungsarbeiten haben sofort begonnen. Der Unfall ist, soweit bis zur Stunde ermittelt werden konnte, vermutlich dadurch entstanden, daß der D-Zug das auf Halt stehende Einfahrt­signal infolge des Nebels überfahren hat. Der Präsident, der Amtsvorstand und alle für den Betrieb verantwortlichen Dezernenten der Reichs­bahndirektion Essen sind an Ort und Stelle.“

„Der 13. Januar, ein schwarzer Tag“, hielt dann auch die Herner Zeitung fest. Das Unglück machte damals europaweit Schlagzeilen, sogar der Reichstag im fernen Berlin beschäftigte sich mit den Ursachen. Die Stadt war in Trauer. Die Ursache allerdings wurde nie abschließend geklärt.

Zugunglück im Bahnhof Herne vom 13. Januar 1925
Einer der Wagons des Regionalzugs liegt auf der Seite. Der Zug soll mit vielen Menschen besetzt gewesen sein. Es soll 91 Verletzte gegeben haben. © Bildarchiv/Stadtarchiv Herne | Unbekannt

Was war die Ursache für das Unglück mit verheerenden Folgen?

Der Herner Anzeiger beschäftigte sich ein paar Tage später mit den Ergebnissen der Ermittlungskommission. Dass der Zugführer das Signal wirklich wegen des Nebels übersehen haben soll, gilt nicht als sicher. „Eine Prüfung des in Frage kommenden Stellwerks und der Signale ergab, daß die technischen Anlagen sich in Ordnung befinden und daß beide Signale, sowohl das Vorsignal als auch das Hauptsignal auf ,Halt‘ gestanden habe. Bei mehrmaligen Versuchen funktionierten beide Signale ohne jeden Fehler.“

Später soll der Lokführer die Mutmaßung angestellt haben, dass das Signal erst im Nachhinein von „Freie Fahrt“ auf „Halt“ gestellt worden sein soll. Der Herner Anzeiger lässt es offen, „ob es angesichts des Nebels nicht notwendig gewesen wäre, Knallsignale zu geben, die das Unglück nach Ansicht der Fachleute verhütet hätten“. Ein Zeuge schilderte schon länger zurückliegende Unregelmäßigkeiten. Erst im November 1924 waren die Anlagen nach dem Ende der alliierten Besatzung zurückgegeben worden. Die Signaltechnik wurde neu installiert. In der Eile fehlerhaft?

Zugunglück im Bahnhof Herne vom 13. Januar 1925
Die Szenerie am Bahnhof Herne: 24 Menschen starben direkt oder später in Folge des Unglücks. © Bildarchiv/Stadtarchiv Herne | Unbekannt

12.000 Menschen begleiten die Trauerfeier für die fünf Herner Toten

So unklar die Ursache bleibt, so genau war man im Umgang mit den Toten und Verletzten. Im Herner Stadtarchiv lagern heute noch zahlreiche Dokumente über die Trauerfeiern, darunter etliche Quittungen und Belege für Bestattungen, Särge und Blumen. Die Eisenbahnverwaltung übernahm damals die Kosten für die Bestattungen. Die Stadt legte ein detailliertes „Unkostenverzeichnis“ an.

Die fünf Herner Toten, so heißt es damals, seien schon am 17. Januar in einer riesigen Trauerfeier auf dem Kommunalfriedhof bestattet worden. In den Presseberichten ist die Rede von „außerordentlich zahlreicher Teilnahme der Bevölkerung“. Weiter heißt es: „Über 12.000 Menschen belagerten die Straßen zum Friedhof.“ Von der preußischen Staatsregierung sprach Wohlfahrtsminister Heinrich Hirtsiefer sein Beileid aus.

Zugunglück im Bahnhof Herne vom 13. Januar 1925
Die Lok 2491 kam mit dem anhängenden D-Zug aus Berlin und sollte nach dem Stopp in Herne nach Köln fahren. © Bildarchiv/Stadtarchiv Herne | Unbekannt

Warum wurde das Zugunglück in der Herner Stadtgeschichte vergessen?

Ein offizielles Gedenken an die Katastrophe gab es zum 100. Jahrestag nicht. Für Stadtarchivar Jürgen Hagen ist das gar nicht so ungewöhnlich: „Manchmal geraten solche Daten in Vergessenheit.“ Das Unglück sei bekannt, aber offensichtlich kein Teil des Gedenkens geworden. Es gibt noch nicht einmal einen Stein, der an die Toten erinnert.

Während sich beispielsweise das schwere Grubenunglück mit 85 Toten vom 20. Juni 1921 auf der Zeche Mont Cenis im Gedächtnis vieler Menschen festbrannte, wurde beim Zugunglück (immerhin mit einer Opferzahl, die höher war als 2010 bei der Loveparade) schon kurz nach dem Vorfall der Grundstein fürs Vergessen gelegt. Im Stadtarchiv ist dazu ein Dokument vom 10. Januar 1929 hinterlegt. Das Hauptamt fragt damals beim Oberbürgermeister an, ob zum vierten Jahrestag ein Kranz zur Erinnerung niedergelegt werden soll. „Nach Rücksprache mit Herrn Oberbürgermeister soll in diesem Jahre und in Zukunft von der Niederlegung eines Kranzes auf den Gräbern der Verstorbenen des Herner Eisenbahnunglücks abgesehen werden“, heißt es ohne weitere Erklärung aus dem Büro.

Zugunglück im Bahnhof Herne vom 13. Januar 1925
Die Trümmer mussten abgetragen werden. Wie kam es zu dem Unglück? © Bildarchiv/Stadtarchiv Herne | Unbekannt