Herne. Deutschland - und damit auch Herne - steckt in einer Wirtschaftskrise. Wirkt sich die Lage auf die Ausbildung aus? Die Antwort überrascht.
Deutschlands Wirtschaft steckt in einer schweren Flaute, manche Unternehmen beschäftigen sich sogar wieder mit dem Thema Ausbildung. Da liegt der Gedanke nahe, dass auch die Ausbildung in Mitleidenschaft gezogen wird, doch Herne wartet mit verblüffenden Zahlen auf, wie die Jahresbilanz am Freitag offenbarte.
So konnte Stephanie Herrmann, operative Geschäftsführerin der Arbeitsagentur, eine „erfreuliche“ Entwicklung verkünden. Die Zahl der betrieblichen Ausbildungsstellen in der Stadt ist um 12,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. In absoluten Zahlen: um 101 Stellen auf 898. Damit kann sich Herne vom Ruhrgebietstrend abkoppeln, wo die Zahl gesunken ist. Bisher blieben 265 Ausbildungs- und duale Studienplätze unbesetzt. Doch der deutliche Anstieg um 190 Stellen müsse nicht schockieren, so Herrmann. Der Grund: Die Daten 1. August oder 1. September als Ausbildungsbeginn spielen für Unternehmen immer weniger eine Rolle. Sie lassen sich Zeit, um doch noch einen Azubi zu finden.
Über 9000 Fachkräfte gehen in den nächsten zehn Jahren in Herne in den Ruhestand
Herrmann nannte auch den entscheidenden Grund, warum Firmen trotz der mauen (Auftrags)-Lage ausbilden. Allein in Herne würden in den nächsten zehn Jahren rund 11.000 Beschäftigte das 65. Lebensjahr vollenden und vor dem Renteneintritt stehen, mehr als 9000 von ihnen hätten eine abgeschlossene Qualifikation. Inzwischen hätten die Unternehmen erkannt, dass sie sich um den Nachwuchs bemühen müssen. Eigentlich bewerben sich längst die Betriebe bei den jungen Menschen und nicht umgekehrt.
Für Dirk W. Erlhöfer, Geschäftsführer der Arbeitgeberverbände Ruhr/Westfalen, ist Herne ins Zentrum bei der Ausbildung gerückt, nachdem die Stadt in früheren Jahren immer am Rand gestanden habe. Das sei eine gute Nachricht. Dass die Unternehmen die Wucht erkannt hätten, mit denen nun der demografische Wandel auf sie zurolle. Deshalb würden sie trotz der Krise ausbilden, und nicht zuletzt seien beim jüngsten Tarifabschluss in der Metall- und Elektroindustrie die Ausbildungsgehälter im zweistelligen Prozentbereich erhöht worden.
OB: Das Bündnis für Arbeit hat geliefert
Hernes Oberbürgermeister Frank Dudda brachte die Bilanz auf folgende Formel: „Das Bündnis für Arbeit hat geliefert.“ Und er machte - wie in der Vergangenheit - folgende Rechnung auf: Zwar gebe es noch 79 unversorgte Bewerberinnen und Bewerber, doch in die Bilanz der Arbeitsagentur würden die schulischen Ausbildungsplätze im Gesundheitsbereich nicht einfließen. Dort gebe es rund 2000 Ausbildungsstellen, die jungen Leute würden also nach Herne hineinpendeln für die Ausbildung. Dass Herne bundesweit die Hochburg in Sachen Ausbildung sei, habe gerade wieder eine Statistik des Magazins „Wirtschaftswoche“ bestätigt.
Dennoch verschließe er nicht die Augen vor Problemen. So gebe es rund 1000 arbeitslose Jugendliche. Und um Vorurteilen zuvorzukommen, wies er darauf hin, dass der überwiegende Teil einen Schulabschluss habe sowie die deutsche Staatsbürgerschaft. Dazu passt, dass der Anteil an ausländischen jugendliche Azubis um 18,4 Prozent gestiegen ist. Die Zahl der arbeitslosen Jugendlichen zu senken, sei eine „Hausaufgabe“, die sich das Bündnis für Arbeit im nächsten Jahr genauer ansehen wolle.
IHK: Immer mehr Ausbildungen werden in der Probezeit abgebrochen
Die IHK Mittleres Ruhrgebiet registriert in ihrem Bereich in Herne ein Minus von 3,3 Prozent an abgeschlossenen Ausbildungsverträgen, allerdings machte Katja Fox aus der IHK-Hauptgeschäftsführung darauf aufmerksam, dass immer mehr Ausbildungsverträge schon in der Probezeit wieder aufgelöst würden. Ein Grund sei, dass es bei Azubis und Unternehmen sehr unterschiedliche Erwartungen gebe, zudem spielten eine fehlende Orientierung bei der Berufswahl und nicht zuletzt psychosoziale Probleme eine Rolle.
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Auch Petra Jendrzejewski von der Kreishandwerkerschaft steuerte gute Zahlen zur Bilanz bei. Nur für Herne gebe es ein erfreuliches Plus von 7,5 Prozent an Ausbildungsverträgen zum 1. Oktober - auch im Gegensatz zu anderen Städten, wo der Trend rückläufig ist. Das offenbare ebenfalls, dass das Handwerk Fachkräfte brauche.
DGB-Regionsgeschäftsührer Stefan Marx wollte „ein bisschen Wasser in der Wein“ gießen. Der Grund: Die Quote der Herner Betriebe, die ausbilden, sinke - trotz des sehr guten Bündnisses für Arbeit. Die rund 1000 jungen Menschen ohne Job müssten aus der Arbeitslosigkeit geholt werden. „Wir sind auf dem richtigen Weg, aber wir müssen dran bleiben.“