Herne. Die Ampel ist endgültig aus! Wie sich die Herner Parteien nun aufstellen, was die Stadt zum Wahlrecht bei Neuwahlen sagen kann.
Auch wenn Grüne, CDU und SPD in Herne bereits ihre Kandidatin bzw. ihren Kandidaten für die kommende Bundestagswahl nominiert haben: Für sie und erst recht für alle anderen Parteien in Herne hat der Bruch der Ampelkoalition Folgen. Erste Reaktionen.
Die SPD und die Sorgen um die Menschen
SPD-Chef Hendrik Bollmann ist am Samstag von seiner Partei im Wanner Mondpalast mit 91,1 Prozent für die Bundestagswahl im Wahlkreis Herne-Bochum II nominiert worden.
Nach dem Beben in Berlin war Bollmann als einer der ersten Herner Politiker sprachfähig: Auf Facebook konnte man am Mittwoch schon kurz nach 6 Uhr ein erstes Statement des 42-Jährigen lesen. „Richtige Entscheidung von Bundeskanzler Scholz. Lindners Vorgehen der letzten Tage war verantwortungslos“, schrieb er. Auf Facebook und später im Gespräch mit der WAZ betont er zudem: „In diesen Tagen geht es um den Erhalt von Arbeitsplätzen und die Sorgen der Menschen, ob sie sich den nächsten Einkauf leisten und Rechnungen bezahlen können, nicht um das Überleben der FDP.“
Zurück nach Herne: „Wir müssen uns als Parteivorstand natürlich kurzfristig besprechen. Die Zeitplanung fürs Jahr 2025 ist völlig durcheinander geworfen worden“, sagt Bollmann.
Die SPD-Bundestagsabgeordnete Michelle Müntefering erklärt auf Bitte der WAZ um eine Stellungnahme kurz und knapp: „Der Bundeskanzler hat konsequent und folgerichtig gehandelt.“
Die CDU und die Prophezeiung
Christoph Bußmann ist Parteichef, Ratsfraktionsvorsitzender, seit Dienstag offiziell Bundestagskandidat und offenbar auch Prophet. „Ich habe auf dem Kreisparteitag am Dienstag in meiner Nominierungsrede gesagt: Wenn ich alle Fehler der Bundesregierung aufzählen müsste, wäre ich damit bis Mittwoch beschäftigt. Ich bin mir aber nicht sicher, ob diese Regierung dann noch im Amt ist.“
Dass es dann tatsächlich so schnell geht mit dem Ampel-Aus, habe ihn überrascht. Er sei am Mittwochabend vom Bezirksparteitag der CDU Eickel nach Hause gekommen und habe beim Zocken am PC ein wenig abschalten wollen: „Ich habe noch keine fünf Minuten gezockt, als ich die Nachricht erhielt: Äh, Christoph, guck mal in die Nachrichten. Seitdem brennt mein Handy durch.“
Er schließe sich der Forderung aus der Union an, dass die Neuwahlen nicht - wie von Scholz gewünscht - erst im März stattfinden sollten, sondern deutlich früher: „Wir müssen handlungsfähig sein im Bund - so schnell wie möglich“, so Bußmann. Die Herner CDU sei derweil bereits handlungsfähig: „Als hätten wir es geahnt: Wir haben bereits in der letzten Kreisvorstandssitzung die Gründung einer Strategiekommission beschlossen, die sich mit der Kommunalwahl und der Bundestagswahl 2025 beschäftigen soll.“ Diese sei vor eineinhalb Wochen ins Leben gerufen worden und werde in Kürze erneut tagen.
Bußmann ist in diesen Tagen nicht nur Prophet, sondern auch eine gespaltene Persönlichkeit: „In meiner Brust schlagen zwei Herzen“, bekennt er. Mit Blick auf Deutschland seien vorgezogene Neuwahlen angezeigt, doch als Partei- und Fraktionsvorsitzenden sehe er das ganz anders: „Es wäre fürs Ergebnis der Herner CDU bei der Kommunalwahl besser, wenn die Bundestagswahl ebenfalls im September stattfinden würde.“
Die FDP und das kleine Karo
Thomas Nückel (FDP) hat in Herne ein Alleinstellungsmerkmal: Er ist der einzige Mensch in dieser Stadt, der eng mit Bundesfinanzminister a.D. Christian Lindner zusammengearbeitet hat. Von 2012 bis 2017 war das der Fall: Nückel war NRW-Landtagsabgeordneter, Lindner sein Fraktionsvorsitzender. Auch deshalb ist es wenig überraschend, dass er den Kanzler-Vorwurf, der FDP-Chef sei ein kleinkarierter Taktiker, vehement zurückweist. „Kleinkariert ist der Kanzler leider selber. In seiner Begründung der Entlassung Lindners fehlte jede Form von Selbstreflexion und Selbstkritik. Und ich fand es unterirdisch, so nachzutreten“, so der 61-Jährige.
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Es zeichnet sich ab, dass Nückel schon in Kürze erneut mit Lindner „zusammenarbeiten“ wird, nämlich: im Wahlkampf. Auf die Frage der WAZ, ob er sich für die Herner FDP eine Kandidatur bei der Bundestagswahl vorstellen könne, antwortete er vielsagend: „Ich denke darüber nach.“
Über diese Personalie und weitere Weichenstellungen für die Bundestagswahl und die Kommunalwahl werde der FDP-Kreisvorstand am 16. November sprechen, sagt Parteichef Thomas Bloch. Er schließe für sich nicht aus, erneut als OB-Kandidat anzutreten.
Wie Nückel geht auch der FDP-Vorsitzende den Kanzler hart an. Olaf Scholz betreibe eine Art Insolvenzverschleppung: „Das ist an Dreistigkeit nicht zu überbieten.“ Die Bevölkerung wolle Neuwahlen, und das so schnell wie möglich. Blochs Kritik richtet sich aber nicht nur gegen den Kanzler und die SPD: „Alle drei Ampel-Parteien sind nicht zueinander gekommen, weil jede von ihnen die eigene Ideologie vor sich her getragen hat. Da fehlte einfach Kompromissbereitschaft.“
Er wünsche sich eine Neupositionierung seiner Partei. „Die FDP muss wieder zu ihrem Markenkern zurückfinden, sonst fällt sie in die Todeszone.“ Dazu gehörten Pragmatismus und eine „echte liberale Diskussionskultur“, die er derzeit vermisse. „Wir tragen einige Standpunkte wie eine Monstranz vor uns her, so wie beispielsweise die unsägliche Ablehnung eines Tempolimits. Das ist einfach nicht mehr zeitgemäß.“
Und zum Paukenschlag durch Volker Wissing: Sowohl Bloch als auch Nückel können die Entscheidung des Verkehrsministers, in der Regierung zu bleiben und gleichzeitig die FDP zu verlassen, nicht nachvollziehen. Er sei menschlich enttäuscht von Wissing, sagt Thomas Nückel. „Er war aber in der FDP bereits unten durch und hatte nichts mehr zu erwarten.“
Die Grünen und der Straßenwahlkampf im Winter
Grünen-Vorsitzender Stefan Kuczera ist derzeit auf Dienstreise - in Berlin. Er sei nach dem Ampel-Aus von Bekannten bereits gefragt worden, was er denn da angestellt habe. „Ich habe damit nichts zu tun“, sagt er und lacht. Womit der 42-Jährige eine Menge zu tun hat: Die Grünen haben bereits Anfang Juli als erste Herner Partei mit Anna di Bari (23) eine Bundestagskandidatin aufgestellt. Ob die Wahl nun im Januar oder erst im März stattfinden werde, spiele für ihn persönlich keine Rolle: „Ich finde Straßenwahlkampf sowohl in der Vorweihnachtszeit als auch im Februar unschön“, sagt Kuczera. Die Partei sei aber gut aufgestellt und hätte bei beiden Terminen keine Mobilisierungsprobleme.
Dazu trage auch das Verhalten (des ehemaligen) Finanzministers Lindner bei. Der Bundeskanzler habe sich aber ebenfalls nicht mit Ruhm bekleckert. Die Eskalation sei auch darauf zurückzuführen, dass Scholz jahrelang die Provokationen der FDP nicht reguliert habe. „Dass er jetzt den Stecker gezogen hat, war kein Ausweis von Führungsstärke, sondern eigentlich eine Notwehrreaktion“, sagt der Grünen-Politiker.
Das Bündnis Sahra Wagenknecht und der Verzicht
Das neue Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) hat in Herne keinen „richtigen“ Kreisverband, muss aber schon in Kürze einen Bundestagswahlkampf organisieren. Das Herner BSW-Mitglied Norbert Arndt kann diese Aussicht nicht aus der Ruhe bringen: „Wir waren davon ausgegangen, dass die Ampel nicht bis September halten wird. Von daher sind wir schon darauf eingestellt.“
Die Gelassenheit ist wohl auch darauf zurückzuführen, dass die BSW im Herner Wahlkreis - „Stand jetzt“ (Arndt) - keinen eigenen Kandidaten aufstellen wird. Hintergrund: Auf das Gesamtergebnis der Partei wird dieser Verzicht - anders als zum Beispiel bei einer Kommunalwahl - keine direkten Auswirkungen haben, weil nicht die Erststimme für einen Kandidaten/eine Kandidatin die Zusammensetzung des Bundestags bestimmt, sondern die Zweitstimme. Und der BSW-Kreisverband? „Den werden wir Anfang 2025 gründen“, sagt Arndt. Er könne sich vorstellen, dass das BSW vor Ort durch das Vorziehen der Bundestagswahl „einen neuen Drive“ bekomme.
Die Linkspartei und der Zeitfaktor
Linken-Vorsitzender Daniel Kleibömer hält es wie seine Bundesvorsitzende Ines Schwerdtner: Er hätte es begrüßt, wenn sich SPD, Grüne und FDP bis September „zusammengerauft“ hätten. Tragisch finde er das Aus der Ampel allerdings nicht, weil sich die Koalition seit zwei Jahren von einem Problem zum anderen hangele.
Und wer zieht für die Herner Linkspartei in den Bundestagswahlkampf? „Es gibt Überlegungen, aber noch keinen Kandidaten“, so der Vorsitzende. Ende November werde der Kreisverband auf einer Mitgliederversammlung darüber sprechen. Falls die Bundestagswahl - wie unter anderem von der CDU angestrebt - bereits im Januar stattfindet, werde es „zeitlich etwas schwierig“, räumt Kleibömer ein.
Die AfD und das (Ver-)Schweigen
Die AfD befürworte Neuwahlen, „die auch schnellstmöglich durchgeführt werden sollten“, erklärt Hernes Vorsitzender Guido Grützmacher. Sie hätten sich bislang aber weder auf einen Bundestagsdirektkandidaten noch auf einen Nominierungstermin fokussiert. Nach wie vor keine Angaben will die AfD auf Nachfrage der WAZ zur konkreten Mitgliederzahl („sie wächst“) in Herne und der Zusammensetzung des Vorstands machen.
>>> Die Stadt Herne über das Wahlrecht bei vorgezogenen Bundestagswahlen
- Mit Bekanntgabe des Wahltermins werde die Stadt zeitnah die Akquise für die Wahlräume in Herne sowie die Wahlhelferinnen und Wahlhelfer starten, so Stadtsprecher Christoph Hüsken auf Anfrage. Aktuell sei mit Vorplanungen und Überlegungen begonnen worden.
- Für die ursprünglich am 28. September 2025 geplanten Bundestagswahl müssten die Parteien bis zum 21. Juli (69. Tag vor der Wahl), 18 Uhr, die Wahlvorschläge einreichen.
- Im Fall einer Auflösung des Bundestages durch den Präsidenten finde die Neuwahl innerhalb von 60 Tagen statt, so die Stadt. Das Bundesministerium des Innern und für Heimat sei dann ermächtigt, die im Bundeswahlgesetz und in der Bundeswahlordnung festgelegten Termine und Fristen durch Rechtsverordnung abzukürzen.
- Termine und Fristen seien immer in Abhängigkeit vom Wahltermin zu betrachten. Zum jetzigen Zeitpunkt könne deshalb keine Aussage getroffen werden, bis wann die Parteien im Falle von vorgezogenen Neuwahlen ihre Vorschläge einreichen müssten