Herne. Welche Medizinversorgung wünscht ein Mensch in den letzten Lebenstagen? Auskunft gibt die Patientenverfügung. Was Herne nun für Notfälle plant.
Der Fall mag konstruiert sein, doch er kommt der Realität wohl sehr nahe: Eine Patientin mit fortgeschrittener Demenz wird wieder und wieder ins Krankenhaus gebracht, weil sie nicht mehr schlucken kann. Nach einer Infusion wird sie wieder nach Hause oder ins Heim entlassen. Dabei hatte sie per Patientenverfügung festgelegt, dass sie keine weiteren Krankenhausaufenthalte mehr wünsche. Die Stadt Herne plant nun ein neues Instrument, damit der Wille auch in Notfallsituationen schnell erkannt und respektiert wird: die Notfall-Therapie-Ampel.
Im Notfall bleibt keine Zeit, um eine Patientenverfügung durchzulesen
Dr. Angelika Burrichter, Leiterin des Fachbereichs Gesundheit bei der Stadt, erläutert die Ausgangssituation: Die Menschen würden immer älter, allerdings litten viele an chronischen Erkrankungen. Deshalb müssten sie sich mit verschiedenen Frage auseinandersetzen: „Wie wollen man in der letzten Lebensphase gesundheitlich versorgt werden? Wie will man gepflegt werden? Welche medizinische Behandlung wünscht man sich?
Antworten gibt die Patientenverfügung, damit lasse sich der Wille von Patienten oder Heim-Bewohnern gut dokumentieren. Allerdings: Kommt es zu einem Notfall, bleibt oft keine Zeit, die Verfügung in Ruhe durchzulesen. Oder die Verfügung ist überhaupt nicht auffindbar.
Rettungsdienst steht bei Palliativeinsätzen oft vor vielen Fragen
Genau diese Situation kennt Dr. Holger Wißuwa, ärztlicher Leiter des Rettungsdienstes der Stadt Herne, nur zu gut: Der Rettungsdienst der Herner Feuerwehr werde etwa jeden zweiten Tag zu Einsätzen mit Palliativsituationen gerufen. „Dabei stellt sich die Frage, wie weit man bei diesen Patienten in der Therapie gehen? Was ist der Patientenwille? Und wo sind Begrenzungen gewünscht? Gibt es eine Patientenverfügung, und ist sie in dieser Situation auch anwendbar?“ Der Zeitdruck verschärfe die Situation. „Die Frage, ob eine Wiederbelebung gestartet werden soll, muss eben in wenigen Sekunden entschieden werden“, so Wißuwa.
Ein Notfall-Bogen - der nach einem Ampelsystem aufgebaut ist - soll in Zukunft eine schnelle Klärung der Fragen ermöglichen. In diesem System steht „Rot“ für die strikte Ablehnung von Wiederbelebungsmaßnahmen und Krankenhausaufenthalten, während „Grün“ für die Vollversorgung mit allen medizinischen Maßnahmen steht. Bei „Gelb“ können notfallmedizinische Maßnahmen durch ein einfaches Ja/Nein-Schema von Bewohnerinnen und Bewohner eines Pflegeheims befürwortet oder abgelehnt werden. Das Ausfüllen der Notfalltherapie-Ampel ist freiwillig und soll im Rahmen der individuellen Beratung erfolgen.
Ziel des neuen Systems: eine ungewollte Überversorgung vermeiden
Aus palliativ medizinischer Sicht sei es wichtig, eine Überversorgung bei Patienten, die das nicht mehr wünschen, zu vermeiden. „Es muss niemand Angst davor haben, dass er nicht ausreichend medizinisch versorgt wird“, so Palliativmediziner Dr. Axel Münker. Bei einem Ampelsystem, wie es nun angedacht ist, könne mancher auf den Gedanken kommen, dass bei ihm nichts mehr gemacht wird. Umgekehrt sei es aber extrem schwer, einen Palliativpatienten schnell als einen solchen zu identifizieren. Die Ampel soll dazu beitragen, diese Identifikation zu beschleunigen. Wißuwa ergänzt: „Maximale Versorgung ist leicht, doch das wird oft dem Patienten nicht gerecht. Nur wenn wir den Patientenwunsch kennen, kann er in der fraglichen Situation die Therapie bekommen, die er haben möchte.“
Informationsveranstaltung am 20. November
Um einer breiteren Öffentlichkeit den „Herner Weg“ zu erläutern, findet am Mittwoch, 20. November, eine Informationsveranstaltung statt. Neben Vorträgen wird es eine Podiumsdiskussion geben. Die Veranstaltung findet von 15 bis 17 Uhr im VHS-Saal an der Wilhelmstraße 37 in Wanne statt. Sie ist kostenlos, eine Anmeldung ist nicht erforderlich.