Herne. Ein Säugling aus Herne ringt nach einem Schütteltrauma tagelang mit dem Tod. Dringend tatverdächtig ist der Vater - vor Gericht schweigt er.

Vor einem Jahr soll ein Vater (31) aus Herne sein damals gerade fünf Wochen altes Kind so schwer geschüttelt haben, dass es irreversible Hirnschäden erlitt und zum Pflegefall wurde. Beim Prozessauftakt am Bochumer Landgericht hüllte sich der Angeklagte in Schweigen – bei der Polizei hat er in stundenlangen Vernehmungen alles abgestritten.

Träge und teilnahmslos wirkt der Vater, als er am Mittwoch, 31. Juli, den Gerichtssaal betritt. Bevor Staatsanwältin Katrin Drifthaus beginnt, die Vorwürfe der Anklage zu verlesen, atmet der 31-Jährige, der bis zu seiner Festnahme am 2. Februar im Service eines Gastrobetriebs arbeitete, noch einmal tief durch. Die bedrückenden Schilderungen der schweren Gesundheitsfolgen für seinen kleinen Sohn nimmt er äußerlich ohne jede Emotion entgegen.

„Er machte den Eindruck, als würde er schlafen. Aber völlig erschöpft“

Ort des Prozesses: das Justizzentrum in Bochum.
Ort des Prozesses: das Justizzentrum in Bochum. © FUNKE Foto Services | Gero Helm

Es war der 5. August 2023, als der Herner in der Familienwohnung an der Rottbruchstraße auf seinen damals gerade 36 Tage alten Sohn aufpassen sollte. Die Kindsmutter, das berichtete eine Polizeibeamtin vor Gericht, hatte am fraglichen Morgen den Cranger Kirmesumzug besucht. Als die Frau rund fünf Stunden und einige Textnachrichten später wieder zurückkehrte, soll der Säugling blass um die Augen und nicht wiederzuerkennen gewesen sein. Bei der Polizei hatte die Mutter zu Protokoll gegeben: „Er machte den Eindruck, als würde er schlafen. Aber völlig erschöpft.“ Als sie versucht habe, durch Berührungen eine Reaktion zu erzeugen, habe der Junge nur leise gewimmert. „Das war ein Ton, wie ich ihn zuvor noch nie gehört habe“, soll sich die Mutter bei der Polizei festgelegt haben.

Auf ihre Nachfrage, was denn passiert sei, soll der Vater geantwortet haben: „Er ist beim Schlafen plötzlich so blass geworden.“ Dann soll der 31-Jährige sich verabschiedet und zur Arbeit gefahren sein. Die Mutter soll derweil mit dem Säugling in die Kinderklinik gefahren sein. Und dort eine niederschmetternde Diagnose erhalten haben: Schütteltrauma. 

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Die Richter der 1. Strafkammer versuchen jetzt aufzuklären, was in der Zeit zwischen 9 und 12.40 Uhr in der Wohnung passiert ist. Wer hat den Jungen so heftig geschüttelt, dass er durch Hirnblutungen wohl zeitlebens eine motorische und geistige Behinderung davongetragen hat? Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass es nur der Vater gewesen sein kann. Er soll den Jungen am fraglichen Morgen erst fest ins Gesicht gefasst und dann „kräftig mindestens mehrere Sekunden lang“ geschüttelt haben. „Er handelte in der Absicht, das an diesem Morgen oft stark schreiende Kind ruhigzustellen, um ungestört schlafen zu können, nachdem er selbst erst in den frühen Morgenstunden alkoholisiert nach Hause zurückgekehrt war“, heißt es in der Anklage. Die Mutter hatte bei der Polizei berichtet, dass sie bereits zügig nach ihrer Abfahrt zum Kirmesumzug vom Vater mit Blick auf den Säugling die WhatsApp-Nachricht erhalten habe: „Er schreit in einer Tour.“   

Weil der Vater vor Gericht schweigt, läuft es auf einen Indizienprozess hinaus. Wie bekannt wurde, hat sich die Kindsmutter von dem 31-Jährigen getrennt. Im Prozess tritt die Frau als gesetzliche Vertreterin des heute Einjährigen an der Seite von Rechtsanwältin Brigitte Hendricks als Nebenklägerin auf.

Zweimal ist auch der Vater damals zeitnah von der Polizei befragt worden. Auf die Frage, was passiert ist, antwortete der 31-Jährige: „Kann ich nicht sagen, keine Ahnung. Es ist nicht mein erstes Kind. Und ich weiß ja auch, dass man ein Kind nicht schüttelt, wenn es schreit.“ Und darauf, warum er am Tattag zur Arbeit und nicht mit seiner Frau in die Kinderklinik gefahren sei: „Das war jetzt nicht so, dass ich mir große Gedanken gemacht habe.“

Im Falle einer Verurteilung nach Anklage drohen dem Herner mindestens drei Jahre Haft. Mit einem Urteil ist voraussichtlich frühestens am 10. September zu rechnen.