Herne. Auf der kontaminierten Fläche einer ehemaligen Herner Kokerei sollen Wohnungen entstehen. Warum Anwohner sich um ihre Gesundheit sorgen.
Achtung: Altlasten! Bei Bodenuntersuchungen im nördlichen Bereich des Herner Shamrockparks hat ein Gutachter auf der ehemaligen Kokereifläche erwartungsgemäß zum Teil hochgiftige Schadstoffe gefunden. Für die geplante Wohnbebauung müssten Teile des belasteten Bodens ausgehoben werden. Das ruft den Protest von Anwohnerinnen und Anwohnern sowie der Linkspartei auf den Plan: Sie warnen vor Gesundheitsgefahren durch Freisetzung krebserregender Stoffe auf diesem Areal im Bereich Brunnenstraße/Grenzweg.
„Hochgradig krebserregend“: Widerstand von Anwohnern und Linkspartei
Das Ergebnis des Gutachterbüros HPC (Duisburg) ist eindeutig: Das untersuchte Bodenmaterial weise zum Teil erhebliche Schadstoffbelastungen auf, vornehmlich mit hochgiftigen Polyzyklischen Aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAK) und Kohlenwasserstoffen. Und: Der kontaminierte Boden müsse wohl als gefährlicher Abfall der (höchsten) Deponieklasse IV unterirdisch eingelagert werden. Nach dem Aushub wäre die vom Shamrockpark-Investor Fakt AG angestrebte Wohnnutzung - geplant sind 80-100 Wohnungen - allerdings möglich, so das Fazit des Gutachters.
Anwohnerinnen und Anwohner und die Linke geben sich damit nicht zufrieden. Für den vergangenen Samstag hatte die Linken-Stadtverordnete Klaudia Scholz zu einer Mahnwache an der Brunnenstraße aufgerufen. Jegliche Öffnung der Parkplatzbefestigung würde „hochgradig krebserregende Stoffe“ freisetzen, so das Signal, ein ausreichender Schutz für die Nachbarschaft könne nicht gewährleistet werden. Und am vergangenen Dienstag machte Grenzweg-Anwohner Klaus Küperkoch in der Ratssitzung mit einer Einwohneranfrage noch einmal deutlich, wie groß die Bedenken sind.
Zu Unrecht, so im Rat die Antwort der Stadt. In dem für das aktuelle Bebauungsplanverfahren aufgestellten Sanierungsplan werde die Problematik vom Büro HPC „umfangreich“ und „ausreichend“ berücksichtigt, fasste Umweltdezernent Karlheinz Friedrichs das Ergebnis einer Prüfung durch die Stadt zusammen. Im Falle eines Aushubs des Bodens würden wie vorgeschrieben „erweiterte Schutzmaßnahmen“ getroffen, um Gefährdungen Dritter auszuschließen. Dazu zählten vor allem das Anfeuchten des Bodens zur Vermeidung von Staubbildung, das Besprengen von Straßen zur Verhinderung von Staubaufwirbelungen sowie der Einsatz einer Reifenwaschanlage (siehe auch unten).
Altenheim-Betreiber zieht sich vom Shamrockpark zurück
Aus Sicht von Klaus Küperkoch reichen diese Maßnahmen nicht aus. Allein steht der 66-jährige Anwohner mit seinen Bedenken nicht: In der kommenden Woche will er der Verwaltung Listen mit Unterschriften gegen eine Bebauung der hochbelasteten Fläche überreichen. Außerdem wies er die Stadt darauf hin, dass die Ruhrkohle AG als frühere Grundstückseigentümerin mit Anwohnern unter Beteiligung der Stadt einst vertraglich festgelegt habe, dass das Grundstück ausschließlich als Parkplatz genutzt werden dürfe. Die Stadt habe keine Kenntnis von diesem Vorgang, wolle den Sachverhalt jedoch prüfen, so Friedrichs.
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Anwohner Küperkoch präsentierte im Gespräch mit der WAZ auch einen Alternativvorschlag für die künftige Nutzung des rund 26.000 Quadratmeter großen Grundstücks: eine Betondecke über die Fläche ziehen und darauf ein Parkhaus mit Fußgängerbrücke in den südlichen Teil des Shamrockparks setzen. Hintergrund: Der Bau eines Parkhauses ist bereits Teil der Pläne, allerdings an einem anderen Standort im Shamrockpark.
Vielleicht spielen am Ende aber auch die Kosten der Altlastensanierung Gegnern einer (Wohn-)Bebauung in die Karten. Die an der Forellstraße in Baukau mit zwei Altenheimen präsente Gesellschaft Protea Care, die auf der ehemaligen Kokerei-Fläche ein Seniorenheim bauen wollte und dafür bereits grünes Licht im aktuellen Pflegeplan der Stadt erhalten hat, hat sich inzwischen vom Shamrockpark verabschiedet – offenbar aufgrund der hohen Sanierungskosten. Protea Care sucht nun in Herne nach einem anderen Standort.
Altlastenskandal an der Leibnizstraße schlug hohe Wellen
Zurück zur jüngsten Ratssitzung: Auf eine entsprechende Anfrage von Bürger Küperkoch erklärte Dezernent Friedrichs, dass die Stadt in Herne bisher an insgesamt mehr als zwölf ehemaligen Kokereistandorten Sanierungen erfolgreich durchgeführt bzw. begleitet habe. Ein Blick in die Historie zeigt, dass die Gefahren anfangs ignoriert wurden.
An der Leibnizstraße in Baukau war in den 80er-Jahren eine Neubausiedlung auf einer ehemaligen Kokerei-Fläche entstanden. Die Käufer hatten sich zunächst auf die Aussage der Stadt verlassen, dass von dem Boden keinerlei Gefahr ausgehe. Die WAZ und auch überregionale Zeitungen wie Die Zeit berichteten damals, dass Grenzwerte für krebserregende Stoffe um ein Vielfaches überschritten wurden und dies erst scheibchenweise ans Licht kam. Erst dann wurden die notwendigen Sanierungen veranlasst.
>>> Wie Auflagen zum Anwohnerschutz missachtet werden
Dass „erweiterte Schutzmaßnahmen“ - wie die Stadt sie für den Fall einer Sanierung des Shamrock-Parkplatzes ankündigt - auch schon mal außer Kraft gesetzt werden, zeigt das Beispiel Zentraldeponie Emscherbruch.
Die Anhörung im Rahmen des Genehmigungsverfahrens zur Erweiterung der Zentraldeponie brachte 2019 dank intensiver Recherche der Bürgerinitiative „Uns stinkt’s“ ans Licht, wie lax die Betreiberin AGR (eine Tochter des RVR) und die zuständige Bezirksregierung mit der vorgeschriebenen Reifenwaschanlage umgingen.
Im Wortprotokoll der Anhörung lässt sich nachlesen, dass Lkw immer wieder „durchflutschten“ (O-Ton AGR) und sich damit dem Durchfahren der Reifenwaschanlage entzogen. Und auch das stellte sich heraus: Eine behördliche Kontrolle der Nutzung dieser Anlage fand offenbar so gut wie nicht statt.