Herne.. Erschrecker gehörten früher auf Rummelplätzen zum guten Ton. Jetzt kehrt das ausgestorbene Berufsbild zurück: Auf der Cranger Kirmes, die an diesem Freitag beginnt, stehen mindestens zwei Geisterbahnen mit angestellten Ängstigern. Auch einfache Passanten haben gute Chancen, auf die Erschrecker zu treffen.
Marius Neumann begann mit acht Jahren, sich Verbände um den Kopf zu schlingen, um seine Eltern zu entsetzen. Heute weiß man, dass er damit den Weg zu seiner blutigen Berufung einschlug. Denn „Brauchen Sie ein Monster?“, hat er jüngst in eine Bewerbung geschrieben und prompt einen positiven Bescheid bekommen: Ja, sie brauchten eines. Dringend.
Gute Monster sind ja heute derart schwer zu finden! Jetzt arbeitet der Schüler aus Gelsenkirchen tatsächlich hin und wieder als Erschrecker auf der Geisterbahn: Einen Harlekin gibt er, mit blutigem Gesicht. „Ich könnte es mir als Beruf vorstellen“, sagt der 18-Jährige, nachdem er noch schnell seine spitzen Zähne herausgenommen hat: Vampire sind ja generell etwas schwerer zu verstehen.
Das Berufsbild überlebte in Wachsfigurenkabinetten
Erschrecker sind im Kommen; professionell entstellt müssen sie freilich sein, widerwärtig, Furcht einflößend. Ein Berufsbild aus dem 19. Jahrhundert wird damit, sagen wir es nur, wiederbelebt. Der Beruf überlebte in Europa nur in den dunkelsten Nischen von Freizeitparks und Wachsfigurkabinetten: Vor drei Jahren gab es nur noch einen einzigen, festangestellten Museums-Erschrecker in ganz Deutschland, und der konnte sich dann verbessern und ging zur Bundeswehr. Doch jetzt sind sie in großer Zahl zurück auf den Rummelplätzen. Auch auf Crange 2015. Wir sehen das Comeback des „Buh“-Mannes.
Auch interessant
Lucinde Boennecke vom „Deutschen Schaustellerbund“ bringt den Trend zu lebenden Untoten durchaus in Zusammenhang mit dem nostalgischen Hang vieler Kirmesbesucher. „Die Technisierung kommt an ihre Grenzen. Das Schöne und Gute ist wieder da!“ sagt sie in beherzter Wortwahl angesichts des Aufzugs angestellter Ängstiger.
Unwesen vor der Geisterbahn
Bei „Fellerhoffs Geisterstadt“ auf Crange sind der Erschrecker sechs. Da treiben sie ihr Unwesen vor allem vor der Geisterbahn: Lungern nichtsnutzig, irgendwie zombiehaft und von hinten unauffällig im Strom der Besucher mit – doch wehe, sie drehen sich um. Sie beherrschen eine Technik, arglosen Besuchern, die in Grüppchen beisammen stehen, erst ganz langsam in den Augenwinkeln zu erscheinen. Und wenn die dann hinschauen und erkennen, dass da etwas Verrottetes auf sie zuwankt?
Ganze Gruppen von halbwüchsigen Mädchen brechen aus in kreischendes Weglaufen. Kleinere Kinder klammern an Mamas Bein und deuten mit dem Finger auf das Scheusal: „Ist der echt?“ Und zutiefst coole Halbwüchsige sagen aus tief empfundenem Respekt: „Scheiße, Alter!“
Auch interessant
Hermann Fellerhoff setzt seine Erschrecker vor allem vorne ein, als Animation. „Die Leute haben kostenlosen Spaß vor der Geisterbahn“, sagt der 44-Jährige; aber natürlich will er sie mit den Erschreckern auch hereinlocken. Drinnen gebe es keine, sagt Fellerhoff; wie sich zeigt, ist das dann nicht ganz die Wahrheit . . .
„Ich liebe es, Leute zu erschrecken“
Dario Naunheim jedenfalls steht noch am Anfang, der Schüler machte auf der Rheinkirmes sein Erschreckerpraktikum. 40 Minuten braucht er für seine Verkleidung, dann ist das Hemd blutbespritzt, die Wange ist aufgetrennt und Gesichts- und Haarfarbe sind gleichermaßen bleich. „Ich bin ein Typ, der sich oft schminkt und Sachen anprobiert“, sagt Naunheim: „Ich liebe es, Leute zu erschrecken, und hier darf ich das auch.“ Freilich ist abends um 8 Schluss: Die Eltern wollen, dass der Erschrecker dann nach Haus kommt.
Und Marius Neumann? „Man fühlt sich wie in einer anderen Welt“, hat er gesagt, und nun geht er gerade richtig auf in seiner Rolle als Ungeheuer. Knurrt vom Podium der Geisterbahn aus die Zuschauer an, turnt durch die Deko behände wie ein Katzenmensch. Als eine Gondel herausrattert, da springt er unbemerkt von hinten auf und hält plötzlich seine fauligen Hände Frauen vor die Augen, die gerade noch glaubten, sie hätten es geschafft. Der Rest ist Kreischen.