Herne. Simone Heintze ist vier Mal an Krebs erkrankt, immer besiegte sie die Krankheit – unter vielen Schmerzen und großem Kampf. Ein Interview.

Simone Heintze (46) ist in ihrem Leben vier Mal an Krebs erkrankt und hat die Krankheit vier Mal besiegt. Darüber hat sie nun ein Buch geschrieben. Die WAZ sprach mit der Hernerin – wegen der Pandemie per Videoschalte.

Die wichtigste Frage: Wie geht es Ihnen?


Simone Heintze: Mir geht es sehr gut: Ich habe keinen neuen Tumor. Natürlich gibt es aber immer etwas: So ist bei mir eine Herzinsuffizienz zurückgeblieben. Und es wurde auch eine beginnende Osteoporose festgestellt, es war aber klar, dass sie kommt, bei all den Hormonen, die ich einnehmen muss. Ansonsten: Alles gut: Inzwischen gelte ich als geheilt und langzeitüberlebend.

Sie sind ja Risikopatient mit Ihrer Vorgeschichte. Wie erleben Sie die Corona-Krise?

Die fällt mir sehr schwer. Vor allem wegen der Kontaktsperre. Ich bin ein sehr kontaktfreudiger Mensch und ein Draußen-Mensch. Jetzt gehe ich nicht dorthin, wo viele Menschen sind, aber ich kann viel spazieren gehen. In völlige Quarantäne wollte ich aber nicht, schon wegen meiner Kinder nicht. Generell kann man sagen: Während einer Chemotherapie hat man wie bei Corona quasi auch eine Ausgangssperre. Man muss Abstandsregeln und Immunschutz beachten. Und wenn die Therapie zu Ende ist, dann ist das Leben nie mehr so wie es einmal war. Man muss neu beginnen und das Beste aus dem machen, was man noch hat. Also ungefähr das, was viele in unserer Bevölkerung jetzt nach Corona betrifft.

Bei Ihnen wurde vier Mal Krebs diagnostiziert. Was hat Ihnen die Kraft gegeben, das durchzustehen?

Zu ihnen hat Simone Heintze „blindes Vertrauen“: die Ärzte Dr. Abdallah Abdallah (l.) von den Evangelischen Kliniken in Gelsenkirchen und Professor Dirk Strumberg vom Marienhospital Herne.
Zu ihnen hat Simone Heintze „blindes Vertrauen“: die Ärzte Dr. Abdallah Abdallah (l.) von den Evangelischen Kliniken in Gelsenkirchen und Professor Dirk Strumberg vom Marienhospital Herne. © Unbekannt | OH


Wenn ich meinen Glauben an Gott, meine Ärzte hier am Marienhospital, meine Familie und meine Freunde nicht gehabt hätte, dann hätte ich das nicht durchgestanden. Das schlimmste an einer Krebserkrankung ist das ewige Auf und Ab. Das ist so anstrengend, gerade auch für die Angehörigen. Ich wollte zweimal hinschmeißen und sterben, aber dank dieser Hilfe habe ich das am Ende doch durchgestanden.

Gott und Ihr Glaube zieht sich wie ein roter Faden durch Ihr Buch, in dem Sie über Ihr Leben und Ihre Krebserkrankungen berichten. Sie schreiben: Gott hat Sie gerettet. Auch andere Krebskranke glauben an Gott, überleben aber nicht.

Ich weiß nicht, warum er bei dem einen Menschen entscheidet, dass er lebt, der andere aber nicht. Diese Frage habe ich mir oft gestellt. Offensichtlich wollte Gott aber, dass ich überlebe. Aus ärztlicher Sicht war das eigentlich nicht möglich. Das ist ein großes Wunder. Man sieht mir ja nicht einmal mehr an, dass ich eine Krebserkrankung hatte. Ein Spaziergang war das aber nicht: Ich habe ganz viel hinterfragt, war oft auf Gott sauer und habe ihn auch angeschrieben, warum er mich nicht einfach mal in Ruhe lässt.

Ihren Kampf schildern Sie schonungslos. Warum das Buch?

Wer eine Chemotherapie macht, ist ein anderer Mensch. Mir war es wichtig, dass Außenstehende, darunter auch Freunde und Verwandte, verstehen, durch was man da durchgeht und warum man sich anders verhält. Es ist natürlich auch für die gedacht, die durch so eine Erkrankung durchmüssen: Ihnen will ich Mut, Zuversicht und Hoffnung geben. Das ist bei dieser Krankheit sehr, sehr wichtig. Und es ist für die Menschen, die selbst gar nicht erkrankt sind, sondern die einfach mal einen Anschubser brauchen – nach dem Motto: „Wenn die das kann, dann kann ich das auch!“

Wie sind Sie selber mit der Krankheit umgegangen?


Von Anfang an sehr offen und ehrlich. Ich habe immer alle eingebunden, zum Beispiel auch die Eltern von Mitschülern meiner Kinder, wenn die sich getroffen und mich gesehen haben. Das hat mir geholfen, aber das hat auch den anderen geholfen, mir zu helfen. Viele Menschen behalten die Krankheit für sich: etwa weil sie sich schämen oder glauben, sie seien selbst schuld daran. Schweigen hilft nicht. Die meisten Menschen kommen mit der Offenheit besser zurecht.

Wie finden Ihre Kinder Ihre Offenheit?

Ich glaube ganz gut. Zumindest haben sie sich bis jetzt noch nicht beschwert. Ganz im Gegenteil, sie werden schon mal von Freunden angesprochen, wenn deren Elternteil auch eine Krebserkrankung haben.

Sie haben unzählige Ärzte und Therapien kennen gelernt. Fühlten Sie sich manchmal auch den Ärzten ausgeliefert?

Ich hatte das Glück, dass ich zwei Ärzte und deren Team gefunden habe, zu denen ich blindes Vertrauen habe: Dr. Abdallah Abdallah von den Evangelischen Kliniken in Gelsenkirchen und Professor Dirk Strumberg vom Marienhospital Herne. Sie haben mich durch alles durchgeboxt. Aber wir mussten erst Vertrauen aufbauen. Am Anfang sind beide nicht groß auf meine Fragen eingegangen, dann habe ich nachgebohrt: Ich war hartnäckig und wollte alles über meine Krankheit und meine Therapien wissen. Darauf haben sich beide Ärzte eingelassen, und das hat mir sehr geholfen. Ich habe aber auch viele andere Ärzte getroffen, die einfach über meinen Kopf hinweg entscheiden wollten. Von diesen Ärzten habe ich mich getrennt. Ein Arzt sollte mein Verbündeter sein, der mit mir zusammen dieses Krankheit durchsteht.

Wer einmal Krebs hatte, der hat fortan ein Damoklesschwert über sich hängen: Leben Sie auch in der ständigen Angst, der Krebs könnte auch ein fünftes Mal zurückkommen?

Simone Heintzes zweites Buch, ihre Lebensgeschichte, ist nun erschienen: „Wäre blöd, nicht an Wunder zu glauben“.  
Simone Heintzes zweites Buch, ihre Lebensgeschichte, ist nun erschienen: „Wäre blöd, nicht an Wunder zu glauben“.   © Unbekannt | OH


Ja. Ich kenne diese Angst jetzt seit 30 Jahren, und die werde ich nicht mehr los. Rückenschmerzen zum Beispiel sind bei mir sofort Metastasen. Dann mache ich mir Gedanken, dass sie sich im Rücken ausbreiten. Da hilft dann nur zum Arzt zu gehen, ihm von der panischen Angst zu erzählen und das abklären zu lassen. Oder ich spreche zu Gott und bitte ihn, mir da herauszuhelfen. Eines ist aber klar: Eine Chemotherapie werde ich nicht mehr machen. Das Thema ist durch.

Können Sie noch arbeiten?

Nein. Seit sechs Jahren bin ich voll berentet. Einen ganzen Arbeitstag würde ich nicht mehr schaffen, dafür habe ich zu viele kleine und manchmal auch große Zipperlein, die mich begleiten. Aber: Ich lasse mich nicht von den Einschränkungen ausbremsen. Und ich arbeite ehrenamtlich in der Rentenberatung, da bearbeite ich ein bis zwei Anträge pro Woche. Und ich arbeite freiwillig als Grüne Dame im Marienhospital, wo ich ja fast schon auf jeder Station gelegen habe. Da bin ich dann auf der Onkologie unterwegs.

Das geht?

Es gibt manche Tage, da geht das nicht. Da ertrage ich den Geruch nicht und muss sofort wieder raus. Generell ist das aber eine wunderschöne Aufgabe. Es ist toll, den Menschen zu helfen, die gerade diese Therapien durchmachen müssen. Wenn ich mit ihnen rede und ihnen erzähle, dass ich weiß, wie sie sich fühlen und wie sie es schaffen können, dann blühen sie meistens auf. Es macht Freude, den Menschen Kraft zu geben.