Wiebke Möhring lehrt Journalistik. Im Interview erzählt sie über ihre Jugend in Herne mit ihren Brüdern Wotan Wilke und Söhnke und über Medien.
Herne. Wiebke Möhring ist in Herne aufgewachsen, hat an der Hiberniaschule ihr Abitur gebaut und erinnert sich mit Begeisterung an ihre Schulzeit zurück. Inzwischen ist die 49-Jährige Professorin für Journalistik an der TU Dortmund. WAZ-Redakteur Martin Tochtrop sprach mit ihr über ihre Jugend, ihre Familie und über Perspektiven des modernen Journalismus.
Frau Professorin, bei Recherchen zu Ihrer Person stößt man unweigerlich auf Ihre Familie. Auf Ihre Brüder Wotan Wilke und Sönke, die beide bekannte Schauspieler sind. Ein weiterer Bruder ist Lehrer. Ihr Vater Heiko Möhring tritt unter anderem als langjähriger Funktionär des als deutschnational geltenden Vereins für das Deutschtum im Ausland in den Vordergrund. Inwieweit hat das die Beziehungen zu Ihrem Vater beeinflusst, und wie sind Sie damit umgegangen?
Wiebke Möhring: Mein Vater hat unterscheiden können, an welchen Stellen er seine eigene politische Einstellung deutlich machte und welchen Freiraum er uns für die Entwicklung unserer jeweils eigenen begründeten politischen Einstellung geben wollte. Wir haben in den 80er-Jahren zu Hause die gleichen politischen Debatten geführt, die alle mit ihren Eltern führten. Wehrdienstverweigerung, Erinnerungskultur und Emanzipation gehörten hier einfach dazu. Mit dem Erwachsenwerden habe ich mit meinem Vater letztendlich darauf geeinigt,, dass Politik zwischen uns kein Thema mehr ist. Da waren wir uns zu uneins. Auch wenn mir diese Kontroversen auch geholfen haben, mir eine eigene Meinung bilden zu können und Andere, trotz bestehender Differenzen zu respektieren. Und zugleich war mein Vater viel welt- und gesellschaftsoffener als das heute noch vorliegende schriftliche Erbe von ihm zeigt. Mein Vater hat uns jedoch, unabhängig von seiner politischen Ausrichtung, mitgegeben, dass wir politische Menschen sein sollten.
Sie sind in Herne aufgewachsen, wie war Ihre Jugend?
Mein Vater ist 1973 aus der Bundeswehr ausgetreten und zu Heitkamp gegangen, damals noch das große Bauunternehmen. Wir haben bis 1979 in Eickel gewohnt und dann in einem Haus am Gysenberg in Sodingen. In den 90ern ist mein Vater Berater geworden, zuerst bei Kienbaum. Dann machte er sich selbstständig. Wir sind alle vier zur Hibernia-Schule gegangen. Das Besondere an dieser Schule ist, dass man dort eine Berufsausbildung macht. Ich bin Elektroinstallateurin, 1988 habe ich den Gesellenbrief gemacht, 1990 das Abi. Das war eine tolle Zeit, ich bin wirklich gerne zur Schule gegangen. Ich habe dort Freundschaften geschlossen, die bis heute andauern. Auch, weil man dort 14 Jahre zusammen war, inklusive der Kindergartenzeit sogar 17 Jahre. Ich habe eine Freundin, die kenne ich daher seit 46 oder 43 Jahren! Herne ist bis heute Familientreffen, ist Weihnachten. Auch nach dem Tod meiner Mutter haben wir das Haus behalten. Und Herne ist auch, einmal über die Bahnhofstraße zu gehen.
Hätten Sie das Institut für Journalistik an der TU Dortmund nach Ihrem Abitur so einfach betreten können wie heute? Schließlich liegt der Numerus Clausus bei 1,6?
Ja, Mathe- und Deutsch-Leistungskurs, alles gut. (lacht)
Jetzt zu Ihrem Fachgebiet, dem Journalismus. Was halten Sie von den Berichterstattungen über Innenminister-Aktionen? Der jetzige steht auf Razzien bei Familienclans, der Vorgänger positionierte sich mit Blitzmarathons in der Öffentlichkeit.
Es ist immer wieder eine Abwägungssache. Wichtig ist, sich zu fragen, was interessiert die Leserinnen und Leser. Und wenn für diese wichtig ist, dass auf den Straßen ihrer Stadt gerast wird, vielleicht dabei sogar jemand zu Tode kommt, dann will die Bevölkerung wissen: Was passiert jetzt politisch? Wenn Politik nicht Selbstzweck ist, sondern in diesem Falle auch dazu dient, aktiv Probleme anzugehen, dann sind die Medien in der Pflicht, darüber zu berichten. Aber sie sind auch in der Pflicht, darüber zu berichten, was nicht so gut klappt bzw. in Frage gestellt werden kann. Zum Beispiel, wo etwa Razzien reiner Aktionismus sind und das Problem nicht bekämpfen. Thema Soziale Medien: Facebook und Twitter sind stark von rechten Gruppierungen und Parteien wie der AfD unterwandert.
Ist es nicht an der Zeit, diese Medien stärker demokratisch zu kontrollieren, statt ihnen die Kontrolle weitgehend selbst zu überlassen?
Das Thema staatliche Kontrolle führt unmittelbar zu Fragen einer potenziellen Zensur bzw. den Sorgen um eben eine solche. Da sind wir aus historischen Gründen gut beraten, mehr als vorsichtig zu sein. Es ist erst einmal schwer vorstellbar, dass es eine Instanz gibt, die in der Lage ist, alle Beiträge in Sozialen Medien zu prüfen.
Das könnte ja auch ein Beirat sein, der ganz gezielt und professionell eingesetzt wird.
Es ist wichtig, dass wir uns auch in der Politik dafür einsetzen, die Algorithmen und wie sie funktionieren, besser zu verstehen. Das Lenken ist aber eine sehr zweischneidige Angelegenheit. Alles, was ich lenken kann, kann ich auch in bestimmte Richtungen lenken.
Also soll alles blieben, wie es ist?
Man muss über die Zielgruppen nachdenken. Alle Studien, die sich mit der Glaubwürdigkeit von Medien beschäftigen, zeigen ein verheerendes Bild über die Sozialen Medien. Gleichzeitig zeigen diese Studien, dass sich jüngere Menschen, wenn auch bisher nur teilweise, ausschließlich aus sozialen Medien mit Nachrichten informieren. Das ist die eigentlich gefährliche Perspektive. Die Jüngeren sind dabei jedoch schon eher nicht mehr bei Facebook, sondern bei Instagram oder Snapchat. Das ist die eigentlich gefährliche Komponente. Ein wichtiger Weg ist es deshalb, über Medienbildung zu gehen. Medienkunde wird in vielen Schulen ja durchaus schon in den normalen Unterricht integriert, wenn auch noch nicht systematisch. Viel größeren Aufklärungsbedarf gibt es jedoch auch für die Altersgruppen danach.
Was also tun?
Man muss in den Medien beispielsweise Recherchepraktiken transparent machen. Damit Menschen sehen, dass Nachrichten nicht einfach so schnell geschrieben werden wie Facebook-Postings. Dass man zum Beispiel bei der Veröffentlichung eines Strache-Videos deutlich macht, dass man es auf Echtheit überprüft hat, wie es Spiegel und Süddeutsche ja getan haben. Man muss den Wert und das Vorgehen journalistischen Arbeitens stärker heraus stellen. Es ist wichtig, Hintergründe zu recherchieren, die andere nicht liefern. Und das passiert im Lokaljournalismus zu wenig. Das liegt oftmals an der knappen Zeit und der geringen Personalstärke der Redaktionen. Da ist man durchaus froh über professionelle PR-Abteilungen, die Pressemitteilungen schicken.
in aktuelles Thema für Journalisten ist derzeit die Gendersprache. Für uns ist diese schwer umsetzbar. Wenn man beispielsweise immer „Bürgerinnen und Bürger“ schreibt, liest sich das sperrig. Und wenn dann noch ein „Gender-Star“, ein Sternchen * für die Vielfalt der Geschlechter, hinzukommt, gestaltet sich das noch komplizierter.
Das ist ein sehr kontroverses Thema. Ich bemühe mich immer, die Paarform zu verwenden. Wenn ich nur das generische Maskulinum verwende, ist die mentale Repräsentation auch deutlich männlicher. Ich verwende gendergerechte Sprache, um die Sichtbarkeit der Frauen zu erhöhen. Ich habe das Gefühl, dass das zu wenig in den Köpfen verankert ist. Die neuen Tendenzen lösen die Zweigeschlechtlichkeit ja eher auf, weil sich der Gender-Star durchsetzt. Das auszudrücken, finde ich im Schriftlichen überhaupt kein Leseproblem. Was mich aber tatsächlich stört: Wenn ich ein Pressefoto sehe, auf dem drei Frauen abgebildet sind, und es steht darunter: die diesjährigen Preisträger. Das ist dann de facto falsch, weil ich einen Bruch habe zwischen Unterzeile und Bild.
Ein unerlässliche Frage ist innerhalb eines solchen Gespräches natürlich: Wie sieht die Tageszeitung im Jahr 2029 aus, also in zehn Jahren. Gibt es sie dann überhaupt noch?
Mein Kollege, der Journalistik-Professor Klaus Meier, hat errechnet, im Jahr 2033 erscheine die letzte gedruckte Tageszeitung. Ich glaube nicht, dass das Gedruckte komplett verschwinden wird. Dafür gibt es ja schon wieder Bewegungen, wie sogenannte Slow Media. Es ist manchmal schon rein physiologisch angenehmer, etwas auf dem Papier zu lesen. Dann ist es aber nicht unbedingt ein tagesaktuelles Thema. „Die Zeit“ steht zum Beispiel im Augenblick auch ökonomisch ganz gut dar, die erscheint aber nur einmal pro Woche. Ich persönlich mag Papier, ich lese ein Buch immer noch lieber gedruckt, besitze aber auch einen E-Reader. Wichtig ist letztendlich aber die Existenz eines guten Journalismus. Und der kann im Netz genauso gut sein, oftmals durch mehr technische Möglichkeiten wie Verlinkungen sogar besser.