herne.. Daniel Kessen (44) war künstlerischer Leiter im Circus Schnick Schnack. Vor ein paar Jahren packte ihn die Lust auf Streifzüge mit der Kamera.
Die Kaugummiautomaten sind verschwunden, die Schallschutzwand der A40 demontiert. Was Daniel Kessen für seine Serie „hier und jetzt - mein 20 Pfennig Ruhrgebiet“ fotografiert hat, gibt es nicht mehr. Kein Zufall, denn es sind die vergessenen, etwas abgeschabten Orte, die den Herner bei seinen Streifzügen durch „die Pinkelecken des Ruhrgebiets“ fasziniert haben. Durch ihre Aufnahme in das „Pixelprojekt_Ruhrgebiet“ (siehe Text unten) sind die Bilder ein Teil des fotografischen Gedächtnisses der Region geworden.
Sein Name ist in Herne verknüpft mit dem Circus Schnick Schnack. Kessen, Jahrgang 1973, hat ihn vor 18 Jahren mitgegründet, war künstlerischer Leiter und Clown. „Ich habe immer künstlerisch gearbeitet“, sagt er. 2010 packte ihn die Fotografie. Seine Serie „Markt“ schaffte es vor zwei Jahren in die jährlichen „Neuaufnahmen“ des Pixelprojekts.
Streifzüge über fremdartige Märkte
„Ein tolles Projekt“, schwärmt er heute noch. Damals streifte er über Märkte in Essen-Vogelheim und in der Schalker Arena. „Das riecht und klingt ganz anders“, sagt er. „Da ist man als Deutscher fremd im eigenen Land.“ Afrikaner und andere Zugewanderte treiben dort Handel, beäugten den Deutschen erst misstrauisch und öffneten sich dann. „Die hatten Angst, dass ich ein Nazi bin.“ Eine sehr intensive Zeit sei das gewesen.
Eigene urbane Ästhetik jenseits der Klischees
In diesem Jahr reichte Daniel Kessen gleich zwei neue Serien ein. Für die oben genannte, „hier und jetzt“, lief er durch triste Stadtlandschaften und ließ sich „von den Bildern suchen“. Blicke durch beschlagene Scheiben, Spiegelungen und ungewöhnliche Perspektiven sprechen eine eigene ästhetische Sprache, die sich den Ruhrgebietsklischees verweigert. Die Menschen sind hier eher Statisten. Wie mit den Märkten fühlt sich Kessen auch mit diesen Orten stark verbunden. „Die meisten fotografieren Industriekultur“, sagt er. „Da hab ich relativ wenig Lust drauf.“ Ihm liegt mehr daran, Erinnerungen zu wecken an Situationen, wie sie seine Bilder zeigen. „Jeder hat schon mal am Stadtrand von Gelsenkirchen an einer Bushaltestelle gestanden“, sagt er. Die „Poesie im Kleinen“ ist es, die ihn interessiert.
Expedition in den Urwald in Castrop-Rauxel
Zecken und Mücken begegneten dem Fotografen bei einem anderen Spaziergang. Fast undurchdringlich ist das Naturschutzgebiet in Castrop-Rauxel-Bladenhorst, gar nicht weit entfernt von Holthausen, wo Kessen mit seiner Familie wohnt. Die Serie zeigt viel wildes Grün und wirke nur im Zusammenspiel der Bilder, findet der Fotograf. Die „Castroper Sümpfe“, so heißt die Reihe, fanden in diesem Jahr ebenfalls Aufnahme ins Pixelprojekt. Dessen Teil zu sein empfindet Daniel Kessen schon als „Ehre“, zumal das Fotografieren nicht sein Beruf ist. Nach einem Architekturstudium studiert er seit zwei Jahren Heilpädagogik.
Die nächste Fotoidee nimmt schon wieder Gestalt an. „Gibt es in der Stadt Kinder, die nicht konfektionierte Räume finden und darin spielen?“, fragt sich der zweifache Vater. Die stundenlang verschwinden und Buden bauen, wie er selbst früher auf dem wilden Königsgruber Zechengelände. So etwas zu fotografieren würde ihn reizen.
Die Zukunft des Pixelprojekts ist ungewiss
Das Pixelprojekt_Ruhrgebiet versteht sich als digitales Foto-Archiv der Region. Es umfasst inzwischen 477 Fotoserien von 293 Fotografen mit fast 9000 Einzelbildern. Jedes Jahr werden weitere Serien aufgenommen, 2017 waren es 21. Neben Daniel Kessen ist auch die Serie „Das große Warten“ der Wanne-Eickeler Fotografin Brigitte Kraemer ausgewählt worden.
Doch die Zukunft des Pixelprojekts sei ungewiss, erklärt Peter Liedtke. Der Herner Kulturpolitiker der Grünen leitet das Projekt, das bis zum letzten Jahr von der regionalen Kulturförderung profitiert hat. In besten Zeiten waren es 25 000 Euro im Jahr. Doch schon 2017 muss das Pixelprojekt ohne sie auskommen. Die Jury entschied sich gegen eine Förderung. Bleiben die Stadt Gelsenkirchen, der Wissenschaftspark (dort ist es angesiedelt) und der Förderverein mit kleineren Beträgen. Bisher komme man mit ehrenamtlicher Arbeit noch so eben über die Runden, sagt Liedtke. „Es kann aber sein, dass die nächste Ausstellung die letzte ist.“ Auch ein digitales Archiv sei nichts für die Ewigkeit: „Wir müssen ständig die Internetseite updaten.“