Ennepe-Ruhr. Landwirte und Tierärzte kämpfen gegen rasante Ausbreitung bei Rindern und Schafen an. Zum Teil große Umsatzeinbußen bei Milchbauern.

Die Blauzungenkrankheit im Ennepe-Ruhr-Kreis hat sich so stark ausgebreitet, dass die Tierärzte kaum noch hinterherkommen. Die Blauzungenkrankheit betrifft Rinder, Ziegen und Schafe und wird durch infizierte Mücken, sogenannte Gnitzen, übertragen.

80 Prozent der Tiere betroffen

„Es hat uns alle überrascht, wie schnell sich die Krankheit ausgebreitet hat. Damit haben wir alle nicht gerechnet“, gibt der Vorsitzende der Kreislandwirte Dirk Kalthaus unumwunden zu. Auch seine Kuhherde ist betroffen. „80 Prozent der Tiere sind erkrankt. Aber zum Glück habe ich keinen Todesfall. Bei anderen Landwirten sieht das anders aus“, erklärt er. Für die Tiere sei die Krankheit eine echte Qual. Bei einer Infektion gerät die Durchblutung ins Stocken. „Daher auch die blaue Zunge“, erklärt Kalthaus. Aufgrund der mangelnden Durchblutung haben die Tiere Schmerzen, fressen und trinken nicht mehr richtig. Behandelt werden kann die Krankheit eigentlich nicht, nur die Symptome können gelindert werden. „Tierärzte empfehlen, Schmerzmittel zu spritzen“, so Kalthaus.

Schäferin Nic Koray hat ihre Tiere schon sehr früh gegen die Blauzungenkrankheit impfen lassen. 
Schäferin Nic Koray hat ihre Tiere schon sehr früh gegen die Blauzungenkrankheit impfen lassen.  © HerzBerg Herdecke | Nic Koray

Neben dem Leiden der Tiere müssen die Landwirte auch Umsatzeinbußen verkraften. „Es gibt einen starken Leistungsabfall von 10 bis 100 Prozent“, berichtet Kalthaus. Weniger Milch bedeutet dementsprechend auch weniger Verkäufe an die Molkereien. Die wiederum kennen die Probleme und kaufen aus anderen Regionen, die nicht so stark von der Krankheit betroffen sind, Milch dazu. Insofern glaubt Kalthaus, dass die Endverbraucher nicht allzu viel davon mitbekommen werden, da sich die Probleme nicht auf die Preise niederschlagen.

Dirk Kalthaus, Vorsitzender Landwirtschaftsverband Ennepe-Ruhr/Hagen, ist mit seiner Herde ebenfalls von der Seuche betroffen.

„Es gibt einen starken Leistungsabfall von 10 bis 100 Prozent.“

Dirk Kalthaus

Kalthaus hofft, dass bald das Schlimmste überstanden sein wird. Zwei Wochen dauert die Krankheit meist bei Rindern. Wie es dann weitergeht, ist für ihn ganz klar. „Im kommenden Jahr impfen wir schon im Frühjahr, bevor die Mückensaison losgeht. In der Vergangenheit hatten wir auch schon mal geimpft und uns hinterher geärgert, dass wir so viel Geld ausgegeben hatten, obwohl es nicht gebraucht wurde. Deshalb hat uns die schnelle Ausbreitung diesmal so überraschend getroffen.“ Nicht nur die Landwirte waren überrascht, sondern anscheinend auch die Pharmaindustrie. Aufgrund der geringen Nachfrage waren die Impfdosen beim Ausbruch der Seuche zunächst nicht verfügbar. „Die kamen erst Mitte Juni“, weiß Kalthaus. Die erste Impfung muss sechs Wochen wirken, dann wird ein zweites Mal geimpft. Erst dann soll sie wirklich helfen. Zwar könnten die Tiere immer noch erkranken, aber die Auswirkungen seien dann nicht mehr so schlimm. Wie lange die Wirkung dann aber anhält, ist noch ungewiss.

Die Blauzungenkrankheit

Seit Anfang Juli verzeichnet Deutschland zunehmend Fälle von Blauzungenkrankheit. Ursache ist vor allem die witterungsbedingt hohe Aktivität von Gnitzen, die das Virus übertragen.

Die Blauzungenkrankheit (Bluetongue disease - BT) ist eine virusbedingte, hauptsächlich akut verlaufende Krankheit der Schafe und Rinder. Daneben sind auch Ziegen, Neuweltkameliden und Wildwiederkäuer für die BT empfänglich.

Der Erreger der BT ist für den Menschen nicht gefährlich. Fleisch und Milchprodukte empfänglicher Tiere können ohne Bedenken verzehrt werden.
(Quelle: Friedrich-Loeffler-Institut)

Dass der Impfstoff so spät erst zur Verfügung stand, war auch für die Tierärzte ein großes Problem. Grundsätzlich gibt es im EN-Kreis sowieso kaum Tierärzte, die sich um Großtiere und Nutzvieh kümmern. „Die meisten Landwirte aus dem EN-Kreis sind bei Tierärzten im Bergischen oder im Märkischen Kreis“, weiß Kalthaus. Dr. Silke Küper ist Tierärztin in der Tierärztlichen Gemeinschaftspraxis Brünger - Küper - Dietz in Sprockhövel. Eigentlich ist die Praxis auf Pferde spezialisiert. Als die Blauzungenkrankheit in diesem Ausmaß ausbrach, machten sie sich auf, um auch Rinder, Ziegen und Schafe zu impfen. „Wir kamen aber schnell an unsere Kapazitätsgrenzen“, gibt Küper zu. „Wir schaffen es einfach nicht, zu allen rauszufahren und können die Tiere aber auch nicht in der Praxis aufnehmen“, erläutert sie das Problem.

Impfstoff ist nur zehn Stunden haltbar

Hinzukäme, dass viele Schaf- und Ziegenhalter im EN-Kreis nur wenige Tiere hätten, also einen Nebenerwerb oder Hobbyzüchter sind. „In einer Impfflasche sind 40 bis 50 Dosen. Wenn die Flasche einmal angebrochen ist, hält sie sich nur für zehn Stunden. Deshalb haben wir Sammeltermine gemacht und sind die Höfe nacheinander tageweise abgefahren“, so Küper. Doch mit dem Impfen allein ist es nicht getan. Die Blauzungenkrankheit ist meldepflichtig. Hobbyzüchter hätten oftmals keine Zugänge zu den entsprechenden Systemen. „Wir müssen den Haltern die Prozedur immer wieder erklären, haben selbst eine Dokumentationspflicht, müssen die Blutproben nehmen, auch dafür brauchen wir Anträge. Da hängt ein ganzer Rattenschwanz dran, der oftmals mehrere Tage dauern kann“, erläutert Küper.

Tierärztin rät zu Spot-on

Inzwischen sei die Impfnachfrage aber ruhiger geworden. Küper geht von einer Grunddurchseuchung aus, weiß aber nicht, wie lange die Antikörper halten. Auch sie plädiert für eine frühe Impfung im kommenden Jahr. Februar oder März schweben ihr vor. Noch bevor die Mücken kommen und sich wie dieses Jahr so rasant vermehren. Tierhaltern rät sie, sogenannte Spot-ons zu verwenden, die den Rindern, Ziegen und Schafen in den Nacken oder auf den Rücken gesprüht werden, um Insekten fernzuhalten.

Die Schafe von Nic Koray erhalten über ihre geschnittenen Möhren noch Mineralpulver.
Die Schafe von Nic Koray erhalten über ihre geschnittenen Möhren noch Mineralpulver. © HerzBerg Herdecke | Nic Koray

Nic Koray, Schafzüchterin auf ihrem schlachtfreien Begegnungshof HerzBerg Herdecke, hat ihre Schafe schon sehr früh impfen lassen. „Ich lag meinem Tierarzt schon im ersten Quartal damit in den Ohren und habe ihn genervt. Deshalb sind meine Schafe auch schon zwei Tage nach dem Erscheinen des Impfstoffes im Juni geimpft worden“, sagt sie. Zudem nutzt auch sie Spot-on. „Wichtig bei Schafen ist auch, dass sie genügend Mineralien bekommen. Sie brauchen viele Lecksteine. Unsere Schafe kriegen zusätzlich Mineralienpulver über ihre Möhren“, berichtet sie. Mit diesen Zusätzen will sie dafür sorgen, dass ihre Tiere im bestmöglichen Zustand sind, um sich einer möglichen Infektion widersetzen zu können. Zudem appelliert sie an andere Tierhalter, ihre Tiere impfen zu lassen und ebenfalls Spot-ons zu benutzen. „Wenn die Gnitzen kommen und meine Schafe stechen, sind die Mücken anschließend tot und können die Krankheit nicht noch weiter übertragen. Ich glaube, das ist der einzige Weg inklusive der Impfung, die Krankheit auszurotten“, meint sie.