Heiligenhaus.. Der Heiligenhauser Psychiater Dr. Christian Aheimer erklärt, wieso es zu Streitigkeiten unterm Tannenbaum kommt und wie man Zoff vorbeugen kann.
Eigentlich ist es das Fest der Liebe – doch Weihnachten bedeutet für manche auch möglicher Streit unterm Tannenbaum. Warum wir uns so auf das Fest des Jahres freuen, wie man Konflikte vermeiden kann und was man tun kann, wenn man gerade rund um diese Feiertage zu Depressionen neigt, darüber hat Redakteurin Katrin Schmidt mit dem Heiligenhauser Psychiater Dr. Christian Aheimer gesprochen.
Heiligabend ist das Fest der Liebe. Warum sind wir an solchen Tagen eigentlich so emotional? Warum freuen wir uns auf Weihnachten?
Jeder Mensch hat Phasen, wo er seine Gefühle für Liebe, Freude und Frieden ausleben möchte und Phasen, wo er einfach nur kratzbürstig ist. Leider passen unsere Phasen zu häufig nicht zu den Phasen der anderen, außer, wenn Weihnachten ist. Dann sind wir alle auf das gleiche Gefühl gestimmt. Jeder kann sich bei (fast) jedem anderen darauf verlassen, dass ihm mit Freundlichkeit, Friedfertigkeit und mit Liebe begegnet wird.
Zusätzlich wird das Angleichen der positiven Gefühle durch Accessoires (Weihnachtsschmuck, Weihnachtsmusik, Lichterketten, Tannenbaum usw.) unterstützt. Weihnachten ist also der verlässliche Termin der institutionalisierten positiven Gefühle. Das ist natürlich nicht schlecht, sondern ein sehr gutes Ritual in dieser Welt, in der es so selten ist, dass mehrere Menschen zu gleicher Zeit gleichermaßen positiv füreinander empfinden.
Viele kennen das: Unterm Tannenbaum droht auch schon mal ein Streit auszubrechen. Warum platzt uns gerade da der Kragen?
Für viele ist es nicht mehr ein Fest der positiven Gefühle, sondern ein Fest, an dem mit enorm viel Energieaufwand künstliche Glückseligkeit geschaffen werden muss. Teure Geschenke, leckeres Essen, gutes Aussehen, diverse Einladungen und Termine setzen das Anspannungsniveau hoch. Dann sitzt man zusammen mit Konfliktpartnern (Eltern, Schwiegereltern, Kindern und anderen Verwandten) und löst mit Alkohol die Zunge. Hohe Erwartungen an das Gelingen des Festes, Stress, Anspannung, erwartete Dankbarkeit und alte Konflikte lassen manchmal Streit entstehen. Und wie der Mensch so ist: Wenn er mal loslegt, dann legt er los.
Wie sollte ich mich verhalten, damit es nicht zu Konflikten kommt?
Es gibt mehrere Möglichkeiten: Man kann Konventionen und Rituale brechen. Man kann auch mal auf das eine oder andere Bombastische, Teure, Übertriebene, Gespielte und Verschwenderische verzichten. Es müssen auch nicht immer Riesenfamilienfeste, wie zu einer Hochzeit, werden.
Wenn man aber nicht drum herum kommt: Man kann sich mantraartig vorbeten: Ich bleibe ruhig, freue mich, dass es mir so gut geht und ich keine Not habe, lasse mich nicht provozieren und schweige, wenn ich merke, dass politisch gesellschaftliche Themen oder Beziehungskonflikte auf den Tisch kommen.
Ich selbst besinne mich in der Vorweihnachtszeit darauf, dass es der Geburtstag von Jesus ist. Der, der Liebe und Frieden, aber auch Bescheidenheit gepredigt hat. Mich daran zu orientieren, ist mir wichtiger, als an dem Stress, dem Konsum und anderen Dingen, die die meisten Menschen machen, teilzunehmen.
Helfen Geschenke eigentlich wirklich, Beziehungen zu pflegen?
Ja. Geschenke helfen tatsächlich. Von Herzen und darüber nachgedacht zu schenken, ist eine Ehr- und Respektsbezeugung und eine Art zu sagen: Ich mag / liebe Dich. Aber Vorsicht: Wer seine Lieben (vor allem die Kinder) über das ganze Jahr mit Geschenken beglückt, hat zu Weihnachten nichts mehr in Peto.
Manche Menschen sind alleine oder müssen an Weihnachten schlechte Nachrichten verkraften. Was kann ich tun, um mich abzulenken?
Weihnachten ist ursprünglich ein Fest der gläubigen Christen. Je gläubiger jemand ist, desto mehr kann er auch in der Einsamkeit durch den Glauben halt finden. Natürlich bieten die Gemeinden auch den Einsamen eine Teilnahme am Fest in den Gemeindehäusern, zumindest an Nachmittagen in der Vorweihnachtszeit, an.
Menschen, die in der übrigen Zeit keine Kontakte zu anderen haben, werden in der Weihnachtszeit manchmal schmerzlich daran erinnert, wie ihnen die soziale Gemeinschaft fehlt. Sie können sich überlegen, ob sie sich in Zukunft nicht einer Gemeinschaft, einem Club oder Verein anschließen. Auch die Menschen, die keinen Familienkontakt mehr haben, erleben eine schwere Zeit. Vielen bleibt am Ende nur der Fernseher, um ein Gefühl der Gemeinschaft zu erleben. Aber auch das ist, selbst wenn es nur Ablenkung ist, in Ordnung.
Was macht man, wenn man kein Weihnachten feiern mag?
Es gibt sicherlich sehr viele Menschen auf der Welt, für die Weihnachten entweder gar keine Bedeutung hat oder die Bedeutung wegen Hunger, Schmerz, Krankheit, Krieg und so weiter derart in den Hintergrund tritt, dass ihnen nicht zum Feiern zu Mute ist. Und deswegen kann man, wenn Weihnachten ist, auch mal mit wenig Emotionen die drei Tage vergehen lassen.
Den hartgesottenen unter uns sage ich immer: Das kommt jedes Jahr aufs Neue. Dann kann das auch mal ausfallen. Die meisten empfinden es als Stress, Konsumterror und Konkurrenz zu den anderen, da kann man auch mal die Armeleutevariante wählen oder manche können zugeben, dass sie gar nicht gläubig sind und deswegen konsequenterweise das Fest den anderen überlassen.
>>> DIE TELEFONSEELSORGE IST ERREICHBAR
- Wer über Weihnachten Sorgen hat, der kann sich rund um die Uhr auch an die Telefonseelsorge wenden. Die Kirchen, aber auch soziale Dienste bieten diesen Service an den Feiertagen an.
Erreichbar sind die Seelsorger unter 0800/ 1110111, 0800/ 1110222 oder 116 123, die Hotlines sind kostenlos. Die Beratung erfolgt anonym.