Heiligenhaus. Das Heiligenhauser Traditionsunternehmen baut Stellen ab, bekennt sich aber zum Firmensitz. Gewerkschaft kritisiert Unternehmen für Pläne.
Ein weiterer schwerer Schlag für die Heiligenhauser Wirtschaft: Das Traditionsunternehmen Kiekert am Höseler Platz will bis Ende 2022 rund 100 Stellen am Standort abbauen. Grund dafür sei die allgemeine schwierige Lage in der Automobilbranche. Kritik gibt es dafür von der IG-Metall und dem Kiekert-Betriebsrat: Dem Vorstand wird vorgeworfen, durch eine sture Haltung beim Thema Stellenabbau „ökonomisch unvernünftig und völlig irrational“ zu handeln.
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Die Auswirkungen der Corona-Pandemie habe die gesamte Automobilindustrie und auch den Zulieferer Kiekert hart getroffen, teilt das Unternehmen auf WAZ-Nachfrage mit. Ein deutlicher Umsatzrückgang durch ausbleibende Abrufe der globalen Hersteller, der sich auch in diesem Jahr fortsetzen und das Unternehmen weiter belasten werde, würde nun einem „nahezu unveränderten Kostenstruktur gegenüberstehen. Zur Zukunftssicherung habe Kiekert „weltweit frühzeitig entsprechende Handlungsfelder identifiziert und bereits umgesetzt. Zu diesen Maßnahmen zählt auch der geplante Stellenabbau“, so Kiekert weiter.
Maßnahmen betreffen alle Standorte und alle Bereiche
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Die personellen Maßnahmen würden jeden Kiekert-Standort weltweit betreffen und auch jeden Bereich. Am Stammsitz in Heiligenhaus sollen bis Ende 2022 rund 100 Stellen abgebaut werden. Für die Produktion am Standort Heiligenhaus gebe es einen bestehenden Standortsicherungsvertrag, der bis Ende des Jahres 2023 gelte. Danach sei die Lage neu zu bewerten, wobei aufgrund des zunehmenden Kostendrucks in der Industrie mit einer weiteren Reduzierung in der Fertigung gerechnet werden müsse, teilt das Unternehmen mit: „Wir haben alle Möglichkeiten geprüft, um den Personalabbau zu vermeiden, aber eine Alternative dazu gibt es leider nicht. Wir werden uns auch weiterhin mit aller Kraft dafür einsetzen, die Zahl der abzubauenden Stellen so gering wie möglich zu halten“, so Dr. Guido Hanel, Vorstandsvorsitzender der Kiekert AG.
Das sieht die Gewerkschaft IG Metall und der Kiekert-Betriebsrat anders: Die IG Metall habe angeboten, durch eine zeitlich befristete Abweichung von bestehenden tariflichen Regelungen eine noch größere Einsparung zu realisieren, so dass von Entlassungen abgesehen werden könne. Dies habe aber der Arbeitgeber rundweg abgelehnt. Der Vorschlag der IG Metall, einen solchen sogenannten Transformationstarifvertrag für Kiekert abzuschließen, habe neben der größeren Kostensenkung noch weitere Pluspunkte. So bleibe beispielsweise in diesem Jahr deutlich mehr Geld in der Kasse, so dass die vorhandenen Liquiditätsprobleme des Unternehmens deutlich besser gelöst werden könnten. „Zudem könnte man die Beschäftigten, die nicht entlassen werden müssen, insbesondere mit Blick auf die Zukunft des Standortes, auch produktiv einsetzen. An Aufgaben mangelt es bei Kiekert jedenfalls nicht“, so Uwe Höhndorf, Betriebsratsvorsitzender und stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der Kiekert AG.
Gewerkschaft und Betriebsrat fordern Vorstand zum Umdenken auf
In der Vergangenheit sei im Unternehmen viel liegen geblieben, zum Beispiel bei Organisation und Entscheidungsstrukturen, und für die Zukunft des Unternehmens müsse an neuen Produkten und Märkten weiter gearbeitet werden. Denn das bestehende Geschäft gelte nur als bedingt zukunftsfest. „Wenn die Geschäftsführung jetzt aber anfängt, besonders in der Entwicklung abzubauen, also dort, wo die Wissensträger des Technologieunternehmens Kiekert arbeiten, dann muss man um die Zukunft des Standortes besorgt sein“, so Höhndorf weiter.
Die Entlassungen würden auch bei den Beschäftigten auf Unverständnis stoßen. In dieser Situation entstehe zwangsläufig die Frage, warum die in vielen Punkten bessere Alternative der Tarifabweichung seitens der Vorstandsmitglieder Hanel und Debreu abgelehnt wird. Statt dessen werde uneingeschränkt der eigenen Idee des Beschäftigungsabbaus – ohne darüber substanziell verhandeln zu wollen – der Vorzug gegeben. Betriebsrat und IG Metall hätten immer noch die Hoffnung, dass Entlassungen durch einen mehr als wertgleichen Beitrag der Beschäftigten verhindert werden können, wenn die Alternativen rational geprüft werden. „Es bleibt allerdings abzuwarten, ob das Unternehmen Verhandlungen über eine Alternative zum Beschäftigtenabbau aufnehmen wird. Die Bereitschaft, hierzu auch durch verstärkten Druck beizutragen, wächst in der Belegschaft“, so Hakan Civelek
Heiligenhaus soll Unternehmenssitz bleiben
Zur Zukunft Kiekerts in Heiligenhaus gibt es jedoch ein klares Bekenntnis vom Unternehmen: „Kiekert ist seit seiner Gründung im Jahr 1857 fest in Heiligenhaus und der Region verwurzelt. Dieser Standort ist das Herzstück unseres Unternehmens und wird es auch bleiben. Er wird auch zukünftig der strategische Dreh- und Angelpunkt sowie Zentrum unseres Unternehmens sein“, so Hanel.
Auch Bürgermeister Michael Beck nimmt die Vorgänge bei Kiekert zur Kenntnis. „Wir freuen uns natürlich über das Bekenntnis des Unternehmens zum Standort Heiligenhaus, aber jeder Stellenabbau schmerzt.“ Wünschen würde sich Beck, dass das Unternehmen seine Zukunftspläne überdenkt, „denn gerade jetzt hat sich gezeigt, wie wichtig es ist, dass Lieferketten aufrecht erhalten werden können, wenn man nicht auf Exporte angewiesen ist. Wie schnell diese unterbrochen werden kann, hat sich ja in der Pandemie gezeigt.“