Berlin.. Peter Wensierskis Buch „Schläge im Namen des Herrn“ lieferte die Vorlage für einen ZDF-Film.WAZ war bei der Vorabvorführung von „Und alle haben geschwiegen“ im Bundestag dabei.


Es dürfte selten sein, dass man im Vorstandssaal der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag die besagte Stecknadel fallen lassen könnte. Hier wird gemeinhin heiß diskutiert. Angespannte Geräuschlosigkeit herrscht dagegen an diesem Abend – bei der Vorführung des ZDF-Heimkinderdramas „Und alle haben geschwiegen“. Der Film basiert auf dem Buch „Schläge im Namen des Herrn“, in dem der gebürtige Heiligenhauser Peter Wensierski seine jahrelangen Recherchen als Spiegel-Autor veröffentlicht hat.

Gekommen sind gut 120 Leute, neben den Journalistenkollegen natürlich das ZDF-Filmteam, allen voran die Schauspieler Senta Berger und Matthias Habich, Birge Schade und Jasmin Schwiers.

Sie schwiegen aus Scham

Aber auch eine Reihe von Wensierskis Heimkindern, zu denen er im Laufe der Jahre eine zum Teil enge Beziehung aufgebaut hat. „Nur mein allererster Kontakt nicht, die Frau ist leider gestorben. Sie hatte sich immer eine Verfilmung gewünscht“, sagt Wensierski.

Im Mittelpunkt des Films stehen Luisa und Paul. Als junges Mädchen wird Luisa Anfang der 60er Jahre wegen der Erkrankung ihrer alleinerziehenden Mutter von den Behörden in die Obhut eines von Diakonissen geführten Kinderheims gegeben. Dort wird sie gedemütigt und schwer misshandelt. In Paul findet sie einen Leidensgenossen, mit dem sie kurzzeitig entfliehen kann. Als sie sich 44 Jahre später gegenüber stehen, haben sich beide verändert. „Sie stellen die gegensätzlichen Pole dar: weiter schweigen über das Erlebte und endlich über alles reden“, erläutert der Spiegel-Autor im Gespräch mit der WAZ. „Ich finde, der Film gibt das gut wieder, was ich in den vielen Gesprächen mit ehemaligen Heimkindern erlebt habe.“

Begonnen hatte alles im Januar 2003. In den Kinos lief der Film „Die Unbarmherzigen Schwestern“, ein Drama aus Irland. Kurz darauf meldete sich eine Frau bei Peter Wensierski, die Heimkind im Dortmunder Vincenzheim war und dort Schreckliches erlebt hatte. Das Echo auf den Bericht im Mai 2003 war überwältigend. „Ich bekam laufend Anrufe und Mails. Manchmal wurde es mir schon zu viel. Denn was die Menschen berichteten, war wirklich unvorstellbar.“ Von strengen Regeln und grausamsten Misshandlungen bei Verstößen hörte er, sexuelle Übergriffe in den kirchlichen Einrichtungen seien keine Seltenheit gewesen. „Die Betroffenen haben geschwiegen, denn das alles hat Unglaubliches bei ihnen angerichtet. Viele haben ihr Leben nicht auf die Reihe gekriegt, denn in den Heimen wurde ihnen auch Bildung verwehrt Eine schwarze Pädagogik, die da herrschte, ein echtes Verbrechen an den Kindern.“ 2006 kam Wensierskis Buch auf den Markt; er reichte eine Petition beim Bundestag ein: „Das Thema ist so groß, das kann ich allein nicht stemmen.“

Der Petitionsausschuss und der Runde Tisch des Bundestages dokumentierten die menschenverachtenden Zustände, die noch bis 1975 in westdeutschen Heimen herrschten. Betroffene: 800 000 bis eine Million Menschen. Ein Entschädigungsfonds von rund 160 Mio. Euro wurde 2011 eingerichtet, DDR-Heimkinder werden miteinbezogen. „Es hat sich viel bewegt, auch bei den Kirchen. Aber die Aufarbeitung muss weitergehen“, sagt Wensierski – der übrigens am Wochenende mal wieder seine Familie in Heiligenhaus besucht.