Heiligenhaus. Mut zur Eskalation hat das Musik-Comedy Duo „Suchtpotential“ auf jeden Fall, dazu eine Portion unwiderstehlichen Charme und: gnadenlosen Humor.
Suchtpotenzial: Das sind die beiden eskalationsfreudigen Vollblutmusikerinnen Julia Gámez Martin aus Berlin und Ariane Müller aus Ulm. Selbstironisch stellen sich die beiden Frauen mit einem Song, den sie eigentlich nicht spielen dürfen, vor: Für Wacken seien sie zu brav, für den Kindergarten zu versaut, für das Altenheim zu laut, für das Ballett zu fett, für Politkabarett zu banal, für Comedy nicht lustig genug.
„Suchtpotential! sind Sanifair-Bon Millionäre
Die rund 100 Gäste im Club lachen vielmals und herzhaft. Rufen rein und interagieren. In einem weiteren Lieb beschreiben die Damen ihre Engagement-Odyssee in den Dörfer Deutschlands. Rumgekommen sind sie und Autobahnen kennen sie. Daher: Sie sind Millionäre – Sanifairbon-Millionäre. Auch über die Grenzen hinaus, in Österreich und der Schweiz gastieren sie mit ihren Liedern. Allesamt aus ihrer Feder – Text und Melodien.
Das Genre: Alkopop – von Betrunkenen für Betrunkene. Überwiegend vorgetragen von Julia, begleitet von Ariane am Keyboard oder Gitarre. Reibungslos übergeleitet mit frischen Dialogen. Die Berlinerin Julia überzeugt mit ihrem Gesang. Im ersten Eindruck wirkt die 33-Jährige wie ein zauberhafter Musicalstar, der Schneewittchen verkörpern könnte. Jedoch springt sie von Dialekt zu Dialekt und von Musikrichtung zu Musikrichtung, getragen von Arianes Klängen und gesanglicher Unterstützung. Klar beherrscht die Berlinerin ihre Mundart – Schwäbisch, Norddeutsch, Kölsch, Sächsisch, Österreichisch und Schweizerdeutsch aber auch. Dazu eine Stimme mit einer Spannbreite von Till Lindemann bis Helene Fischer, in Richtung Nina Hagen. Sie klingt schön, kann aber auch wehtun.
Überraschungen in den Songs
Und zwar genau dann, wenn ihr Song eine unvermittelte Wendung nimmt. Diesen Moment arbeiten die zwei fast in jedes Lied ein. Prominentes Beispiel: Mett Tourette. Klimaerwärmung und Überbevölkerung kündigen sie berechtigt als ernste Thema an. Ariane, bis auf Verzicht von Parmesan, Veganerin, erklärt ihre Beweggründe. Julia jedoch bevorzugt Fleisch. Denkt sie daran, verfällt sie stimmlich in den Heavy Metal-Modus inklusive der legendären gehörnten Hand. Die 39-jährige Ariane empfiehlt einen Veggieday, wegen der vielen Menschen auf der Welt, denn „man muss nicht immer Beef haben“. Das bringt Julia auf eine Idee: „Ich ess‘ einfach ‚nen Veganer und fang gleich an bei dir“. Überraschungen, abrupte Wendungen halten die Aufmerksamkeit. Rap, Jazz, Klassik, Country, Techno oder Rock: Das Duo springt gekonnt und inhaltlich passend hin und her. Die schauspielerische Komik von Julia macht die Stücke komplett.
Sie kann alles tragen – sogar zwei Kisten Bier
Ariane kündigt Julia nach der Pause mit einem Kleid an. „Sie kann alles tragen“, betont sie, „sogar zwei Kästen Bier“. Fluchend betritt Julia als Prinzessin die Bühne und beginnt über die zwar schönen, aber nicht-versauten Disney-Filme zu singen. Über die klare Rollenverteilung. Sie beklagt die heile Welt: Sie trägt ihm die Schuhe hinterher, wird aber vom Schnarchen statt mit einem Kuss aufgeweckt. Die Eiskönigin ist voll drauf auf Schnee, Schneewittchen betreibt einen Zwergenbordell und Arielle mit ihrem Schwanz war sicher transsexuell. Ihre Wut wirkt enorm. Sie wünscht sich schon früher Pornos angeschaut zu haben. Zart als Background-Sängerin säuselt Ariane stets „Vielen Dank Disney“. Suchtpotential: Das ist kein braves Damenkabarett. Das ist gnadenloser Humor, grandiose Musikalität und ein Stück weit totaler Wahnsinn, nach dem Motto: Statt einsam resignieren, lieber gemeinsam eskalieren.