Hattingen. Die IHK sorgt sich: Hattingen sei in den vergangenen Jahren in einen „Dornröschenschlaf gefallen“. Das alles müsste die Stadtspitze anpacken.
„Hattingen hat so ein Riesenpotenzial. Es ist ein Paradebeispiel für gelungenen Strukturwandel. Aber in den letzten Jahren ist die Stadt in einen Dornröschenschlaf gefallen.“ Das sagt Michael Bergmann, Hauptgeschäftsführer der IHK Mittleres Ruhrgebiet. Der Hattinger übt heftige Kritik an der Stadtspitze und der hiesigen Wirtschaftsförderung. Was ein kommendes Stadtoberhaupt anpacken müsste, sagt er in unserem Interview.
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Bislang hat nur Melanie Witte-Lonsing als Bürgermeisterkandidatin für die SPD ihren Hut in den Ring geworfen, die anderen Parteien halten sich zurück. Sie fordern von der Hattinger Politik, mehr Gas zu geben. Warum?
Bergmann: Ich habe eine klare Botschaft: Für einen Bürgermeisterposten reicht es nicht, politisch interessiert zu sein. Wenn ich sehe, was Dieter Liebig geleistet hat, um diese Stadt nach vorn zu bringen, dann wünsche ich mir mit Blick auf die aktuellen Herausforderungen ein vergleichbares Engagement von einer künftigen Bürgermeisterin oder einem künftigen Bürgermeister.
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Wenn Sie sich einen Kandidaten backen könnte, was müsste dieser mitbringen?
Empathie, Verantwortungsbewusstsein, Kommunikationsgeschick und Innovationsfreude. Es fehlt in dieser Stadt die Bereitschaft, neue Ideen umzusetzen. . Und wir wünschen uns mehr Verständnis für die Belange der Wirtschaft. Behörden und Verwaltungen stehen Unternehmen oft skeptisch bis ablehnend gegenüber, das sind zumindest Rückmeldungen, die wir von unseren Mitgliedsunternehmen bekommen.
In Hattingen braucht es außerdem eine noch besser aufgestellte Wirtschaftsförderung. Dort muss es eine vernünftige Beratung und den Zugang zu Fördermitteln beispielsweise für Start-ups geben. Dazu braucht der Wirtschaftsförderer mehr personelle Unterstützung. Hattingen muss als Wirtschaftsstandort attraktiver werden. Das sind Gewerbesteuern, die sonst am Ende des Tages fehlen. Man muss den Kreis der Zahlenden vergrößern.
Wie könnte Hattingen ein besserer Wirtschaftsstandort werden?
Was ich sehr vermisse, ist eine Kooperation mit den Hochschulen. Warum gibt es hier kein wissenschaftliches Institut? Schauen Sie sich an, was alles gerade in Herne passiert. Wenn ich in die Stadt gucke, sehe ich sehr wenige junge Menschen.
Bei den Gewerbeflächen ist die Stadt mit dem ehemaligen O&K-Gelände auf einem guten Weg. Aber wie lange wird es noch dauern, bis dort der erste Bagger rollt? Andererseits liegen auch im Gewerbe- und Landschaftspark Henrichshütte viele Flächen brach. Die Wirtschaftsförderung könnte die Eigentümer fragen, ob sie diese Flächen nicht temporär oder dauerhaft verpachten möchten.
Hattingen lebt von der Tourismus- und Freizeitwirtschaft. Sehen Sie dort noch ungenutztes Potenzial?
Ein Pfund, mit dem Hattingen wuchern könnte, ist die Ruhr. Menschen lieben Wasser, aber in Hattingen wird es nicht genutzt. Schauen Sie, wie viele Menschen an der Kemnade spazieren, wie viele Menschen uns über den Leinpfad erreichen könnten. An der Ruhr kann man neben der Altstadt neue Anreize schaffen, etwa schwimmende Pontons für die Gastronomie.
Und ich vermisse eine Willkommenskultur. Wenn ich Besucher an unserem verschmutzten S-Bahnhof abhole, ist mir das unangenehm. Warum ist es dort nicht sauber? Warum hängt dort kein Schild: „Herzlich Willkommen in Hattingen“?
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Sie gehen mit der Stadtspitze aber hart ins Gericht...
Nehmen Sie das Thema Steuerlast. Es ist doch klar, dass die Grundsteuer B erhöht werden wird. Aber ich vermisse eine offene Kommunikation. Bis heute gibt es keine Info, was eigentlich beschlossen werden soll. Auf der städtischen Homepage habe ich nichts gefunden, es wird nur auf eine Telefonnummer im Finanzamt verwiesen. Dort könnte man vereinfacht die möglichen Modelle darstellen. Bei so einer Entscheidung muss man die Menschen mitnehmen und zum Beispiel eine Bürgerversammlung anbieten.
Aber das soll kein Bashing sein. Egal, wer bald ins Rathaus einzieht, wir von der IHK möchten die Hand reichen. Wir sind gerne bereit, zu unterstützen. Das haben wir auch schon beim Feierabendmarkt oder dem Stadtlabor bewiesen. In Bochum testen wir gerade ein Format namens „Welcome Office“, das könnte man mit gar nicht so großem Aufwand in Hattingen umsetzen.
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Wie sieht das aus?
Es ist eine Art Bürgerbüro für ausländische Fach- und Arbeitskräfte. Alle Partner der Stadt, aus Handwerk, Ausländeramt, Arbeitsagentur und IHK, werden an einem Ort gebündelt. Das kann auch Geflüchteten helfen, leichter in Arbeit zu kommen.
Wir brauchen Migranten dringend für den Arbeitsmarkt. Dass Hattingen das Steinenhaus gekauft hat, um dort Geflüchtete unterzubringen, ist die denkbar schlechteste Lösung. Wie sollen die Menschen dort Anschluss an die Stadt finden? Wie sollen ihre Kinder zu Kitas und Schulen kommen? Das ist das Gegenteil von Integration. Das ist Ausquartieren.
Warum möchten Sie eigentlich nicht selbst Bürgermeister werden?
Die Rolle des Bürgermeisters bringt eine enorme Verantwortung mit sich und davor habe ich großen Respekt. Ich sehe meine Rolle derzeit eher als Berater. Ich möchte sicherstellen, dass meine Stimme für die Wirtschaft gehört wird und ich zur Diskussion beitrage, ohne selbst ein politisches Amt zu übernehmen.
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